Klinik-Skandal in München:Saubere Skalpelle dringend gesucht

"Blutprodukte und Knochenreste": In der Münchner Klinik Bogenhausen weiß niemand, wann wieder operiert werden darf - die Patienten wirken gefasst.

Agnes Fazekas und Dominik Hutter

Ein bisschen gewundert haben sie sich schon, die beiden Diabetes-Patienten in ihren Bademänteln: Am Freitagmorgen gab es keine Gratis-Zeitung im Bogenhausener Klinikum. Dabei liegen sonst jeden Tag die Ausgaben der Abendzeitung in den Krankenhausfluren aus. Das Boulevard-Blatt hatte am Freitag groß getitelt mit dem "Hygiene-Skandal an Münchner Kliniken", darunter Bogenhausen. Wegen unzureichender Sterilisierung der OP-Bestecke werden derzeit nur Notfälle behandelt, die nicht in andere Krankenhäuser verlegt werden können. Den zwei Diabetikern ist das mittags noch vollkommen neu. "Uns betrifft das ja nicht", sagt der eine. "Aber ich kann mir vorstellen, dass sich manche jetzt große Sorgen machen. Man weiß ja nichts Genaues."

Der Mini-Markt im Klinikum führt viele Zeitungen, aber diese eine sei ihr heute aus den Händen gerissen worden, berichtet die Verkäuferin. Patienten, die sie auf die Schlagzeile ansprechen, sagt sie: "Ich bin doch nicht die Presse oder die Klinikleitung." Auch der Mann an der Information gibt keine Auskunft und verweist nur auf das "Patienten-Telefon", falls man sich Sorgen mache.

Wann in Bogenhausen wieder operiert werden kann, weiß an diesem Freitag niemand. Die für die Sterilisierung der OP-Bestecke zuständige Abteilung, die auch das Klinikum Neuperlach beliefert, darf derzeit nur Instrumente der Kategorie A reinigen - und das auch nur unter Auflagen.

Das reicht jedoch längst nicht für einen normalen OP-Betrieb. Denn A ist die niedrigste Kategorie, das Besteck fürs Grobe sozusagen. Instrumente mit höheren Anforderungen an die Sterilität, etwa für minimalinvasive Eingriffe am Meniskus, fallen in die Stufen B und C, die in Bogenhausen wohl erst nach einer erneuten Zertifizierung des Arbeitsprozesses wieder erlaubt sind. Den Bogenhausener Chefärzten sind aber auch die A-Bestecke suspekt, es gibt offenbar erhebliche Irritationen.

Derzeit sind die zuständigen Abteilungen damit beschäftigt, den OP-Betrieb baldmöglichst zumindest durch von außen gelieferte Instrumente wieder zu ermöglichen. Das allerdings ist nicht einfach: Denn die anderen städtischen Kliniken haben nicht genügend Kapazitäten, um auch für Bogenhausen und Neuperlach zu sterilisieren. Zumal sie nun noch viele der Patienten operieren müssen, die eigentlich für Bogenhausen oder Neuperlach vorgesehen waren. Weitere Möglichkeiten, steriles Besteck aufzutreiben, wären staatliche Kliniken oder Firmen, die diesen Service anbieten.

Was aber überhaupt ist passiert in der sogenannten Sterilgutaufbereitung? Von der SZ befragte Experten schütteln einhellig den Kopf über die Vorgänge - obwohl sie offenbar kein Einzelfall sind: Das Münchner Gesundheitsamt bemängelt derartige Hygieneprobleme immer wieder. So sahen sich in diesem Jahr bereits eine kleinere Klinik und eine private Praxis dem gleichen Problem ausgesetzt, vor drei Jahren traf es sogar ein großes Krankenhaus, das allerdings nicht zum städtischen Klinikkonzern gehört.

In Bogenhausen waren die Verfehlungen jedoch besonders krass: Ein Aufsichtsratsmitglied berichtete der SZ von "Blutprodukten und Knochenresten", die an den angeblich sterilen Metallgegenständen hafteten. Auch wurden nach SZ-Informationen bei Überprüfungen Beutel mit OP-Besteck gefunden, deren Verfallsdatum abgelaufen war.

Und einige Ärzte und Schwestern dürften sich über das Sortiment an Instrumenten gewundert haben, das am OP-Tisch lag. Mal fehlte ein Stück, mal fand sich eine völlig falsche Zusammenstellung in den Beuteln.

Auf den Fluren und in der Cafeteria scheint hingegen alles wie immer zu sein: Patienten und Besucher schlendern umher, trinken Kaffee, sitzen in der Sonne. Nicht alle sind so ausführlich von ihren Stationsärzten informiert worden wie der ältere Patient im Rollstuhl, der heute das erste Mal sein Bett in der Onkologie verlassen durfte: "Der Oberarzt kam in der Früh auf jedes Zimmer unserer Station und hat gefragt, ob wir die Schlagzeile schon gelesen hätten." Er habe beruhigt, dass sich die Untersuchung des Gesundheitsamts nicht auf die entscheidenden OP-Räume bezogen habe. Auch habe er über die Firma geschimpft, welche die Missstände aufgedeckt hat. Sie sei dem Klinikum in den Rücken gefallen. Der Mann im Rollstuhl fühlt sich ausreichend unterrichtet. "Bei mir auf der Station geht es den Leuten so schlecht, die haben andere Sorgen."

Die junge Frau mit dem Tropf, die gerade mit ihrer Familie in der Cafeteria sitzt, fühlt sich gut aufgehoben. Ihre Visite ist heute besonders ausführlich ausgefallen. "Der Arzt hat gesagt, heute finden keine OPs statt." Ihr Vater hält die Schlagzeilen für übertrieben: "Das ist doch nur Panikmache. Da hat dem Amt halt ein Stempel gefehlt, und jetzt setzen sie die Klinik unter Druck." Auch der junge Mann mit dem Muskelriss am Arm macht sich keine allzu großen Sorgen. Zwar hat seine Freundin beim Besuch herumgedruckst: "Ich weiß nicht, ob du das jetzt wissen willst." Doch er ist in der vergangenen Woche operiert worden. "Das ist schon alles gut gegangen", sagt er, blinzelt in die Sonne und spaziert weiter durch den Park. Aber nicht alle können sich so gut ablenken: Ein älteres Paar möchte seinen Sohn besuchen, der seit einer Woche auf der Intensivstation in Lebensgefahr schwebt. Die Zeitung mit dem reißerischen Aufmacher haben sie mit dabei. "Wir sind geschockt. Das Leben unseres Sohnes ist gerade auf der Kippe. Wenn da noch eine Infektion dazu kommt...", sagt der Vater. "Wir machen uns große Sorgen." Die Mutter nickt nur müde.

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