Kirchheim/Feldkirchen:Gemeinsam gegen den Verkehrsinfarkt

Zehn Gemeinden arbeiten an einem Konzept, wie der Münchner Osten das Bevölkerungswachstum besser verkraften kann

Von Barbara Mooser, Kirchheim/Feldkirchen

Am Anfang stand der Streit: Als Pliening seine Umgehungsstraße plante, eckte die Gemeinde bei ihren Nachbarn gehörig an. Zu nahe sei die geplante Umgehung an den eigenen Wohngebieten, klagte Poing, in Kirchheim befürchtete man, dass durch die neue Straße das eigene Verkehrsnetz noch mehr belastet wird. "Uns ist klar geworden: Wir müssen andere Gemeinden ins Boot holen, wenn wir Verkehrsprobleme lösen wollen", beschreibt Plienings Bürgermeister Roland Frick (CSU) die Situation. Und so ist aus nachbarschaftlichen Auseinandersetzungen nun eine große Koalition im Münchner Osten geworden: Zehn Gemeinden aus den Landkreisen München, Ebersberg und Erding wollen künftig gemeinsam daran arbeiten, dass sie vom Verkehr in der Wachstumsregion nicht überrollt werden.

"Wir müssen weg von der Kirchturmpolitik", beschreibt es Poings Bürgermeister Albert Hingerl (SPD). Gemeinsam erhoffen sich die Mitglieder des Zehnerbunds auch größeres Gewicht bei der Staatsregierung. Bei einer Pressekonferenz im Poinger Rathaus stellte sich der neue Zusammenschluss am Montag erstmals vor. Außer Poing und Pliening sind im Landkreis Ebersberg die Gemeinden Markt Schwaben, Vaterstetten, Anzing und Forstinning beteiligt, aus dem Landkreis München haben sich Kirchheim, Feldkirchen und Aschheim angeschlossen, aus dem Landkreis Erding die Gemeinde Finsing. Insgesamt deckt das ein Gebiet ab, in dem nach Schätzungen von Markt Schwabens Bürgermeister Georg Hohmann (SPD) im Jahr 2030 etwa 130 000 Menschen leben und sich auch auf den Straßen bewegen werden. "Die Gemeinden sind natürlich auf diese Größenordnung des Verkehrs nie ausgerichtet worden", so Hohmann. Und sie könnten auch alleine die Probleme nicht lösen.

Mögliche Konzepte sollen aber bei weitem nicht nur den Bau weiterer Straßen beinhalten - ja, möglicherweise könne man sogar ganz auf zusätzliche Straßen verzichten, sagte der Kirchheimer Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU). Der Ausbau der Schiene und des Nahverkehrs generell müsse unbedingt in die Überlegungen einbezogen werden. "Wir müssen den ÖPNV ertüchtigen, wo es nur geht", unterstrich auch sein Feldkirchner Kollege Werner van der Weck (SPD), der - mit einer Spur Ironie - seine Hoffnung auf eine "Wunderidee" äußerte. Zu früh, das sagte van der Weck, komme die Initiative jedenfalls nicht.

Generell wird sich der neue Zusammenschluss mit einem ganzen Bündel unterschiedlicher Herausforderungen befassen müssen, denn jede Gemeinde bringt ihre ganz konkreten Erwartungen mit: Der Finsinger Bürgermeister Max Kressirer (CSU) etwa erhofft sich, dass auch die Steuerung des zunehmenden Schwerlastverkehrs oben auf der Prioritätenliste steht. Der Anzinger Bürgermeister Franz Finauer (FW) und der Forstinninger Bürgermeister Rupert Ostermair (CSU) wünschen sich Ideen, wie der Ausweichverkehr parallel zur A 94 weniger ihre Gemeinden belastet. Vaterstettens Bürgermeister Georg Reitsberger (FW) erwartet von einem Konzept auch eine Antwort auf die Herausforderungen, die beispielsweise die neuen Firmenansiedlungen in Haar mit sich bringen.

Van der Weck unterstrich, dass es bei der künftigen Zusammenarbeit keine Denkverbote geben dürfe. Ideen wie etwa Großparkplätze in der Münchner Peripherie, von denen aus die Pendler in öffentliche Verkehrsmittel umsteigen könnten, müssten geprüft werden. Und keine Gemeinde darf erwarten, dass alle Wünsche erfüllt werden: "Wir werden alle Kröten schlucken müssen", sagte Max Kressirer.

Klar ist den Beteiligten, dass es eine Weile dauern wird, bis ein Konzept überhaupt vorliegt - und eine "eierlegende Wollmilchsau" werde es auch dann nicht sein, wie Finauer warnte. Denn zehn Gemeinden könnten zwar zusammen schlagkräftiger auftreten, die andere Seite der Medaille sei, dass man auch mehr Interessen unter einen Hut bringen müsse. Für weitere Mitglieder ist das Bündnis dennoch offen. Hingerl, Frick und Böltl werden sich in Zukunft vor allem um die operativen Aufgaben des Zusammenschlusses kümmern. Sie wollen nun zunächst Gespräche mit Verkehrsplanern und Vertretern der beiden beteiligten Straßenbauämter in Rosenheim und Freising führen. Denkbar sei, beispielsweise die Technische Universität oder die Ludwig-Maximilians-Universität als Partner für Pilotprojekte zu gewinnen, sagte Hingerl. Die Kosten für das Konzept, das am Ende des Prozesses stehen soll, werden die Gemeinden voraussichtlich entsprechend ihrer Einwohnerzahl untereinander aufteilen.

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