Kirchheim:Von Kabul nach Kirchheim

Kirchheim: Muhammad (vorne) aus Afghanistan will sich integrieren. Bernhard Schneck hat ihn angestellt.

Muhammad (vorne) aus Afghanistan will sich integrieren. Bernhard Schneck hat ihn angestellt.

(Foto: Claus Schunk)

Muhammad hat einen Job bei einem IT-Unternehmen. Ob der 23-Jährige bleiben darf, ist dennoch ungewiss

Von Christina Hertel, Kirchheim

Geduldig bleiben. Ein Satz, den sich Muhammad im vergangenen Jahr oft gesagt hat. Er ist Flüchtling, 23 Jahre alt, aus Afghanistan. Zwei Monate dauerte es, bis klar war, ob er bei einem Kirchheimer IT-Unternehmen arbeiten kann. Nicht, weil ihm die Firma keine Zusage geben wollte, sondern weil die Behörden nicht wussten, wie sie mit einem Flüchtling, der eine Anstellung in Aussicht hat, umgehen sollten. Muhammad wurde von Amt zu Amt geschickt, niemand kannte sich aus. Am Ende klappte es mit dem Job. Das Warten ist trotzdem nicht vorbei. Denn noch ist nicht sicher, ob er überhaupt in Deutschland bleiben darf.

Seinen Nachnamen möchte Muhammad lieber nicht sagen. Er hat Angst, dass dann seine Familie, die immer noch in Afghanistan lebt, bedroht wird - von den Taliban. Über sie sagt Muhammad: "Das sind keine Menschen." Er sitzt in einem Konferenzraum, abstrakte Bilder hängen an der Wand. Muhammad trägt Strickpulli und Dreitagebart, ein Schal ist lässig um seinen Hals geschwungen. In seiner Freizeit macht er Kampfsport. Ein ganz normaler junger Mann?

Kabul, 2015. Muhammad arbeitet für die Nato. Er bringt afghanischen Piloten Englisch bei, erledigt hier und da Reparaturen, immerhin hat er Elektrotechnik studiert. Doch dann werden die Taliban in der Region wieder mächtiger. Sie greifen die Schule an, in der Muhammad arbeitet, sie töten Kollegen, Freunde. Seither geht er nur noch mit großer Sonnenbrille aus dem Haus, um seinen Kopf wickelt er einen Schal. Niemand soll ihn erkennen. Sein Leben, da ist sich Muhammad sicher, ist in Gefahr. Er flieht. Und kommt schließlich in Dornach an.

Einer Helferin erzählt Muhammad, dass er Elektrotechnik studiert hat. Ihr Mann arbeitet zufällig bei Genua, einem Kirchheimer IT-Unternehmen. Muhammad schreibt einen Lebenslauf, alle in der Firma wollen, dass es klappt. "Aber wir wollten auch wissen, was wir beachten müssen, wenn wir einen Flüchtling einstellen", sagt der Geschäftsführer von Genua, Bernhard Schneck. Doch niemand wusste Bescheid. "Wir mussten einmal quer durch die Republik telefonieren." Zwei volle Arbeitstage sei eine Mitarbeiten nur damit beschäftigt gewesen, die Formalitäten zu klären. Am Ende hat es sich gelohnt: Muhammad macht gerade eine so genannte Einstiegsqualifizierung. Ähnlich wie ein Auszubildender arbeitet er dabei in dem Unternehmen und geht parallel zur Schule. Eine reguläre Ausbildung konnte Muhammad bisher nicht anfangen, weil sein Deutsch noch zu schlecht ist.

Bis zu einem Jahr dauert die Einstiegsqualifizierung. Dabei handelt es sich um keine besondere Maßnahme für Flüchtlinge, die Qualifizierung richtet sich an alle Menschen, die Schwierigkeiten haben, eine Anstellung zu finden. Genua will Muhammad danach eine reguläre Ausbildung ermöglichen. Geschäftsführer Schneck ist sich sicher, dass sich Muhammad das Jahr anrechnen lassen kann.

Alles gut also? Nicht so richtig. Muhammad ist noch nicht als Flüchtling anerkannt. Er wartet noch auf seine zweite Anhörung. "Danach entscheiden sie normalerweise", sagt er. "Ich weiß nicht, warum es so lange dauert." Gerade lebt er in einer Flüchtlingsunterkunft in München, sein Zimmer teilt er sich mit zwei anderen Männern. "Es gibt keinen Ort, wo ich in Ruhe lernen kann." Wenn Muhammad Zeit hat, trainiert er Kampfsport in einem Münchner Verein. Es hilft ihm, den Kopf freizukriegen. "Meine Geduld ist dann wieder größer."

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