Jubiläum im Juli:Sonntags zum Frühschoppen

Früher durften nur katholische Gesellen oder Meister der Ismaninger Kolpingsfamilie beitreten. Im 150. Jahr seines Bestehens leitet eine Frau den Verein, der das Gemeindeleben immer noch prägt und aktiv mitgestaltet

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Die Idee, auf einmal um beinahe 20 Jahre älter gemacht zu werden, als man sich bis dato fühlte, mag den meisten eher unbehaglich erscheinen. Bei einem Verein ist das freilich etwas anderes, da mehren ein paar Jahre mehr eher den Stolz auf die eigene Tradition. So mögen sich auch die Mitglieder der Kolpingsfamilie Ismaning gefühlt haben, als ihnen der damalige katholische Pfarrer Johannes Serz 2009 eröffnete, dass es sich beim bislang angenommenen Gründungsjahr 1887 um das Jahr der Wiedergründung gehandelt hatte: Bei seinen Nachforschungen anlässlich der 1200-Jahr-Feier der Gemeinde hatte Serz herausgefunden, dass das Gründungsdatum des "katholischen Gesellenvereins" im Juli 1868 liegt. Die Kolpingsfamilie, wie der Verein seit den Dreißigerjahren heißt, kann heuer also ihren 150. Geburtstag feiern.

Jubiläum im Juli: Der "Katholische Gesellenverein Ismaning" vermutlich in den Jahren 1928 bis 1933.

Der "Katholische Gesellenverein Ismaning" vermutlich in den Jahren 1928 bis 1933.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Und selbst das ist nur das offizielle Datum. "Im Grunde sind wir noch viel älter", sagt Rudolf Höpf, langjähriger Vorsitzender der Kolpingsfamilie. Bereits 1853 nämlich hatten Ismaninger Handwerksgesellen sich zu einem lokalen Verein zusammengefunden. Zeugnis davon gibt ein Zinnkrug, in den die 31 Gründungsmitglieder ihre Namen nebst der Jahreszahl eingravieren ließen. Der Krug steht heute als Dauerleihgabe im Ismaninger Schlossmuseum und wird bei einer Ausstellung anlässlich des Jubiläums im Oktober zu sehen sein. Offiziell bestätigt wurde die Gründung des katholischen Gesellenvereins Ismaning jedoch 1868 durch das königliche Bezirksamt München rechts der Isar. Das hält in seiner Anzeige vom 5. Juli fest, dass sich der Verein damals aus 20 Mitgliedern zusammensetzte. Heute sind es einige mehr: Knapp 170 Mitglieder im Alter von eineinhalb bis mehr als 90 Jahren gehören der Kolpingsfamilie aktuell an, sagt Irmgard Ismair. Sie ist seit 2007 Vorsitzende des Vereins, als erste Frau seit dessen Bestehen.

Jubiläum im Juli: Foto: Alessandra Schellnegger

Foto: Alessandra Schellnegger

Mit dem Namen hat sich über die Jahrzehnte auch der Kreis der zugelassenen Mitglieder verändert. Auf die Initiative des Schustergesellen und späteren Priesters Adolph Kolping hin gründeten sich von der Mitte des 19. Jahrhunderts an die ersten katholischen Gesellenvereine als Reaktion auf die sozialen Umstände. Durch die Industrialisierung und den Zerfall der Zünfte wurden die jungen Handwerksgesellen nicht mehr wie früher in die Familien der Meister aufgenommen, sondern drohten, finanziell und sozial zu verwahrlosen. Durch die Gründung von Gesellenvereinen und -häusern wollte Kolping dem entgegenwirken. "Kolping wollte den Handwerkergesellen wieder eine Heimat geben", sagt Ismair. Um ihre Situation zu verbessern, setzte der gläubige Kolping vor allem auf Solidarität, Gemeinschaft - und Bildung. Eine bis heute sehr aktuelle Ansicht, findet Höpfl: "Kolping hat gesehen, dass man nur durch Bildung weiterkommt." Sich beruflich weiterzuentwickeln und über neue Geschehnisse zu informieren, war und ist bis heute ein wichtiger Teil dessen, was die Kolpingsfamilie leistet.

Jubiläum im Juli: Irmgard Ismaier und Rudolf Höpfl planen die Feier.

Irmgard Ismaier und Rudolf Höpfl planen die Feier.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Erfahrung, bei Kolping eine neue Heimat zu finden, hat auch Höpfl gemacht. Als er 1964 als Schreinergeselle aus dem Bayerischen Wald nach Ismaning kam, habe ihn sein Chef direkt zur bestehenden Kolpingsfamilie geschickt, sagt er. Dort fand der heute 74-Jährige rasch Anschluss - und lernte sogar seine spätere Ehefrau kennen. Das allerdings erst einige Jahre später, denn bis 1970 nahm die Kolpingsfamilie nur Männer auf. "Das Vereinsleben war früher strengen Regeln unterworfen", sagt Höpfl. Ursprünglich war die Mitgliedschaft nur männlichen, katholischen Handwerksgesellen und -meistern vorbehalten, die zudem regelmäßig beichten und jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen mussten. Das kontrollierte der örtliche Pfarrer,. Gleichwohl kam auch der gesellige Teil nicht zu kurz. "Sonntags nach der Kirche ging es immer zum Frühschoppen", erinnert sich Höpfl, und dann hat man ausgemacht, was man am Nachmittag tun wollte - ins Tanzlokal nach Feldkirchen fahren etwa. Hinzu kamen neben Vorträgen und Diskussionen auch gemeinsame Spieleabende und Bälle. Diese Tradition hat sich gehalten. Bis heute organisiert die Kolpingsfamilie jedes Jahr ihre Faschingsbälle im Saal der Ismaninger Pfarrei St. Johann Baptist.

Der Gründer

Adolph Kolping wurde 1813 in Kerpen bei Köln geboren. Er ging bei einem Schuhmacher in die Lehre und lernte als Geselle auf der Wanderschaft die Armut der Handwerker kennen, die diese vor dem Hintergrund der Industrialisierung und dem Zusammenbruch der Zünfte erlebten. Kolping entschloss sich, sich weiterzubilden und Priester zu werden. Er absolvierte das Abitur in Köln und konnte dank eines Stipendiums katholische Theologie studieren. 1945 trat er seine erste Stelle als Kaplan und Religionslehrer in Elberfeld an, das von Fabriken und verarmten Arbeitern geprägt war. Dort lernte er den Lehrer Johann Gregor Breuer und dessen "Katholischen Jünglingsverein zu Elberfeld" kennen. Kolping war von der Idee begeistert und gründete seinerseits 1849 als Domvikar in Köln den ersten katholischen Gesellenverein, um haltlosen jungen Handwerkern eine Zuflucht zu bieten, 1855 eröffnete das erste Gesellenhaus.

Kolping wurde so zum Sozialreformer. Anders als sein Zeitgenosse Karl Marx verfolgte er jedoch das Ziel, die Gesellschaft durch christliches Verhalten der Menschen zu wandeln. Der Ansatz findet bis heute Nachahmer. Bis zu Kolpings Tod 1865 entstanden 418 Vereine in acht Ländern. Heute umfasst allein das Kolpingwerk Deutschland etwa 270 000 Mitglieder. Der katholische Sozialverband versteht sich als Glaubens-, Bildungs- und Aktionsgemeinschaft. In Bayern gab es Ende 2017 559 Kolpingsfamilien mit 64 189 Mitgliedern; die älteste Gruppe gründete Kolping selbst 1851 in München, die jüngste im Kolping-Diözesanverband München und Freising wurde 2013 im Tegernseer Tal ins Leben gerufen. Adolph Kolping wurde 1991 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen. gna

Auch der religiöse Bezug ist noch lebendig. "Wir sind immer noch in der Kirche beheimatet", sagt Höpfl, "aber es wird nicht mehr so streng geschaut, ob jemand jeden Sonntag in die Kirche geht". Ebenso wie es heute auch einen Frauenstammtisch gibt. Und auch evangelische Christen können heute Mitglieder sein, sagt Ismair. In ihrem Aktivitäten verbinden die Kolpingsfamilienmitglieder Kirchliches, Soziales und Geselliges: Sie pflegen christliche Traditionen durch Radl-Maiandachten, Bergmessen oder Totengedenken, mit Altkleidersammlungen und Ständen am Christkindlmarkt erlösen sie Spenden für gute Zwecke, sie bieten Jugendlichen Raum, sich zu treffen. 1999 initiierte die Kolpingsfamilie eine Ausbildungsbörse, wo Betriebe aus der Region und junge Absolventen zusammenfinden können. Anfang Dezember sind die Mitglieder seit Jahrzehnten als Nikoläuse im ganzen Ort unterwegs. Mit all diesen Aktivitäten sind sie ein lebendiger Teil der Ismaninger Vereinslandschaft und gestalten das Ortsleben mit.

Und wenn überraschend einmal wieder Gesellen auf der Walz vor der Tür stehen, so wie es im Frühjahr 2014 der Fall war, verschaffen die Mitglieder diesen freilich auch eine Übernachtungsmöglichkeit.

Ihren Geburtstag feiert die Kolpingsfamilie Ismaning am 21./22. Juli mit einem Festwochenende mit Handwerkermarkt im Kircheninnenhof, einem feierlichen Gottesdienst und anschließendem Umzug durch den Ort. Für den Markt wird noch ein Schuster gesucht, der seine Handwerkskunst präsentieren möchte. Im Oktober folgt zudem eine Sonderausstellung im Schlossmuseum.

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