Joe Cocker in München:Er fuchtelt noch immer

Joe Cocker kann es nicht lassen: In der Münchner Olympiahalle begeistert er 9000 Fans mit Klassikern und Songs von seinem neuen Album. Im Publikum sitzen Rentnerpärchen. Aber nicht nur.

Tobias Dorfer

Eigentlich müsste er sich das gar nicht mehr antun. Fünf Konzerte in sechs Tagen. Erfurt. Zwickau, München, Mannheim, Oberhausen. Der Stress, das Reisen, die immergleichen Hallen, der Mann ist schließlich auch schon 66. Stattdessen könnte es sich der Wahlamerikaner Joe Cocker auf seiner 80-Hektar-Ranch irgendwo im Nirgendwo von Colorado bequem machen, mit den Hunden raus gehen, beim Fliegenfischen entspannen und von Zeit zu Zeit, so erzählt er es jüngst in einem Interview, kommt dann einer vorbei, den er kennt oder auch nicht, und grüßt freundlich: "Guten Morgen Joe!"

Konzert Joe Cocker

Hey, Joe: 66 Jahre ist Joe Cocker inzwischen alt. Auf der Bühne rockt er noch immer, wie hier im November in Berlin.

(Foto: dapd)

Einer kommt da und nicht 9000 wie am Donnerstagabend in die Münchner Olympiahalle. Das ist der springende Punkt. Joe Cocker kann es nicht lassen. Er, der es vom Gasinstallateur zum Megastar gebracht hat, der mit Welthits wie "Unchain my heart" seine persönliche Wiedergeburt feierte, der vor 400.000 Menschen in Woodstock rockte, in mehr als vier Jahrzehnten 21 Studioalben veröffentlicht hat, dessen Titelsong zum Film "Ein Offizier und Gentleman" mit dem Oscar ausgezeichnet wurde - wem muss so einer noch etwas beweisen?

Vielleicht sich selbst. Den Fans nicht, die kommen auch so. Angelockt von der Sehnsucht nach Klassikern wie "You can leave your hat on", "Summer in the city" und "Up where we belong" und von den Titeln des neuen Albums "Hard Knocks", in dem Joe Cocker die Nackenschläge, die ihn im Leben getroffen haben, musikalisch aufarbeitet, und mit dem er es erstmals an die Spitze der deutschen Album-Charts geschafft hat - nach mehr als 40 Jahren im Geschäft. Eine Platte, deren größter Fehler, so sagen es die Kritiker in den einschlägigen Foren, die Tatsache ist, dass nach zehn Songs und etwa 38 Minuten schon alles wieder vorüber ist.

Viele seiner Fans sind mit Joe Cocker alt geworden. Rentnerpärchen sitzen im Publikum und vor der Bühne stehen Männer mittleren Alters mit Schnurrbärten, die sich die Winterjacke um die Hüften geknotet haben und Bier aus Plastikbechern trinken. Neben ihnen reife Frauen mit Lockenmähne und Jeansjacke. Aber auch die "Generation Take That" ist in der Olympiahalle präsent. Junge Menschen, die ihren ersten Kontakt mit Joe Cocker beim Initalschauen der Woodstock-DVD hatten.

Sie alle kommen auf ihre Kosten. Denn Joe Cocker nimmt sie mit auf eine musikalische Zeitreise. Er startet mit dem rockigen "Get on", einem der Sahnestücke aus seinem neuen Album. Ein Höhepunkt des Konzerts ist auch die Ballade "Unforgiven". Oder, nur wenig später, "N'oubliez jamais", eine Ode an die Individualität der Menschen. Rockig wird es mit "Hard knocks", dem Titelsong des neuen Albums und dem hämmernden "When the night comes". Emotional mit "With a little Help from my friends", dem Beatles-Song, mit dem 1969 Cockers große Karriere unter anderem beim Woodstock-Festival begann.

Schon nach dem ersten Titel entledigt sich Joe Cocker seines Sakkos, springt mit seinem ausgeprägten Bauch in die Luft, immer wieder, schreit seine legendären Woodstock-Schreie, einmal, zweimal, dreimal. Anstrengend ist das, nicht selten muss ein Saxophon- oder Klaviersolo zur kurzzeitigen Trinkpause herhalten. Aber den Platz vorne auf der Bühne macht Joe Cocker sowieso niemand streitig. Der Scheinwerferkegel vorne auf der Bühne gehört ihm allein, das bleibt von der ersten bis zur letzten Minute so. Dahinter darf sich die Band aufreihen, die ihre Sache gut macht, aber nicht selten viel zu laut, so dass diese Reibeisenstimme, deren Klang von so viel Leben und durchgesoffenen Nächten erzählt, ständig unterzugehen droht.

Joe Cocker windet sich, schreit, hier ein wenig Luftklavier, da diese typischen cockerschen Fuchtelbewegungen. All das ist mit den Jahren weniger geworden, aber die Hingabe bleibt. Das Publikum dankt es ihm mit frenetischem Beifall. In den Reihen wird getanzt, junge Kerle, noch nicht einmal 30, schicken ihrer Freundin MMS mit Konzertimpressionen. Jede Generation hat ihren Weg, singt Cocker in "N'oubliez jamais" und es scheint, als träfen sich diese Wege - zumindest für einen Abend - vor einer Bühne.

Nach knapp zwei Stunden und 19 Songs verabschiedet sich der 66-jährige Sänger. "Keep rocking" krächzt Joe Cocker am Schluss noch ins Mikrofon, bevor er die Bühne verlässt. Es klingt, als wolle er wiederkommen.

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