Zu wenig Krankenpfleger:Agentur vermittelt Pflegekräfte nach Deutschland

Kirchheim, Pflegeagentur, Friederike Schellenberger und Wolfgang Schellenberger, Geschäftsführer

Friederike und Wolfgang Schellenberger arbeiten von einem Reihenhaus in Kirchheim aus. Für die Bewerbungsgespräche reisen sie überall hin.

(Foto: Angelika Bardehle)

Das Ehepaar Schellenberger sucht über seine Agentur Pflegepersonal im Ausland. Der Bedarf in Deutschland ist groß, aber die Hürden sind es auch. Zudem hat die Agentur strenge Suchkriterien.

Von Christina Hertel, Kirchheim

Deutschland sei ein Land voller "Lebensmöglichkeiten", sagt Neela. Für ihre Kinder - die sie noch nicht geboren hat. Wegen der guten Ausbildung, dem Geld, das man verdienen könne, und überhaupt der ganzen Lebensqualität. Neela, die lieber anonym bleiben möchte, ist Altenpflegerin, kommt ursprünglich aus Indien - so wie ihr Mann. Sie suchten beide in Italien ein besseres Leben und fanden es nicht. Dann lasen sie eine Anzeige von einer Agentur, die Pflegekräfte in deutsche Altenheime vermittelt. Heute arbeitet Neela in einem Seniorenzentrum in Oberbayern.

Die Vermittlungsagentur, die Neela anwarb, heißt "europcare" und hat ihren Sitz in Kirchheim, in einem Reihenhaus am Ortsrand. Im zweiten Stock, einem Raum voller Aktenordner, haben Friederike und Wolfgang Schellenberger ihr Büro. Die beiden verdienen Geld, weil sich in Bayern nicht genug Menschen finden lassen, die Lust haben, sich um Alte und Kranke zu kümmern. Im ganzen Freistaat fehlen etwa 2040 Fachkräfte in der Altenpflege. Laut den neusten Zahlen der Arbeitsagentur waren im Februar im Landkreis zwölf Stellen nicht besetzt, in der Stadt München waren es 96. Um die Lücken zu schließen, werben einige Heime im Ausland.

Von den circa 1900 Menschen, die im Landkreis in der Altenpflege arbeiten, haben 800 keinen deutschen Pass. Nicht alle, aber viele von ihnen wurden von Agenturen angeworben. Doch wie funktioniert dieses Geschäft eigentlich? Wie stellen die Betreiber solcher Modelle sicher, dass die Menschen, die nach Deutschland kommen, gute Arbeit leisten? Und dass sie keine Kriminellen sind - wie der polnische Pfleger, der zwei Rentner in Ottobrunn und Kitzingen ermordet haben soll - und womöglich weitere Senioren in ganz Deutschland tötete?

Die Kirchheimer Agentur vermittelt Pfleger nur in Seniorenzentren und Kliniken und nicht zu Privatleuten nach Hause. Konstruktionen, bei denen Pflegerinnen 24 Stunden am Tag bei ihren Patienten leben, möchten Friederike und Wolfgang Schellenberger nicht unterstützen, sagen sie. Die Geschäftsleute suchen ihre Pflegekräfte auch nicht in Osteuropa, sondern in Tunesien, den Malediven, Mexiko, Brasilien. Unter ihren Klienten sind viele Inder wie Neela, die sie zum Beispiel in Italien oder den Golfstaaten anwerben. Der Grund, dass die beiden nicht auf Europäer setzen: Pfleger aus dem Balkan oder Spanien würden nicht lange in den Altenheimen bleiben, sagt Friederike Schellenberger, sondern schnell in Krankenhäuser wechseln. "Sie glauben, sie hätten dort mehr medizinische Verantwortung - so wie sie es aus ihren Heimatländern kennen."

Alle Menschen, die das Ehepaar anwirbt, sind ausgebildete Krankenpfleger. Auch Neela arbeitete in Indien in einem Krankenhaus. Sie und ihr Mann machten sich auf nach Italien, weil sie hofften, in Europa mehr zu verdienen. Aber Neela fand keinen Job. Dann sah sie die Anzeige der Firma europcare. Sie riefen dort an, bewarben sich, und es klappte. Zuerst mussten die deutschen Behörden Neelas Ausbildung anerkennen. Jeder Fall werde einzeln geprüft, sagt Wolfgang Schellenberger, doch er habe die Erfahrung gemacht, dass seine Klienten in fast der Hälfte der Fälle zunächst bloß eine teilweise Anerkennung bekommen. Deshalb müssen sie häufig einen Vorbereitungslehrgang besuchen und eine Prüfung ablegen.

Weitere Voraussetzung: Deutsch-Kenntnisse auf B2 Niveau. Den Sprachkurs machen die zukünftigen Altenpfleger nicht in Deutschland, sondern in dem Land, in dem sie sich gerade aufhalten - sonst wäre es zu teuer, sagt Friederike Schellenberger. Momentan wird jeden Monat eine Sprachkurs-Gruppe von 15 Leuten fertig. Nächstes Jahr sollen es doppelt so viele sein. Sechs feste und 20 freie Mitarbeiter werben für Wolfgang und Friederike Schellenberger Menschen an, füllen Papiere aus, schlagen sich mit Behörden herum.

"Das Anerkennungsverfahren", sagt Wolfgang Schellenberger, "ist eine Katastrophe." Besonders im Raum München dauere es viel zu lange - manchmal bis zu eineinhalb Jahre. "Das liegt daran, dass die Behörden der Flut von Anträgen nicht Herr werden." Für die Agentur ist das ein Problem: Der Arbeitsvertrag muss schon vorher unterschrieben, eine Wohnung gefunden sein. Sonst würde sich niemand aus dem Ausland auf den Weg ins teure München machen, sagt Wolfgang Schellenberger. Deshalb vermittelt das Ehepaar häufiger in kleinere Städte mit günstigeren Mieten - obwohl der Bedarf rund um die Landeshauptstadt groß ist und obwohl die Pflegekräfte hier mehr verdienen. Für Fachkräfte in Stadt und Landkreis München würde die Agentur fast 3000 Euro brutto als Startgehalt aushandeln. In Niederbayern oder Niedersachsen seien es 500 Euro weniger.

Um ein Gespür für die Menschen zu bekommen, die sich bewerben, führen Friederike und Wolfgang Schellenberger selbst die Bewerbungsgespräche, jeden Monat seien sie dafür im Ausland unterwegs. Alle Bewerber müssen ein Führungszeugnis vorlegen. Doch eine Behörde, die die Agentur kontrolliert, gibt es nicht. "Es spricht sich herum, wenn jemand keine gute Arbeit leistet", sagt Friederike Schellenberger.

Welchen Gewinn sie macht, will sie nicht verraten. Nur so viel: europcare arbeitet meistens mit mittelständischen Einrichtungen zusammen, aber auch mit der Caritas.

Neela musste erst ein paar Monate als Hilfskraft arbeiten. Vieles sei anders als in Indien, sagt sie. Die medizinische Verantwortung sei nicht so groß. Und mit dem bayerischen Dialekt tue sie sich immer noch schwer. Zurück nach Indien will sie trotzdem nicht.

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