Ismaninger Lesebühne:Kopfsprung in den Textteich

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An einem poetischen Abend mit Liedern und Texten wie in der Blackbox der Seidl-Mühle darf die Gitarre nicht fehlen - hier Dan Cotletto. (Foto: Florian Peliak)

Bei der Premiere der Lesebühne in der Blackbox der Volkshochschule wagen sich Meike Harms und Markus Berg mit ihren Gästen "ran ans Wort".

Von Irmengard Gnau, Ismaning

- 26 Buchstaben umfasst das deutsche Alphabet, hinzu kommen die Umlaute Ä, Ö und Ü und das mehr und mehr in Vergessenheit geratende Eszett. Gemeinhin wird dieses Angebot dazu genutzt, Bedürfnisse und Wünsche zu artikulieren, Geschehenes darzustellen oder auch einmal Missmut kundzutun.

Wenn die Wortpoetin Meike Harms in die Auswahlkiste greift, scheint es, als bediene sie sich in einer anderen Welt. Dann werden aus trockenen Buchstabenreihen kunstvolle Wortketten und glitzernde Sprachhöhen, die Linguistin formt aus der Analyse gutturaler Laute und rhetorischer Figuren eine Liebeserklärung erotischen Ausmaßes an die deutsche Sprache.

Die Neugierigen sollten nicht enttäuscht werden

Zum ersten Mal haben sich am Freitagabend Bühnenpoeten in Ismaning zu einem gemeinsamen Auftritt im Kultur- und Bildungszentrum Seidl-Mühle versammelt. Eingeladen hatten Harms und ihr Ismaninger Kollege Markus Berg zur ersten Ismaninger Lesebühne unter dem Titel "Dichter ran ans Wort", gekommen waren die Münchner Dichterin Fee, U20-Meisterin im Poetry Slam, der amtierende Münchner Poetenkönig Alex Burkhard und der Singer- und Songwriter Dan Cotletto. Einen Abend, an dem gelacht und geweint werden darf, hatten die Gastgeber ihren Zuschauern angekündigt, "kein beef, sondern brain", und die Neugierigen in der Blackbox der Volkshochschule sollten nicht enttäuscht werden.

Auf der schlichten, niedrigen Bühne entrollen die Vortragenden trickreiche Sprachspiele und manch inhaltsschweren Gedanken im luftigen Wortgewand, gewitzt, hintersinnig, stets elegant. Mit Leidenschaft tauchen Harms, Fee, Burkhard und Berg in "Textteiche" ein, weben Erinnerungen und Erlebnisse kunstvoll zu Geschichtssträngen und beweisen am Mikrofon, dass sich Lyrik nicht nur in gekonnten Reimen entfaltet, diese aber eine durchaus beeindruckende Wirkung hinterlassen können.

Er verteidigt im Dialog mit dem Teufel seine Dichterseele

"Lokalmatador" Berg dürfte vielen Ismaningern vor allem seit dem vergangenen Sommer bekannt sein, als der 48-Jährige beim Lyrikwettbewerb "Ismaning dichtet" anlässlich des großen Kulturwochenendes die Jury mit seinem Beitrag zu überzeugen wusste und als Preisträger ausgezeichnet wurde. Auf der Lesebühne verteidigt er im Dialog mit dem Teufel seine Dichterseele gegen die Versuchungen von Ruhm und Geld, um schließlich in der Begegnung mit dem altehrwürdigen Wort die Erkenntnis zu erlangen, das Leben sei zu leben wie ein Gedicht.

Die Gäste um Burkhard, der gemeinsam mit Fee und zwei weiteren Mitstreitern vor eineinhalb Jahren die Münchner Lesebühne "Die Stützen der Gesellschaft" im Fraunhofer Theater ins Leben gerufen hat, lassen mit ihren wohlgeschliffenen, doch zugleich angenehm unprätentiös vorgetragenen Texten erahnen, warum mancher die Münchner Salonkultur der Zwanzigerjahre wiedererwachen sieht.

Burkhard aktualisiert die sieben Streiche von Max und Moritz

In Burkhards lyrischer Erinnerung an den Westallgäuer Heimatsound etwa klingt die herzerwärmende Ode an die Freundschaft mit, seine Beobachtungsgabe beweist der Endzwanziger in seiner aktualisierten Variante der sieben Streiche von Max und Moritz, die heute bei keinem Investmentbanker mehr ein müdes Lächeln hervorrufen, ebenso wie bei der augenzwinkernden Wiedergabe eines Dialogs zweier älterer Münchner Damen im Bus.

Erotisches, Erkenntnisreiches, humorvolle Beobachtungen aus dem Alltag, Mutmacher und Sozialkritik, zeitgenössische Lyrik, untermalt von Cotlettos erfrischend persönlichen Liedern zur Akustikgitarre lassen das Publikum schmunzeln, auflachen und manches Mal auch schlucken. Nachdem die erste Phase der Annäherung an das teils ungewohnte Format überwunden ist, lässt es die Künstler am Ende nicht ohne Zugabe von der Bühne treten. Die wiederum holen sich von den beiden Hausherren, Gemeindebibliotheksleiter Christian Mörtel und Volkshochschuldirektor Lothar Stetz, die ersten Zustimmungsbekundungen, dass dies nicht der letzte Abend der Ismaninger Lesebühne gewesen sein soll.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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