Ismaning:Kita statt Konserven

Ismaning: Nur der Wasserturm steht noch da wie eh und je, der Rest des "Durach-Geländes" verändert sein Gesicht in diesen Monaten deutlich.

Nur der Wasserturm steht noch da wie eh und je, der Rest des "Durach-Geländes" verändert sein Gesicht in diesen Monaten deutlich.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auf dem Durach-Gelände in Ismaning standen einst die größten Sauerkrautsilos der Welt. Nun entsteht auf dem Areal im Süden des Orts ein neues Wohngebiet. Doch die Geschichte des ehemaligen Krautdorfs ist noch greifbar.

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Ein grünes Einfahrt-Schild steht am Eingang an der Münchner Straße 82, wenige Meter vom Wasserturm entfernt. Das alte Gemäuer überragt ein weitläufiges Gelände im Süden von Ismaning, das nicht nur für Einheimische eng mit den Namen "Develey" und "Durach" verknüpft ist. Heute erinnert nur noch das Emblem auf der grünen Stele an die Fabrik, die dort jahrzehntelang stand; gleich dahinter beginnt der Bauzaun.

Eine gelbe Tafel weist darauf hin, dass das Betreten des Geländes inzwischen verboten ist - Baustelle. Wo jahrzehntelang Krautköpfe und Gärsilos das Bild bestimmten, graben gelbe Bagger ihre Riesenschaufeln in den Schutt. Sie sorgen dafür, dass wohl schon bald nichts mehr von der alten Develey-Halle übrig sein wird. An ihrer Stelle will die Besitzerfamilie Durach auf dem Gelände in den kommenden Jahren ein neues Wohngebiet hochwachsen lassen.

Die Abbrucharbeiten laufen

Der erste Bauabschnitt ist bereits im Werden. Sobald die Abbrucharbeiten abgeschlossen sind, sollen auf dem westlichen Teil des Areals bis Oktober 2016 mehr als 50 Wohnungen entstehen. Mehrfamilienhäuser, mit Tiefgarage und allem, was dazu gehört. Der zweite Bauabschnitt, an der Münchner Straße, ist in Planung. Dort werden es voraussichtlich noch einmal rund 135 Wohnungen, dazu eine Kita und womöglich ein Café an einem kleinen Platz.

Vor einem halben Jahrhundert hätte sich das wohl noch kaum ein Ismaninger vorstellen können. Damals stand die "Krautgemeinde", wie sie im Volksmund hieß, noch ganz im Zeichen ihres wichtigsten landwirtschaftlichen Exportguts - nicht zuletzt wegen der Firma Durach und deren Sauerkrautfabrik. Kunstvoll aufgerichtete Krautwagen gehörten zum Ortsbild Ismanings wie das Schloss oder der Wasserturm.

Krautfuhren im Halbstundentakt

Zu den Hochzeiten der Fabrik in den 1960er und 70er Jahren lieferten die Bauern ihre Fuhren im Halbstundenrhythmus an der Münchner Straße an, erinnert sich Landwirt Nikolaus Kraus, Jahrgang 1965. Er brachte als Bub oft mit seinem Vater die Ware vom eigenen Hof zur Fabrik Durach. Pro Bauernhof waren es etwa 150 Zentner auf zwei Anhängern, schätzt er. "Größere Bauern haben bis zu zwei Mal am Tag geliefert", erinnert sich Kraus, je nach der Menge, die im Vertrag festgehalten war.

Den Lärm auf dem Hof der Sauerkrautfabrik hat Kraus noch in Erinnerung. Die Maschinen ratterten, die Strünke des Weißkohls mussten entfernt, die Krautköpfe geschnitten und schließlich im Gärbassin gesalzen und eingelegt werden. Bevor das Kraut weiterverarbeitet werden konnte und schließlich als Sauerkraut in Kilodosen die Fabrik wieder verließ, musste der Krautbauer mitsamt seinem Anhänger auf die Fuhrwerkswaage fahren. Dann wurde abgeladen und der leere Wagen noch einmal gemessen, bevor der Waagmeister dem Landwirt schließlich seine Netto-Ladung bescheinigte.

Ismaning: Krautverladen um 1920

Auch wenn das Sauerkraut in der Fabrik maschinell hergestellt wurde, blieb der Anbau sehr handarbeitsintensiv.

(Foto: Gemeindearchiv Ismaning)

Wie viel Kraut letztlich auf einem Wagen Platz fand, lag am Geschick der Helfer. Da viele Bauernfamilien über die Jahre ihre eigene Züchtung entwickelt hatten, waren die Ismaninger Krautköpfe nicht einheitlich rund, sondern hatten jeder ihre eigene Form. Ideal für den individuellen Geschmack, aber eine Herausforderung für denjenigen, der das Transportgerät zu beladen hatte. Die Ismaninger "Charakter"-Krautköpfe auf den Wagen so aufeinanderzuschichten, dass sie nicht herunterfielen - "das war die Kunst der alten Ismaninger", erzählt Kraus schmunzelnd.

Der Bischof bekam sein eigenes Kraut

Das Kraut hat Ismaning geprägt, bestätigt auch Christine Heinz. Die Leiterin des Schlossmuseums beschäftigt sich seit Langem mit der Ismaninger Historie. Und die ist - dem guten Almboden sei's gedankt - bereits seit einem halben Jahrtausend eng mit dem Kraut verbunden. Seit 1509 ist es urkundlich verbrieft, dass die Ismaninger Krautanbauer ein Zehnten ihrer besonders würzigen und feinen Ernte den Domherren von Freising als so genanntes "Bischofskraut" verehrten. "Das Kraut war mehr als 500 Jahre lang mit der wichtigste Gewerbezweig des Orts", sagt Heinz.

Luftaufnahme Durachgelände Ismaning 1956 2: Wasserturm, Sauerkrautfabrik Durach an der Münchner Straße

Die Sauerkraut aus der Vogelperspektive. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1956.

(Foto: Gemeindearchiv Ismaning)

Der gute Ruf des "Ismaningers" ließ im 20. Jahrhundert auch den Lebensmittelfabrikanten Eduard Durach aus München auf das Dorf im Norden der Stadt aufmerksam werden. "Durach hat vermutlich schon früher von Ismaninger Bauern Kraut gekauft", erklärt Christine Heinz. 1937 beschloss der Geschäftsmann schließlich, eine eigene Fabrik in Ismaning zu eröffnen, die er am südlichen Ortsrand an der Straße nach München errichten ließ.

Dank geschickter Expansionspolitik gelang es der Unternehmerfamilie Durach in den folgenden Jahrzehnten, mehreren kleineren Betrieben im Umkreis ihre Ware abzukaufen und diese unter eigenem Namen abzusetzen. So verschaffte sich der Großbetrieb einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Einige Krautfabriken wurden später von Durach übernommen. Dank seiner Größe konnte das Unternehmen seine Konserven wirtschaftlicher produzieren und seine Produktpalette erweitern und trotzte so dem Wandel in der Nahrungsmittelindustrie. Kleineren Betrieben wie auch der "Ersten Bayerischen Krautverwertungsgenossenschaft" hingegen machte der Wandel des Konsumverhaltens zu schaffen.

Die Genossenschaft hatten Ismaninger Bauern bereits 1898 ins Leben gerufen, um mit ihrer eigenen Fabrik eine Antwort auf die Nachfrage nach Sauerkraut im frühen 20. Jahrhundert zu geben. Auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 waren sie gar mit einer Goldmedaille für ihr besonders zartes und hochwertiges Sauerkraut ausgezeichnet worden.

Mit den Kühlschränken kam der Niedergang

Doch seit den Fünfzigerjahren waren Kühlschränke in den privaten Haushalten auf dem Vormarsch, die Transportwege von Lebensmitteln wurden weiter und mit steigendem Wohlstand wuchs auch die Neugier der Esser auf die neue Vielfalt. Das traditionelle Sauerkraut war in der Folge weniger gefragt. Die Genossenschaft löste sich 1971 auf, die Fabrik wurde geschlossen.

Ismaning: Krautwagen auf dem Durachgelände um 1980

Krautwagen und Wasserturm. Eine Aufnahme des Firmengeländes von ca. 1980.

(Foto: privat/ Sammlung Schlossmuseum Ismaning)

Die Firma Durach hingegen konnte weiter Rekordabsätze vermelden. "Mit dem Ausbau des Exportgeschäfts hat die Eduard Durach KG Ismaning ihre Stellung als einer der führenden Sauerkrauthersteller der Bundesrepublik weiter gefestigt", heißt es in einem Artikel der Bayerischen Staatszeitung vom Januar 1974. Den Angaben zufolge lieferte die Ismaninger Fabrik im Vorjahr 1973 allein nach Italien und Frankreich mehr als 1,7 Millionen Kilogramm Sauerkraut. Die werkseigenen Gärsilos galten mit einem Fassungsvermögen von 300 000 Kilo als "größte Sauerkrautsilos der Welt". Im Jahresdurchschnitt ernteten die Ismaninger Krautbauern zu dieser Zeit etwa 115 000 Doppelzentner, also 11 500 000 Kilo Weißkraut, von dem ein Großteil zu Sauerkraut verarbeitet wurde. Angesichts dieser Wirtschaftskraft standen auch Klagen über Geruchsbelästigung im Dunstkreis der Fabrik hintan.

"Das Kraut hat Wohlstand für die Bauern gebracht, aber auch viel Arbeit", rekapituliert Nikolaus Kraus rückblickend. Denn der Krautanbau erforderte trotz der fortschreitenden Technisierung in der Landwirtschaft viel Handarbeit. Ein Aufwand, der irgendwann nicht mehr zeitgemäß war - zu wenig Ertrag für die große Mühe.

1987 zog Durach nach Dingolfing

Als 1987 die Firma Durach ihre Sauerkrautproduktion ins niederbayerische Dingolfing verlagerte, läutete sie damit das Ende einer Tradition ein. "Für die Ismaninger Bauern war 1987 eigentlich das Jahr, das für sie das Ende des Krautanbaus bedeutete", rekapituliert Museumsleiterin Heinz. Das Gelände an der Münchner Straße war von nun an nur mehr Lager und Umschlagplatz. Die Bauern mussten sich Alternativen suchen.

Ismaning Sauerkrautfabrik Durach: Fabrikbesitzer Durach tanzt mit einer Krautkönigin 1954

Darf ich bitten? Firmenbesitzer Hans Durach tanzt 1954 mit einer Krautkönigin.

(Foto: privat/Sammlung Schlossmuseum Ismaning)

"Der Weggang von Durach war natürlich schade, die Krautfabrik war ein guter Abnehmer für die Bauern", sagt Kraus. Dennoch, gibt er zu bedenken, sei dies angesichts des anspruchsvollen Gemüses eine ganz natürliche Entwicklung gewesen: "Das Rad der Zeit dreht sich unaufhörlich." Heute bauen noch etwa zehn Landwirte in Ismaning Kraut an, schätzt Kraus, nur eine Handvoll davon pflegt noch die alte Ismaninger Sorte.

Gleichwohl erinnert die Gemeinde auch heute noch mit Stolz an ihr historisches Erbe als "Krautdorf": Seit dem Jahr 2009, in dem die Ismaninger der ersten urkundliche Erwähnung des Krautanbaus ein halbes Jahrhundert zuvor gedachten, verschönern Dutzende mannshohe, individuell gestaltete Krautkopf-Skulpturen das Ortsbild.

Ein Krautkopf für Schleswig Holstein

Eine von ihnen hat es sogar in den hohen Norden geschafft und ziert inzwischen eine Verkehrsinsel in der Nähe von Dittmarschen in Schleswig-Holstein. Die Ismaninger hatten die Skulptur der Dittmarscher Krautkönigin zum Geschenk gemacht, die anlässlich der 1200-Jahr-Feier der Gemeinde einen Gratulationsbesuch abgestattet hatte - aus alter Verbundenheit, eignet sich der Marschboden an der Küste doch beinahe ebenso hervorragend für den Krautanbau wie der Ismaninger Almboden.

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