Ismaning:Heiter bis unheimlich

Eine neue Ausstellung in Ismaning zeigt das Frühwerk des Malers Hans Jürgen Kallmann

Von Udo Watter, Ismaning

Eines der berühmtesten Gedichte der Expressionismus - Jacob van Hoddis' 1911 erschienenes "Weltende" - beginnt mit den Zeilen: "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, in allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei. Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut." Wer weiß, ob der 1908 geborene Künstler Hans Jürgen Kallmann dieses populäre Gedicht gekannt hat - wenn ja, dann hat er in seiner thematisch verwandten Zeichnung aus dem Jahr 1932 den apokalyptischen Charakter der literarischen Vorlage nicht gerade betont.

Vielmehr ist das Werk, in dem ein unwettergeplagter Passant in einer krassen Diagonalen mit Schirm in der Hand durch den Wind gezogen wird und seines Hutes verlustig geht, humoristisch gezeichnet, fast cartoonhaft. Der dargestellte Regenschirmträger erinnert mit seinen Knickerbockers und von der Kopfform her auch an Hergés Comicfigur Tim (aus "Tim und Struppi"), dessen erstes Abenteuer 1929 erschienen war. "Es zeigt eine Seite an Kallmann, die sonst nicht so bekannt ist: seine humorvolle", erklärt Rasmus Kleine, Leiter des Kallmann-Museums. Das Werk ("Ohne Titel") gehört zu einer Sammlung von 55 Zeichnungen, die jetzt im Rahmen der Ausstellung "Hans Jürgen Kallmann - Das Frühwerk" (bis 28. Januar) erstmals in Ismaning zu sehen sind. Angefertigt wurden sie 1932 für die Mitteldeutsche Illustrierte in Halle und aufgetaucht sind sie erst kürzlich auf einem Dachboden. Kurt Sommer, damals Feuilletonchef der Illustrierten, hatte sie aufbewahrt und an eine seiner Töchter weitervererbt.

Kallmann

Der Regenschirmträger in dieser Zeichnung ohne Titel aus dem Jahr 1932 erinnert ein wenig an Tim aus Hergés Comic "Tim und Struppi".

(Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2017)

Auffällig an diesen Zeichnungen, die der damals fast mittellose, in Berlin lebende Künstler für die Zeitung aus Halle anfertigte, ist neben den heiter-komischen Aspekten freilich auch seine Fähigkeit, mit wenigen Strichen eine Welt entstehen zu lassen. Die Themen sind "Menschen im Zoo" oder Impressionen aus der Arbeitswelt. Es sind skizzenhafte, in Kohle und Tusche gefertigte "Reportagen", wie Kallmann sie nannte, mit feinem Blick beobachtet, erzählerisch, und ab und an satirisch. Die Arbeiten sind beeindruckend in ihren Details und zeigen schön ein spezifisches Talent Kallmanns: "Das Interesse am Charakterisieren von Menschen hat ihn schon früh angetrieben", sagt Kleine.

Darüber hinaus sind im Museum auch zum ersten Mal Zeichnungen zu sehen, die Kallmann noch in seiner Schulzeit anfertigte, die er in Halle verbrachte. Generell sind die wieder aufgetauchten Arbeiten eine kleine Kompensation dafür, dass ein Großteil des Frühwerks im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen ist, darunter laut Kallmann 350 Ölgemälde. Das Museum in Ismaning besitzt freilich eine respektable Anzahl an Bildern, welche die aktuelle Ausstellung ansprechend ergänzen.

Kallmann, Der Weg

Düstere Aussichten: Das Bild "Der Weg" von 1936 kann man als Zeitdokument interpretieren.

(Foto: Thomas Kersten/Schenkung Ute Win)

In einem Raum sind vornehmlich Pastellbilder zu sehen, die durch ein düsteres Kolorit geprägt sind. Moorlandschaften, mystische Mondstimmungen sind die Sujets, generell die Natur in ihrer unheimlichen Form. Das Bild "Der Weg" zeigt einen Pfad im Zwielicht, der ins Unbekannte führt. Das formal entsprechend komponierte Bild entwickelt einen Sog, dem sich nur der Betrachter gerne hingibt, den das Dunkle, Unzugängliche anzieht. Dass damit auch ein Unbehagen mit der Zeit einherging, das Bild entstand 1936, ist gut möglich. Der später als "entartet" stigmatisierte Künstler war definitiv kein Freund des NS-Regimes. Neben Zeichnungen und (oft) düsteren Landschaftsbildern gehören auch menschliche Porträts zu den Eckpfeilern der Kallmannschen Kunst. In Ismaning hängen einige Exponate aus dem Besitzt des Museums sowie Leihgaben, die in Gestaltung und vom Motiv her hoch interessant sind, etwa "Der Clown", "Der abgewandte Mann" oder "Tibetanische Mutter", die zwar nicht avantgardistisch, aber eigenwillig, und in ihrer Zeit durchaus kontrovers waren. "Die Dreißiger und Vierziger sind für mich künstlerisch die stärksten Phasen von Kallmann, weil er da auch eine eigene Bildsprache entwickelt hat", urteilt Kleine. Im letzten Raum der Ausstellung hängen noch Werke aus der Zeit, in der Kallmann in Venezuela lebte (1949 bis 52), die nicht mehr zum Frühwerk gehören. Sie warten mit hellerer Farbigkeit auf, besonders humorvoll sind sie indes nicht.

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