Ismaning:"A Fuffzgerl für Witwen"

Arbeiterunterstützungsverein Ismaning

Jubiläumsfeier anno 1925: Am 24. Mai gruppierten sich damals die Mitglieder in Ismaning zum Fototermin.

(Foto: privat)

Der Arbeiterverein Ismaning feiert an diesem Samstag sein 120-jähriges Bestehen

Von Tobias Krone, Ismaning

Kirche und Sozialismus passen auf den ersten Blick nicht richtig zueinander. Doch Ende des 19. Jahrhunderts nahmen sich nicht nur Kommunisten und Sozialdemokraten der sozialen Frage an, sondern sogar der Papst. "Wehe dem Vereinzelten. Wenn er fällt, so hat er niemand, der ihn aufrichtet", zitierte Leo XIII. 1891 die Bibel in seiner Enzyklika De Rerum Novarum, mit der er sich gegen antikapitalistische Strömungen stellte, gleichzeitig die Vereinigung von Arbeitern begrüßte: Die besitzlosen Katholiken sollten sich zusammentun, um einander zu unterstützen. Vier Jahre später gründete sich im damals etwa 2000 Einwohner zählenden Dorf Ismaning ein christlicher Arbeiterverein, der an diesem Samstag sein 120-jähriges Bestehen feiert.

Großbetriebe wie im Ruhrgebiet gab es hier freilich nicht, doch einige Großbauernhöfe, auf denen Knechte und Mägde arbeiteten. Neben einer Papier- und einer Krautfabrik beschäftigte die Seidl-Mühle mit ihrer Sägerei Arbeiter und Handwerker, im Moos arbeiteten Torfstecher. Der Verein diente ihnen als eine Art Kranken- und Lebenszusatzversicherung. Trotz der Krankenversicherung, die Reichskanzler Otto von Bismarck 1883 eingeführt hatte, reichte das Krankengeld für Arbeiter nicht aus, um die Familie zu ernähren. Über ein Umlageprinzip erhielten Kranke und Witwen vom Verein kleine Zuschüsse. An die Vereinskasse zahlte jedes der ursprünglich 33 Mitglieder monatlich 25 Pfennige - ein auch damals nicht gerade hoher Beitrag, der zeigt, wie wenig Geld Arbeiter übrig hatten. Ein Vergleich: Für ein Essen mit Bier bezahlte man um die Jahrhundertwende in Oberbayern 70 Pfennige, der Tageslohn eines Zimmermanngesellen betrug 5,60 Mark.

Bei dieser Beitragshöhe war klar, dass sich die Umlagen fürs Krankengeld laut Toni Wäsler nur auf "Pfennigbeträge" beliefen. Seit 2014 ist der Schlosser im Ruhestand Vorsitzender des Vereins. Auch wenn durch die "super Sozialgesetze" nach dem Zweiten Weltkrieg die existenzsichernde Funktion des Vereins weggefallen sei - manche Witwen verstorbener Vereinsmitglieder erhielten auch heute noch monatlich "a Fuffzgerl", sagt Wäsler.

Heute hat sich das Vereinsleben geändert. Mitglied werden kann jeder, vom Bauarbeiter bis zum Beamten. Statt Selbsthilfe steht die Geselligkeit im Vordergrund. Im Vereinsgasthof Zur Mühle wird monatlich eingekehrt, "30 bis 50 Mitglieder kommen da zusammen", sagt Wäsler, verschweigt aber nicht die Nachwuchssorgen: "Viele jungen Leute können mit diesem Lebensstil nicht viel anfangen." Von den 280 Mitgliedern ist gerade einmal ein Viertel unter 55 Jahre alt. Stolz sind sie darauf, dass seit 2006 "nach jahrelanger Diskussion", wie die Vereinschronik bemerkt, Frauen Mitglieder sein dürfen - 48 sind es heute. Diese hätten neuen Schwung rein gebracht, sagt Wäsler. Am Samstag feiert der Verein sein Jubiläum mit einem Festgottesdienst und einem bunten Abend für geladene Gäste im Gasthof Zur Mühle.

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