Interview:"Ich bin für ein Einwanderungsgesetz"

Landrat Christoph Göbel sind die oft schrillen Töne seiner Partei fremd - wie auch manch unnachgiebige Position. Er will den Bürgern Ängste nehmen und Flüchtlingen, die Hilfe brauchen, eine neue Heimat bieten

interview Von Stefan Galler und Martin Mühlfenzl

Christoph Göbel empfängt in seinem Büro am Mariahilfplatz. Die Flüchtlingsthematik ist hier längst angekommen; jeden Tag erreichen Schutzsuchende das Landratsamt - und werden auf Unterkünfte in den 29 Kommune verteilt. Diese alltägliche Konfrontation mit Menschen, die eine lange Flucht hinter sich haben, prägen die Arbeit im Amt. Und bestimmen momentan den Alltag des Landrats, der seine besondere Verantwortung im Gespräch mit der SZ betont.

SZ: Herr Göbel, Sie erleben vermutlich Integration jeden Tag aufs Neue durch Ihre mongolische Frau und Ihre Kinder. Welche Rolle spielt dieser Aspekt für Ihre tägliche politische Arbeit?

Christoph Göbel: Ich kann nachvollziehen, mit welchen Gefühlen und Stimmungen Menschen anderen Kulturen begegnen und was sie zum Teil dabei durchmachen. Vielleicht sind meine Aussagen durch diesen Hintergrund auch glaubwürdiger, weil ich aus eigener Erfahrung sprechen kann.

Haben Sie ausschließlich positive Erfahrungen mit der Integration der eigenen Angehörigen gemacht?

Ich habe auch Bedenken erfahren, etwa Schwierigkeiten im interkulturellen Austausch - und das im nächsten persönlichen Umfeld, der Familie. Dabei ging es etwa um interreligiöse Dinge, wie die Unterschiede zwischen Buddhismus und Christentum. Da wurde zum Beispiel gefragt, worauf wir setzen, wenn es um alte Traditionen geht, etwa in Bezug auf den Schamanismus, den es in der Mongolei gibt. Oder wie wir an alltägliche Dinge wie Kindererziehung, Familienfeste oder Urlaubsplanung herangehen. Man muss diese Dinge als neuen Reiz betrachten und nicht als großes Problem, von dem ich mich abwende. Dann ist es ein großer Schatz, den man zusätzlich zur eigenen Kultur bekommt.

Ihre Frau trägt gerne bayerische Tracht. Haben Sie gar eine mongolische?

Ich bin sogar offizieller Preisträger der schönsten mongolischen Tracht Münchens. Das wurde im Haus der interkulturellen Begegnung gewählt, als ungefähr 600 Mongolen zu einem Wettbewerb angetreten sind und meine Schwiegermutter mir das schönste Deel genäht hat.

Sie haben offenbar weniger Berührungsängste als Teile der Bevölkerung.

Ich glaube, dass das eher Ängste vor Veränderung sind. Und das hat vor allem damit zu tun, dass sich die Leute nicht vorstellen können, wie diese Veränderungen aussehen. Wichtig ist, dass die Ängste artikuliert werden dürfen und niemand dafür in die Ecke gestellt wird. Wichtig ist auch, sich Kommunikationsmethoden und Instrumentarien zu überlegen, wie diese Angst überwunden werden kann. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in möglichst guter Information über alles, was passiert, und in der persönlichen Begegnung miteinander vor Ort. Es hat natürlich auch damit zu tun, wie viele Menschen gleichzeitig an einen Ort kommen und wie lange sie dort bleiben.

In Dornach wird über Jahre hinaus eine Erstaufnahmeeinrichtung bestehen. Bei der Informationsveranstaltung waren deutliche Ressentiments spürbar.

Dort haben wir im Moment eine Notunterkunft, in der sich bis zu 4000 Menschen für wenige Stunden oder maximal zwei Tage aufhalten können. Das ist eine Situation, in der Integration oder auch nur die Begegnung mit den Menschen praktisch unmöglich ist. Hier steht an erster Stelle der humanitäre Ansatz, ein Dach über dem Kopf zu bieten. Dort haben sich die Ängste auch eher auf die nachfolgende Unterkunft konzentriert. Da sind wir wieder bei der Angst vor Veränderung: Und die habe ich nicht davor, kurzfristig Hilfe bringen zu müssen. Sondern erst davor, dass die Menschen langfristig bleiben und in die Gesellschaft integriert werden müssen.

Man hat fast das Gefühl, dass sich manche Menschen gegen die Tatsache sperren, dass viele der Flüchtlinge dauerhaft bei uns bleiben werden.

Es ist immer leichter, etwas, das ich nicht sehen will, zu ignorieren, weil es mich dann vermeintlich nicht tangiert. Deshalb ist das aktive Herantragen von Informationen so wichtig, um den Bewusstseinsprozess in Gang zu setzen.

Wie wird diese Veränderung für den Landkreis München aussehen?

Interview: Die Flüchtlingspolitik im Landkreis hat Landrat Christoph Göbel, hier am Schreibtisch in seinem Büro am Mariahilfplatz, zur Chefsache erklärt.

Die Flüchtlingspolitik im Landkreis hat Landrat Christoph Göbel, hier am Schreibtisch in seinem Büro am Mariahilfplatz, zur Chefsache erklärt.

(Foto: Claus Schunk)

Ich gehe davon aus, dass in etwa 80 Prozent derjenigen Flüchtlinge, die bei uns untergebracht werden, dauerhaft bleiben. Dafür werde ich in einschlägigen deutschlandweiten Internetforen auch teilweise heftig kritisiert. Aber nur sieben Prozent kommen aus Albanien und zwölf Prozent aus dem Senegal, dort geht die Chance auf Anerkennung gegen Null. Alle anderen Menschen kommen aus Ländern, für die es so gut wie keine Ablehnung gibt.

Und das ist der Grund für die Pläne des Landkreises, sich schon jetzt für die Zukunft zu wappnen und entsprechend mit dem Bau von kurzfristigen Unterkünften und einem langfristigen Wohnbauprogramm für Flüchtlinge und Einheimische bis 2030 zu beginnen?

Ich halte das für wichtig, weil wir Perspektiven bieten müssen, die realistisch sind. Wir rechnen bis Ende 2016 mit insgesamt 9000 Flüchtlingen, die im Landkreis München leben. Auf dem überhitzten Wohnungsmarkt München wird in absehbarer Zeit jedoch kein zugänglicher Wohnraum existieren, auf den anerkannte Flüchtlingsfamilien zugreifen können, selbst wenn sie, was unser Ziel ist, in Arbeit kommen. Wir brauchen Wohnraum in kommunaler Hand, denn nur so können wir sicherstellen, dass der Mietpreis bezahlbar bleibt und dass wir die Vergabekriterien bestimmen. Und dieser Wohnraum muss gleichmäßig in allen 29 Städten und Gemeinden des Landkreises entstehen.

Inwiefern wird es eine Kooperation mit der Stadt München geben?

Das ist eine reine Landkreisangelegenheit. Im Vordergrund steht, individuell mit jeder Gemeinde zu kooperieren, weil jede ihre eigene Planungshoheit hat.

Aber in München werden die Verantwortlichen bestimmt hellhörig, wenn im Landkreis Tausende neuer Wohnungen für anerkannte Asylbewerber entstehen, für die dort kein Platz ist.

Es wäre sehr wohl Platz, wenn sich die Stadt entscheiden würde, in die Höhe zu bauen, wie das andere Metropolen auch machen.

Zurück zum aktuellen Flüchtlingsthema: Inwieweit ziehen alle Kommunen bei der Unterbringung mit?

Es sind alle an Bord und die Situation ist so präsent für jeden Menschen, dass jeder Bürgermeister weiß, worum es geht. Ich bin sehr dankbar dafür und es ist keineswegs selbstverständlich. In anderen Landkreisen gibt es das nicht. Klar sind da welche, bei denen brauche ich nicht anzurufen, die rufen hier an. Und dann wieder andere, bei denen man auch mal Erinnerungsarbeit leisten muss. Es läuft aber wirklich gut, allerdings gehe wir auch immer wieder mit Rundum-Sorglos-Paketen inklusive Grundstücksvorschlag und fertiger architektonischer Planung für Asylbewerberunterkünfte auf die Gemeinden zu. Die müssen dann eigentlich nur noch Ja sagen. Es ist natürlich ausschließlich der Fürsorgegedanke, der mich da antreibt (lacht).

Die Gemeinde Putzbrunn hat im Zuge der Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber mit Ihrer Vorgängerin Johanna Rumschöttel eine Vereinbarung getroffen, künftig von der Unterbringung weiterer Flüchtlinge befreit zu werden. Können Sie aufgrund der enormen Zahlen an Neuankömmlingen im Landkreis solche Bestandsgarantien überhaupt aufrechterhalten?

Nein, das kann ich nicht. Ich bin auf Bürgermeister Edwin Klostermeier auch schon zugegangen, weil ich bei dem Ansatz bleiben will, dass Flüchtlinge entsprechend der Einwohnerzahl in allen 29 Kommunen untergebracht werden. Die Vereinbarung wurde damals vor einem ganz anderen Hintergrund getroffen: Damals nahm Putzbrunn 75 Flüchtlinge auf und im ganzen Landkreis waren es 670. Heute haben sich die Dinge entscheidend geändert.

Vermutlich wird diese Entscheidung wieder harsche Töne nach sich ziehen. Doch markige Worte gibt es ja nicht nur aus der Bevölkerung, sondern teilweise auch aus der Bayerischen Staatsregierung, also von ihren Parteikollegen.

Wenn man die Europäische Union dazu bringen will, tatsächlich etwas zu tun, Bereitschaft zu übernehmen, Flüchtlinge mit aufzunehmen, dann wird man deutlich darauf drängen müssen, dass sich alle Staaten dieser Herausforderung stellen.

Interview: Vorbildlich: In Aschheim erhalten Asylbewerber Deutschunterricht.

Vorbildlich: In Aschheim erhalten Asylbewerber Deutschunterricht.

(Foto: Schunk)

Aber Ihre Art, die Asylthematik aktiv anzugehen und kompromisslos zu helfen, dürfte doch bei vielen der CSU-Politiker auf Unverständnis stoßen.

Das glaube ich nicht, kann aber darauf auch keine Rücksicht nehmen, weil ich meine Aufgabe zu erfüllen habe. Das liegt aber auch an der Zuweisungspolitik der Staatsregierung, weil die zum Glück den Landkreisen und kreisfreien Städte jene Asylbewerber schickt, bei denen die Bleibeperspektive sehr hoch ist. Das ist der richtige Ansatz, weil diese Menschen von Anfang an in Integration kommen müssen. Die anderen kommen in Aufnahmezentren, bei denen es sich zum Teil auch um Unterkünfte handelt, aus denen heraus die Flüchtlinge abgeschoben werden.

Dennoch: Empfinden Sie die teilweise deftige Rhetorik, die aus den Reihen der CSU kommt, nicht als störend?

Sie hat meines Erachtens politische Gründe: Auch ich bekomme viele Zuschriften von reaktionären Menschen, typischerweise anonym, aber offensichtlich gebildeten Bürgern, die sich vom etablierten Parteienspektrum abwenden. Wir müssen dafür sorgen, dass es zu keiner Radikalisierung kommt. Und da ist die Aufgabe einer konservativen Partei wie der CSU auch, die Menschen im demokratischen Spektrum zu halten. Genauso wie es die Aufgabe von linken Parteien ist, ein Abdriften in Richtung Kommunismus zu verhindern. Deshalb glaube ich, dass viele Töne bewusst pointierter gehalten sind. Die bayerische Sozialministerin Emilia Müller etwa ist alles andere als eine Scharfmacherin. Aber auch sie muss das Spektrum bedienen und das ist ein schwieriger Spagat.

Von Ihnen hört man solche Aussagen nicht.

Ich bin sehr froh, dass ich diese Aufgabe nicht habe, weil ich dann sehr viel nur aus strategischen Gründen sagen müsste, was ich überhaupt nicht so empfinde. Das fiele mir schwer.

Wie würden Sie Ihre Standpunkte in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik zusammenfassen?

Diejenigen, die Hilfe brauchen, bekommen sie hier. Ich bin nicht dafür, dass Menschen, die keinen Asylgrund haben, einen Antrag stellen und zu uns kommen. Und zwar in deren Sinne nicht. Ich bin stattdessen für den Erlass eines Einwanderungsgesetzes, dass die Zuwanderung regelt, und zwar sehr konkret, damit wir für Menschen, die einreisen wollen, eine rechtliche Grundlage schaffen, die die Voraussetzungen regelt. Das Asylrecht ist dafür nicht geeignet. Viele Menschen, die zu uns möchten, könnten wir als Fachkräfte brauchen. Sollen sie doch einen Arbeitsvertrag hierzulande abschließen und eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Die kann ich ihnen dann auch erteilen. Aber viele denken, über Asyl bei uns ins Land zu kommen, ist der einzige gangbare Weg.

Mit dieser Einstellung kommen Sie in Ihrer Partei nicht weit.

Ich habe aus meiner Überzeugung nie ein Hehl gemacht und dass diese bisweilen abweicht, ist mir bewusst. Ich hätte ein schlechtes Gefühl, wenn ich mich verbiegen müsste und abends nicht in den Spiegel schauen könnte.

Ganz ehrlich: Sind Sie schon einmal parteiintern für ihre liberale Flüchtlingspolitik gerüffelt worden?

Ganz ehrlich: Noch nie! Eher das Gegenteil ist der Fall. Ich denke da an Peter Gauweilers Auftritt beim Keferloher Montag. Ich habe ihm die dortige Aufnahmeeinrichtung gezeigt und er war so beeindruckt, dass er selbst alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um den Menschen zu helfen. Auch in seiner Rede hat er dort sehr viele sehr wichtige Thesen genannt: Deutschkurse für Flüchtlinge vom ersten Tag an, Arbeitserlaubnis vom ersten Tag an. Das kommt übrigens auch den Einheimischen zugute, weil die Flüchtlinge dann beschäftigt sind und sich nicht langweilen, sondern etwas tun und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Genau das brauchen wir zwingend. Und wir treiben das auch ganz konkret voran, in dem wir in der neuen Stabsstelle Asyl Schnittstellen zur Wirtschaft und den Kammern, wie der Handwerkskammer, einrichten, um Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit zu bringen.

Ohne Hilfskräfte werden die kommenden Monaten kaum zu stemmen sein. Wie können diese unterstützt werden?

Wir müssen professionalisieren, was man professionalisieren kann. Wir können zum Beispiel die Essensausgabe nicht mehr durch Ehrenamtliche organisieren, sondern müssen das über Caterer machen. Aber auch durch Aufklärung, wo gerade Hilfe nötig ist und wo nicht. Wenn keiner weiß, wo er wirklich gebraucht wird, führt das nur zu Frustration. Deshalb müssen wir genau definieren, was das Ehrenamt leisten soll und kann und was nicht.

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