Inklusion im Fußball:Vorurteile im Abseits

Hohenbrunn, TSV, 10 Jahre Inklusionsmannschaft des TSV Hohenbrunn

In der Integrationsmannschaft des TSV Hohenbrunn zählen weniger die Tore als vielmehr der Spaß beim gemeinsamen Kicken.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die Integrationsmannschaft des TSV Hohenbrunn war die erste Elf in Bayern, in der beeinträchtigte und nicht beeinträchtigte Kinder gemeinsam Fußball spielten. Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist sie zum Vorbild für zahlreiche andere Vereine geworden.

Von Claudia Engmann, Hohenbrunn

Erst begleitete Dominik Busch nur seinen drei Jahre jüngeren Bruder zur neu gegründeten Fußball-Inklusionsmannschaft in Hohenbrunn. Dann half der 21-Jährige auch bei den anderen Kindern mit und machte schließlich seinen Trainerschein. "Das ist natürlich ein Idealfall", sagt Fußballtrainer Alfred Rietzler, der Gründer des Inklusionsteams. "Wir wünschen uns, dass sich auch in anderen Vereinen immer mehr Leute finden, die bei einer Integrationsmannschaft mitmachen". Einst fragte ihn der Vater eines Buben mit Down-Syndrom, ob sein Sohn nicht auch mit Fußball spielen könne. Das war die Initialzündung für die erste Inklusionsmannschaft in ganz Bayern: Jetzt feierte das I-Team mit einem Turnier am Vatertag sein zehnjähriges Bestehen.

"Von Beginn an gestaltete sich das Projekt problemloser als erwartet", sagt Rietzler. In der Mannschaft spielen beeinträchtigte und nicht-beeinträchtigte Kinder, Jungen und Mädchen zusammen. Und wenn sie spielen, geht es nicht unbedingt ums Gewinnen, obwohl die Kinder und Jugendlichen durchaus auch ihren Ehrgeiz entwickeln. Sondern es steht vor allem der gemeinsame Spaß, das Bewegen und das Miteinander im Vordergrund. "Alle werden gleich behandelt und wertgeschätzt. Die Eltern und auch die Lehrer sind von den positiven Effekten begeistert", sagt Rietzler. Denn: "Die Kinder sind durch das gemeinsame Fußballspielen aktiver geworden. Sie trauen sich mehr, auf Leute zuzugehen." Das mache ihren Alltag häufig etwas einfacher.

Wichtig bei der Trainersuche sei es deshalb, jemanden zu finden, der den Leistungsgedanken nicht in den Vordergrund stellt. Viele Trainer hätten auch Angst, mit der Situation nicht klar zu kommen, weiß Rietzler. Auch er musste sich erst einmal über die unterschiedlichen Beeinträchtigungen informieren: "Ich kann ja sonst auch nicht jeden gleich behandeln. Und ein Autist ist anders, als jemand mit Hör- oder Sehproblemen, oder jemand mit Down-Syndrom oder ein Spastiker", erzählt der Trainer. "Wir haben einen Spastiker, der es liebt, im Tor zu stehen. Der lässt natürlich Bälle durch, die ein anderer gehalten hätte. Aber wir setzen ihn trotzdem ein, weil wir ihm den Spaß nicht nehmen wollen." Auch ein echter Ligabetrieb mit Punktspielen würde diesem Gedanken entgegenstehen. Deshalb werden in der Saison alle vier bis sechs Wochen Turniere veranstaltet. Die Spiele dauern meist nur zehn Minuten pro Halbzeit, sonst gibt es zu viele Tore, und die Differenz wird zu groß. Ein Problem sieht Rietzler allerdings im Alter der Spieler: Zwischen Zwölf- und Siebzehnjährigen seien die körperlichen Unterschiede zum Teil gewaltig. Deshalb soll es in der kommenden Saison zwei Mannschaften geben - in verschiedenen Altersklassen.

Die Integrationsmannschaft des TSV Hohenbrunn hat für ihre Vorreiterfunktion bereits zahlreiche Preise und Anerkennungen erhalten, etwa den Sonderpreis bei der Talentiade, eine Unterstützung von der Bürgerstiftung München-Land, die Sepp-Herberger-Urkunde des DFB und den zweiten Platz in der Kategorie "Behindertenfußball" deutschlandweit. Vor allem aber machte sie anderen Vereinen Mut zum Mitspielenlassen: Mittlerweile gibt es Inklusions-Mannschaften unter anderem in Forstenried, Hausham, Gröbenzell, Aubing, Gauting, Oberpframmern und Freising. In Hohenbrunn sind es inzwischen 32 Spieler, im Gautinger Team, das Bernd Prösler vergangenes Jahr gegründet hat, spielen bereits 20. Viele hätten dort bereits Interesse an der Mannschaft gezeigt. So sei ein älterer Herr zum Training gekommen und habe dann neue Bälle gesponsert, erzählt Prösler. "Darüber freut man sich natürlich sehr."

Glückwünsche gab es zum zehnjährigen Bestehen von Frank Schweizerhof vom Bayerischen Fußballverband. Der Leiter der Abteilung "Fußball mit Handicap" ist gerade dabei, bayernweit die Hohenbrunner Idee der Inklusions-Mannschaften weiterzutragen. Auch gratulierten Friedl Häusler, Kreisvorsitzende des Sportverbands für München Land sowie Kreisjugendleiterin Christl Waldorf, die einen Satz Trikots übergab. Neben Grußworten der stellvertretenden Landrätin Annette Ganssmüller-Maluche bedankte sich auch Hohenbrunns Bürgermeister Stefan Straßmair bei Trainer Rietzler, dem TSV-Vorstand und den Eltern. Es soll noch lange so weiter gehen, wünschte er allen. Und als es aufhörte zu regnen, gab es auch bei diesem Turnier nur noch Gewinner.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: