Geburtshilfe:Freie Hebamme - ein aussterbender Beruf

Hebamme mit Säugling

Es gibt nur noch wenige freiberufliche Hebammen, die Hausgeburten betreuen.

(Foto: Arno Burgi/dpa)

Hohe Versicherungskosten und bürokratische Hürden zerstören die Existenzgrundlage freiberuflicher Geburtshelferinnen. Schwangere, die ihr Kind zu Hause auf die Welt bringen wollen, finden im Landkreis nur noch eine Ansprechpartnerin.

Von Alexandra Vettori

Im Mittelalter landeten viele Hebammen als Hexen auf dem Scheiterhaufen. Heute bedrohen bürokratische Auflagen und die extrem gestiegenen Kosten für die Haftpflichtversicherung die Existenz dieses alten Berufsstandes. Etwa 6500 Euro im Jahr muss eine Hebamme dafür zahlen, wenn sie Geburtshilfe leistet. Die meisten der bundesweit 21 000 Freiberuflerinnen bieten deshalb nur noch Vor- und Nachsorge an. Hält diese Entwicklung an, wird es bald keine Hausgeburten mehr geben. Im Juli 2016 verschärft sich die Lage noch, dann läuft die Gruppenhaftpflichtversicherung des Deutschen Hebammenverbandes aus. Freiberufliche Hebammen haben dann Probleme, überhaupt noch Versicherer zu finden.

Selbst im vergleichsweise gut versorgten Landkreis München stehen von den 46 freiberuflichen Hebammen, die gemeldet sind, nur noch 26 im bundesweiten Verzeichnis "Hebammensuche", gerade mal eine davon leistet Geburtshilfe. Sabine Pischinger ist ihr Name, die 58-jährige Hohenbrunnerin ist Hebamme mit Leib und Seele. Nein, sagt sie sehr bestimmt, sie denke gar nicht ans Aufhören. Sie hat die Versicherung erst einmal für ein halbes Jahr abgeschlossen, für 3800 Euro. "Das ist ein wahnsinniges Geld", räumt sie ein, vor allem, weil eine Hebamme für eine Geburt von der Kasse zwischen 800 und 1000 Euro bekommt.

"Ich habe sogar Anfragen vom Kochel- und Königssee"

Normalerweise bringt Pischinger zehn bis zwölf Kinder pro Jahr auf die Welt, heuer sind es weniger, weil sie vorübergehend ausgesetzt hat. Sie weiß von vielen Kolleginnen, die sich von Kliniken als Geburtshelferinnen anstellen ließen, wo sie oft mehrere Gebärende gleichzeitig betreuen. Wer sein Kind daheim in gewohnter Umgebung und ganz natürlich zur Welt bringen möchte, hat mittlerweile Mühe, eine Hebamme zu finden, vor allem auf dem Land. "Ich habe sogar Anfragen vom Kochel- und Königssee", erzählt Pischinger, die könne sie natürlich nicht annehmen, viel zu weit weg. Auch für sie selbst wird es mittlerweile schwer, eine Kollegin für eine Geburt zu finden, denn in der Regel arbeiten Hebammen zu zweit.

Was Pischinger besonders ärgert: Die gestiegenen Prämien - 1992 kostete die Haftpflichtversicherung noch 178,95 Euro - stehen in keinem Verhältnis zu tatsächlich auftretenden Geburtsschäden. Vielmehr errechnen sie sich aus den Entschädigungen, die Eltern für ein lebenslang behindertes Kind bekommen würden. Das ergibt eine Millionensumme, für die sich die Versicherungen absichern.

Auch Lena-Kathrin Buschmeier ist Hebamme, die junge Frau hat eine Praxis in Garching und deckt den Bereich Unterschleißheim, Garching, Ismaning und Unterföhring ab, mit der Einschränkung: keine Geburtshilfe, keine Wehenbegleitung. Sie ärgert sich trotzdem, über eine andere Neuerung: Schwangere dürfen künftig nicht mehr länger als drei Tage über den errechneten Geburtstermin sein, dann müssen sie zum Gynäkologen und brauchen von ihm ein Attest, dass weiter auf die Geburt gewartet wird. Dabei sei der errechnete Termin mehr als willkürlich, weiß die Hebamme, "nur drei Prozent der Kinder kommen am Termin, wir rechnen mit 14 Tage vorher, 14 Tage nachher". Es sei immer dasselbe, schimpft Buschmeier, "stückchenweise wird die Kompetenz der Hebammen beschnitten".

"Jede Woche habe ich eine weinende Frau am Telefon"

Warum das so ist, versteht eigentlich niemand so richtig. Hebammen sind für die Krankenkassen günstig, eine Geburt in der Klinik kostet das Drei- bis Vierfache, sämtliche Geburtskliniken sind außerdem überfüllt, vor allem im gebärfreudigen München. Auch die nicht minder ausgelasteten Kinderärzte können keine Nachsorge für Wöchnerinnen leisten. Es hätten sogar schon welche bei ihr angerufen, erzählt Buschmeier, "und jede Woche habe ich eine weinende Frau am Telefon". Dabei stimmen alle Verantwortlichen überein, dass es keine bessere Form der nachgeburtlichen Betreuung gibt, als die in der heimischen Umgebung. "Hebammenarbeit ist ja nicht nur Nachsorge, das ist Netzwerk, Familienvorsorge, wir übernehmen da teilweise Jugendamtsarbeit", sagt Buschmeier.

Vielleicht ist ein Grund für die schwache Position der Hebammen die um sich greifende Sichtweise, wonach Schwangerschaft und Geburt eine Art Krankheit sind. Eine Krankheit, die nur mit Schmerzmitteln, Nahrungsergänzung und teurer Hightech-Medizin überwunden werden kann. "Die schwangere Frau ist ein Wirtschaftsfaktor", sagt Buschmeier.

In den Achtzigern gab es schon mal fast keine Hebammen

Doch spätestens drei Tage nach der Geburt muss sie das Krankenhaus verlassen. Dann bleiben die Frauen ohne Hebammen alleine, mit ihren wunden Brustwarzen, Milchstau und Babyblähungen. "Die Kinderarztpraxen sind überfüllt, in den Notambulanzen warten sie Stunden, da geht man nicht hin, wenn der Nabel ein bisschen saut", sagt Buschmeier. Was das für Mutter und Kind bedeutet, weiß sie auch: Stress und Angst.

Die Entwicklung, sagt Lena-Kathrin Buschmeier, verlaufe schleichend: "Wir Hebammen haben keine große Lobby, weil jeder nur eine kurze Spanne, während der Kindsgeburt, von dem Problem betroffen ist." Sabine Pischinger ist hoffnungsvoller, es werde wohl so werden wie in den Achtzigerjahren, da gab es schon einmal fast keine Hebammen mehr: "Und plötzlich stehen die Frauen auf, dann passiert wieder etwas."

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