Hohenbrunn:Die Atelier-WG

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Für ihre Arbeit braucht Katja Ling-Zeggio eine ruhige Hand. Sie ist Vergolderin und Restauratorin. Gerade bringt sie ein Büste von Kaiserin Sisi wieder in Form. (Foto: Angelika Bardehle)

In den Riemerling Studios, einem ehemaligen Tagungsgebäude, werkeln Maler, Bildhauer, Bastler und Musiker. Petra Amtsberg Hoffmann, die bestimmt, wer rein darf, ist vor allem eines wichtig: dass die Künstler oft da sind.

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

Es gibt Kaffee, Weißwein, Kuchen, Kekse, Bier und mit Schokolade überzogene Marshmallows. So süß, dass sie einem in den Zähnen kleben bleiben. Alles steht auf einem kleinen Tisch, Menschen sitzen drumherum, auf Stühlen, auf der Fensterbank. Es fühlt sich nach WG an, alles ein bisschen zusammengewürfelt, aber gemütlich. Da sind: ein Pyrotechniker, eine Gitarristin, ein Bildhauer, eine Vergolderin, ein Schiffsmodellbauer, drei Maler. Zusammen sind sie: die Riemerling Studios.

Eines Tages wurden Amtsberg Hoffmanns Bilder zu groß für ihr Haus

Backstein, Flachdach, grüne Fenster. Drumherum ist nichts, nur Wald und ein Altenheim. Früher besuchten Mitarbeiter der Diakonie hier Fortbildungen. Heute malen, musizieren, basteln, werkeln in den Räumen verschiedene Künstler. Vor drei Jahren kaufte der Mann von Petra Amtsberg Hoffmann, einer Architektin und Malerin aus Gräfelfing, das Gebäude im Hohenbrunner Ortsteil Riemerling. Am Anfang, sagt sie, habe er noch nicht so recht gewusst, was daraus werden sollte. Das mit den Riemerling Studios habe sich irgendwann so ergeben. Aber ein Grund ist wohl, dass Amtsberg Hoffmanns Bilder eines Tages zu groß für ihr Haus wurden.

"Azzurro", ein italienischer Schlager aus den 60ern, kommt aus der Anlage. Es geht um Tagträume, Fernweh, Sommer und natürlich die Liebe. Draußen ist der Himmel grau, und Richard Deichl kämpft mit einer Leiste, die er in seinen Schraubstock eingespannt hat. Ein Rahmen soll daraus werden. Aber irgendetwas klemmt und funktioniert nicht so, wie er es gerne hätte. "Ach. Mann." Deichl hat graue Haare und eine kleine Brille auf der Nasenspitze. Sein Atelier steht voll mit Werkzeug, Farbtuben, Rahmen. Bilder sind an die Wand gepinnt, aufeinander gestapelt, aneinander gelehnt. Eines liegt am Boden. Hier ein Kreis, dort ein Strich, schwarz, gelb, grün, blau. Man sieht Deichls Fußabdrücke auf dem Stoff. Und, dass er ihn als Malunterlage verwendete. "Ich weiß nicht, was das mal werden soll", sagt er. "Das weiß ich nie."

"Hier denkt man nicht an die Steuererklärung, an den Job oder den Haushalt", sagt Malerin Geo Vidal. Es gehe nur um eines: die Kunst (Foto: Angelika Bardehle)

Deichls Werke sind Improvisationen. Bei vielen sieht man, wie die Farbe über die Leinwand gelaufen ist, wie Deichl sie gedreht und gewendet haben muss. Wie er Papier drüber geklebt und dann noch einmal alles übermalt hat. Obstschalen oder Landschaften zu malen, wäre ihm zu langweilig. Er hat dafür nur ein Wort: "Grausam." Und sagt dann noch: "Ehrlich gesagt: Ich kann es auch nicht." Vor ungefähr zehn Jahren begann er mit der Malerei. Als er einmal bei einer Freundin zum Abendessen eingeladen war, entdeckte er ihre Bilder. "Ich wusste ja gar nicht, dass sie so etwas kann." Sie nahm ihn zu einem Kurs mit. Seitdem ist Malen Deichls Leidenschaft.

Für den Bildhauer Tom Eicher ist Kunst auch Therapie

Für Tom Eicher ist die Kunst nicht nur eine Leidenschaft, sie ist Therapie. In seinem Atelier im Keller gibt es keinen Empfang, keine Alltagsorgen und niemanden, der stört. Aus dem Radio kommt Popmusik, Max Giesinger und Rihanna. Der Boden ist voll mit weißem Staub. Auf der Werkbank liegen Steine, rote, weiße, graue. Äste, von denen das Meerwasser die Rinde abgewaschen hat. Und Platten, die der Regen rostbraun eingefärbt hat. Das ist Eichers Material. Er ist Bildhauer. Seine Werke bestehen aus Stein, Rost, Holz. Meistens aus allen drei zusammen. Von jeder Reise bringt er irgendetwas mit. Steine aus der Toskana oder einen Ast aus Kanada. Manchmal habe er schon Angst, dass ihn die Securitys nicht mehr in den Flieger lassen, erzählt er.

Die Stunden in dem Atelierhaus am Waldrand sind für Bildhauer Tom Eicher eine Auszeit vom Alltag. (Foto: Angelika Bardehle)

Eicher benutzt keine Vorlage, sondern nur seine Fantasie. Er meißelt den Stein, schleift ihn, wäscht ihn ab, viele Stunden lang. Und irgendwann entsteht ein Objekt, manche sehen wie große versteinerte Muscheln aus.

Das Atelier ist für Eicher ein Refugium. Manchmal müsste er eigentlich schon längst im Bett liegen, wenn er das nächste Mal daran denkt, auf die Uhr zu schauen. Um fit zu sein für den nächsten Tag und seinen eigentlichen Job - Beleuchtungstechniker. Die Kunst, sagt Eicher, habe ihn durch seine dunkelsten Stunden geführt. Er litt an Depressionen, als er sich eines nachts in das Zimmer seiner Kinder schlich und zu Wasserfarben und Pinsel griff. "Ich merkte, ich hatte Talent. Und machte weiter." Giraffe und Papagei hängen an der Wand seines Ateliers. Aber gemalt hat Eicher schon lange nicht mehr. "Die Aquarelle - das alles, war mir irgendwann einfach zu zart", erinnert er sich.

Wie viele Künstler im Haus arbeiten? Auf jeden Fall ist es voll

Zwei Stockwerke weiter oben ist es still. Und ziemlich leer. Geo Vidals Atelier besteht aus zwei Klappstühlen, einem Tischchen, einer Werkbank voller Farbtuben. "Ich muss meine alten Sachen immer wegpacken. Sonst bin ich nicht frei im Kopf", sagt sie. Ein bisschen etwas hat sie aber trotzdem aufgehängt. Zum Beispiel zwei Objekte, die aussehen, als hätte ein Riese die Leinwand zusammengeknüllt. Vidal hat dafür den Stoff gefaltet, besprüht, lackiert, bis er steif wurde. Es ist ihr neuestes Experiment.

Vidal ist eigentlich Journalistin beim Bayerischen Rundfunk. Sie habe immer viel und gerne gearbeitet, sagt sie. Doch sie merkte irgendwann, dass ihr etwas fehlte: die Kunst. Sie besuchte eine Sommerakademie in Bad Reichenhall. Und die Begeisterung, die sie früher als Kind für das Malen verspürt hatte, war wieder da. Geo Vidal baute ihre Garage zum Atelier um. Ihre Bilder wurden größer und größer. Vidal suchte ein Atelier in München, aber sie waren zu klein oder zu teuer oder beides. Dann stieß sie auf die Riemerling Studios.

Petra Amtsberg Hoffmann bestimmt, wer rein darf. Aber eigentlich gibt es für sie nur eine Bedingung: Dass die Künstler möglichst oft da sind. Wie viele in dem Haus arbeiten? Amtsberg Hoffmann weiß es nicht. Auf jeden Fall ist es voll. Manche Künstler sieht sie selbst selten - zum Beispiel Tom Eicher, der meistens erst abends nach der Arbeit kommt. Manche hört sie bloß - wie die Rockbands, die im Keller proben. Und mit anderen trinkt sie auch mal ein Glas Wein oder einen Kaffee. Je nach dem, wie es klappt - WG-Leben eben.

© SZ vom 25.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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