Hilfsorganisation:Auf Kurs in Richtung Menschlichkeit

Hilfsorganisation: Der Gynäkologe Andreas Sliwka ist der einzige Arzt auf dem Rettungsschiff der Organisation Sea-Eye.

Der Gynäkologe Andreas Sliwka ist der einzige Arzt auf dem Rettungsschiff der Organisation Sea-Eye.

(Foto: Catherina Hess)

Der Unterföhringer Arzt Andreas Sliwka sticht diese Woche für die Hilfsorganisation Sea-Eye in See, um Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten. Zuvor war der 66-Jährige im ehemaligen Zaire und auf den Philippinen.

Von Sabine Wejsada, Unterföhring

Zwei Schiffe, eine Mission: Menschen retten. Mit diesem Slogan wirbt die Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye um Unterstützung bei ihrer Suche nach Schiffbrüchigen und Flüchtlingsbooten vor der Küste Libyens. Der Unterföhringer Frauenarzt Andreas Sliwka wird an diesem Montag um Mitternacht in Malta auf die Seefuchs steigen, eines der beiden Schiffe. Zusammen mit einer Gruppe von Freiwilligen wird der Gynäkologe in den kommenden zwei Wochen versuchen, in Seenot geratene Flüchtlinge im Mittelmeer mit Schwimmwesten sowie Wasser zu versorgen und in der Krankenstation an Bord Verletzten zu helfen.

Die Crew, mit der der 66-Jährige in den nächsten 14 Tagen arbeiten wird, kennt er bereits. Mit der im Herbst 2015 gegründeten Hilfsorganisation ist Sliwka herzlich verbunden, wie er sagt. Und um Flüchtlinge kümmert sich der in Schwabing wohnende Arzt seit langem. Seit Februar dieses Jahres arbeitet er als Mediziner in der Erstaufnahmeeinrichtung im Euro-Industriepark in Freimann, immer freitags hält er dort Sprechstunden ab. Zuvor engagierte er sich für die Flüchtlinge in der Unterföhringer Traglufthalle, ebenso für die Asylbewerber, die im Sommer vor vier Jahren am Münchner Rindermarkt ihr Camp aufgeschlagen hatten.

Die Situation von Flüchtlingen ist es, die den Arzt seit langem beschäftigt - und empört: Es sei zwar schön und gut, wenn sich alle einig seien, dass die Ursachen von Flucht und Vertreibung in den betroffenen Ländern bekämpft werden müssten, "aber man kann doch nicht weiter zusehen, was passiert auf dieser Welt, und dass das Mittelmeer zum Massengrab wird", klagt er. Man kann sich gut vorstellen, dass Sliwka - leger gekleidet und die grauen Haare zu einem Zopf zusammengebunden - nicht lange hat überlegen müssen, ob er Sea-Eye unterstützt.

Sliwka reist immer wieder in Krisengebiete

Schließlich ist es nicht sein erster Hilfseinsatz. Der Frauenarzt war schon für die Organisation "Ärzte für die Dritte Welt" unterwegs und für den Verein Care, der in Kriegs- und Katastrophengebieten hilft. Das erste Mal 1994, als der Genozid in Ruanda passierte und er es nach eigenen Worten einfach nicht mehr aushielt, tatenlos zuzusehen, wie sich in dem afrikanischen Land die Bevölkerungsgruppen abschlachteten. "Ich habe nicht lange nachgedacht, für mich war klar, ich muss etwas tun, nachdem ich die schrecklichen Bilder von den Leichen am Straßenrand in der Tagesschau gesehen habe", erinnert sich der Arzt.

Zwei Wochen später ging es nach Afrika. Sliwka hängte seinen Arztkittel in Unterföhring an den Nagel und tauschte seine Praxis mit einer Krankenstation im ehemaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo in Zentralafrika. In Kimbumba versorgte er verwundete und schwer traumatisierte Menschen. Fotografien im Wartezimmer seiner Praxis geben Zeugnis von der damaligen Arbeit, die ihn anfangs an seine Grenzen gebracht habe, wie er sagt. "Ich habe die ersten Tage Todesangst gehabt", gibt er zu, doch durch die Behandlung der vielen Patienten, die ohne Unterlass in die kleine Krankenstation im Nirgendwo kamen und denen er zusammen mit einer Kinderärztin half, "hat sich die Furcht schnell gelegt".

A Spanish military aircraft flies overhead as rescue NGOs Sea-Eye, Migrant Offshore Aid Station (MOAS) and Jugend Rettet Iuventa, and a Tunisian fishing boat carry out a joint rescue operation as some 20 migrants drowned in the central Mediterranean

Die Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye will Flüchtlinge bei Schiffbrüchen im Mittelmeer retten.

(Foto: Reuters)

2009 machte sich Sliwka noch einmal auf den Weg - nach Mindanao, der zweitgrößten Insel der Philippinen, die bis heute Schauplatz eines der ältesten Konflikte Südostasiens ist, den eine Vielzahl von Gruppen austrägt. Derzeit liefern sich dort muslimische Extremisten und Soldaten blutige Gefechte. Leidtragende sind die Zivilisten, die auf sich allein gestellt sind, weil sich die Hilfsorganisationen zurückgezogen hätten, wie der Arzt berichtet. Er will seine Zeit dort und auch in Afrika nicht missen. "Man bekommt durch eine solche Arbeit eine andere Einstellung zur Welt, zum Leben und zum Tod", sagt Sliwka, der in der Vergangenheit viel gemalt und seine Kunst ausgestellt hat und sich heute mit Yoga beschäftigt.

Die anstehende Fahrt mit Sea-Eye ist für ihn die logische Konsequenz seines Wunsches, "der Welt etwas zu geben". Angst vor dem Einsatz hat er nicht und auch nicht davor, dass die Tage auf dem Rettungsschiff sehr belastend sein könnten. "Wie ich mich kenne, wächst wahrscheinlich der Zorn in mir, wenn ich das Unglück der Menschen auf dem Meer sehe", sagt Sliwka. Er wird in den nächsten 14 Tagen der einzige Arzt auf der "Seefuchs" sein und stellt sich deshalb darauf ein, gar nicht so viel nachdenken zu müssen, sondern die bei der Überfahrt in Schlauchbooten verletzten Frauen, Männer und Kinder zu versorgen, die zur Erstbehandlung an Bord genommen und dann auf Schiffe der italienischen Marine gebracht werden. Als Gynäkologe ist er obendrein Geburtshelfer. "Wer weiß, vielleicht kommt ja das erste Kind bei uns auf die Welt", sagt Sliwka.

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