Haidhausen:Tierasyl auf der Dachterasse

Wenn es um alleinerziehende Mütter geht, ist das Sozialreferat die richtige Adresse. Derzeit wohnt eine ganz besondere Familie auf der Dachterasse - eine Entenmutter mit ihren Küken.

Sven Loerzer

Sich um alleinerziehende Mütter zu kümmern, gehört zu den Aufgaben des städtischen Sozialreferats. Nun hat sogar eine Mutter mit ihren sieben Kindern Unterschlupf beim Sozialreferat am Ostbahnhof gefunden. Die Großfamilie, die der Vater im Stich gelassen hat, ohne sich um Unterhalt zu kümmern, sorgt seit Wochen für Gesprächsstoff unter den Mitarbeitern.

Haidhausen: Sieben Küken und eine Entenmutter haben sich im Sozialreferat eingenistet.

Sieben Küken und eine Entenmutter haben sich im Sozialreferat eingenistet.

(Foto: APN)

Viele kommen in den ersten Stock, um nach der Familie zu schauen, die ihr Lager auf der begrünten Dachterrasse, allseitig umrahmt von Bürotrakten, aufgeschlagen hat. Zwei Mitarbeiterinnen kümmern sich nach Dienstschluss um die Entenfamilie, haben ihr eine Badeoase eingerichtet und versorgen sie mit Futter.

Die Entenmutter hatte sich wohl als Nistplatz einen Dachvorsprung im dritten Stock des Verwaltungsgebäudes gesucht. Offenbar seien die acht geschlüpften Küken auf die Dachterrasse gepurzelt, im Fall gebremst durch das üppige Grün. Durch eine offene Tür fanden sie den Weg nach drinnen, wo sie Sonja Biberger auf dem Gang entdeckte und wieder nach draußen geleitete. Sie arbeitet als Pädagogin in der neu eröffneten Conviva-Cafeteria im Sozialreferat, einer Projektfirma des Vereins Cooperative Beschützende Arbeitsstätten (CBA), der seit 25 Jahren Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben integriert.

Zusammen mit einer Jugendamtsmitarbeiterin übernahm Sonja Biberger die Enten-Fürsorge. Besorgte Mitarbeiter hatten die Feuerwehr geholt, doch die zog unverrichteter Dinge wieder ab. Auch der Versuch von Sonja Biberger, die Enten einzufangen, scheiterte: Laut schnatternd zogen sie sich unter die Büsche zurück. So schufen die beiden Frauen für die Enten eine richtige Oase, damit sie die heißen Tage im Juli gut überstehen konnten: "Wir haben einen Pool aufgebaut und kleine Becken zum Trinken."

Der Aufwand ist nicht unerheblich, denn das Wasser zum Reinigen und Befüllen müssen die beiden Frauen auf die Terrasse schleppen, einen Schlauch gibt es nicht. Als Futter dienen Salat, gekochte Eier, Brot, Haferflocken sowie Brennnesseln, Algen und Wasserlinsen. "Die Enten wachsen und gedeihen gut."

Mit Informationen versorgte sich Sonja Biberger bei der Münchner Tierrettung. Um die inzwischen etwa sechs Wochen alten Entenküken nicht an Menschen zu binden, verzichten die Patinnen auf Handfütterung und Streicheln. Lange wird es nicht mehr dauern, bis die jungen Enten flügge sind, sie schlagen schon mit den Flügeln. Namen haben sie keine bekommen, aber durchgezählt wird jeden Morgen. Eine kleine Ente ist verschwunden, möglicherweise hat eine Krähe zugeschlagen.

Für die Mitarbeiter in dem tristen Bürobau bietet die Entenbeobachtung reichlich Gesprächsstoff, etwa über die ersten Schwimmversuche oder Sprünge über die Stufen. So lässt sich feststellen, dass manchmal selbst den Wasservögeln der Regen zu viel wird, dann suchen sie Zuflucht unter einem Gartentisch.

Ein bisschen wehmütig denken viele Mitarbeiter schon daran, "dass wir uns wohl in ein bis zwei Wochen verabschieden müssen". Dennoch sagt Sonja Biberger: "Hoffentlich bleiben nicht alle da." Denn dann wären etwa 50 Entenenkel vom Sozialreferat zu versorgen.

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