Ausblick 2016:Um des lieben Friedens willen

Wohnturm Haar Münchner Straße

Dieser futuristisch anmutende Hochbau wird das Zentrum der Gemeinde Haar nicht prägen. Das neue Konzept sieht ein weitaus niederigeres Gebäude vor.

(Foto: Architekt Daberkow/Kock)

Nach gescheitertem Bürgerentscheid ändert ein Investor freiwillig seine Baupläne: Terrassenhaus statt Wohnturm. Ein Ausblick auf die großen Bauprojekte des neuen Jahres in Haar.

Von Bernhard Lohr, Haar

Im Rathaus waren sie sich einig. Weitgehend wenigstens. Die Stimmungslage jedenfalls war eindeutig. Vor allem die SPD erwartete sich einen großen Wurf und erhoffte sich von dem prägenden Bauvorhaben im Zentrum sogar eine Art Befreiungsschlag. Es sollte eine seit Jahren schmerzlich empfundene Leerstelle füllen. Urbaner sollte das Zentrum werden, ein Gewinn für alle. Doch dann trat eine Handvoll Bürger auf den Plan, die Bürgerbeteiligung einforderten und von Verschandelung sprachen. Sie sammelten Unterschriften und stoppten in einem Bürgerentscheid das Neue-Mitte-Projekt mit Einkaufszentrum und Hotel in Germering.

Das war im Jahr 2008. Im Jahr 2014 erlebte am anderen Ende der Landeshauptstadt die Gemeinde Haar Ähnliches. Auch dort wuchs sich der Protest von zunächst einigen wenigen gegen ein städtebauliches Vorzeigeprojekt zu einem Drama aus, das dann freilich in mehreren Akten und nach einem - in dem Fall freiwilligen Verzicht von Gemeinde und Bauherr - das Aus für den geplanten 46 Meter hohen Wohnturm an der Münchner Straße bedeutete. Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt um das Projekt. Doch der Bauherr, der Projektentwickler Rolf Rossius, scharrt schon mit den Hufen. Er ist voll Tatendrang und will loslegen im kommenden Jahr. Er hat noch was vor in Germering und in Haar.

Rossius ist mit 72 Jahren noch kein bisschen leise geworden. "Es macht Spaß", sagt der Projektentwickler, der seit Jahrzehnten in München und im Umland aktiv ist, "gerade habe ich drei Grundstücke gekauft." 200 Bauvorhaben habe er in den vielen Jahren umgesetzt. Dass nicht immer alles glatt läuft, das hat er in den langen Jahren als Bestandteil seiner Arbeit hinzunehmen gelernt. Ein Bauvorhaben an der Elisabethstraße in München hat sich wegen eines Sturm- und Wasserschadens gerade erst um ein paar Monate verzögert. Aber jetzt steht der Einzugstermin. Die Sanierung von Gut Freiham erwies sich als aufwendiger und langwieriger als erhofft. Er verkaufte das 30 000 Quadratmeter große Areal an die Edith-Haberland-Wagner-Stiftung, die Mehrheitsanteilseignerin an der Augustiner-Brauerei ist. In Germering und in Haar will Rossius jetzt anpacken. Er sieht da wie dort gute Chancen und glaubt, dass die Wogen sich beruhigt haben.

"Man kann manchmal gegen den Strom schwimmen, aber dann muss man große Flossen haben", sagt er. Rossius liebt das offene Wort, aber er will nichts auf Biegen und Brechen durchsetzen. In Germering hofft er Anfang des Jahres darauf, dass der Stadtrat die Weichen für den Bau des Einkaufszentrums Quattro Torri mit 30 000 Quadratmetern Verkaufsfläche am Bahnhof stellt. Er spürt Akzeptanz für sein Projekt, mit dem andere Investoren vor Jahren direkt gegenüber der Stadthalle an sensibler Stelle scheiterten. Rossius will nun 200 Meter weiter bauen, alte Gebäude sollen dafür weichen. In Haar hat Rossius im vergangenen Jahr, nachdem der Bürgerentscheid gegen den Wohnturm sogar gescheitert war, in einem aufsehenerregenden Schritt mit der Gemeinde einen Prozess der Bürgerbeteiligung eingeleitet.

Er verzichtete auf den Bau des Wohnturms, der ohne weiteres durchsetzbar gewesen wäre. In einem von ihm ausgelobten Wettbewerb legten dann Architekturstudenten 19 Studien für eine Bebauung des sensiblen Grundstücks an der Münchner Straße 24, Ecke Jagdfeldring vor. Die Bürger stimmten ab und ein Terrassenhaus, mit viel Grün, offenen Wohnstrukturen und moderater Höhenentwicklung, entworfen von Anna Latoczek und Kyle Tianzheng Chen, ging als Sieger hervor. Aus diesem Entwurf wurde, wie Rossius sagt, kombiniert mit Elementen der beiden nächstplatzierten Entwürfe ein Konzept entwickelt, das nun umgesetzt werden soll. "Ich glaube schon, dass wir nächstes Jahr mit dem Spatenstich beginnen können."

Das Jahr 2016 könnte also ein Jahr werden, in dem manches vorankommt, das 2015 ins Stocken geriet. Das große Bauen könnte zumindest beginnen. Etwa auch bei dem viel größeren Projekt im Jugendstilpark könnte es losgehen, wo Wohnraum für 2000 Menschen entstehen soll. Öffentlich wurde um dieses extrem sensible Vorhaben, bei dem in einem denkmalgeschützten Ensemble saniert und verdichtet wird, viel weniger gerungen als um den wegen seiner schlichten Höhe von 46 Metern umstrittenen Wohnturm. Dafür wurden hinter den Kulissen harte Verhandlungen darüber geführt, was die Investoren im Gegenzug für das Baurecht, das die Gemeinde schafft, für die Allgemeinheit zu leisten bereit sind. Schließlich entstehen Folgekosten für den Bau von Schulen und Kindergärten und anderem. Ende 2015 wurde der städtebauliche Vertrag unterzeichnet. Sobald die im Vorvertrag festgesetzten Bedingungen von den Investoren erfüllt seien, sagte Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) zuletzt, könne im Jugendstilpark begonnen werden. Dann könne die Erschließung des Areals mit Gas- und Wasserleitungen europaweit ausgeschrieben werden. Als erstes dürfte dann das Seniorenheim mit 142 Plätzen an der Vocke-straße, Ecke Leibstraße entstehen, das die Erlbau GmbH aus Deggendorf bauen will. Der Bauantrag wurde im Gemeinderat bereits vorberaten. Die Gemeinde treibt das Projekt voran, weil laut Bürgermeisterin das Landratsamt den Betrieb des bestehenden Maria-Stadler-Hauses nur noch begrenzte Zeit duldet. Es muss baulich an bestehende Standards angepasst werden.

Dass Bauherr Rossius an der Münchner Straße in Haar auch möglichst bald loslegen will, liegt auf der Hand. Er sagt freilich, dass die Zeit auch dränge, weil Wohnungen im Großraum München dringend benötigt würden. "Wir müssen was voranbringen", sagt er. 75 Mietwohnungen würden entstehen und 75 Eigentumswohnungen. Im Erdgeschoss seien Ladenflächen geplant. Es solle Leben in die Straße gebracht werden. Die Ideen, einen architektonisch markanten Punkt dort an der stark befahrenen B 304 zu schaffen, scheint aber gescheitert zu sein. Der frühere Bürgermeister Helmut Dworzak und auch seine Nachfolgerin Gabriele Müller hätten sich Mut gewünscht, gerade an dieser Stelle. Selbst von einem Hundertwasserhaus war schon mal die Rede. Das ist kein Thema mehr. Insgesamt werde, nach der Kritik an den Hochhausplänen und nach dem Ideenwettbewerb, ein eher konventioneller Baukörper entstehen, sagt Rossius. Sechs oder sieben Geschosse werde der haben. Derzeit stimme man sich mit der Gemeinde und dem Landratsamt ab.

Nicht zuletzt dürfte Haar 2016 auch die Frage weiter beschäftigen, die im Zusammenhang mit dem Wohnturm außer baulichen Fragen die Debatte bestimmte. Noch sucht Haar nach den richtigen Mitteln und Wegen, Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Die Neuauflage beim Wohnturmprojekt samt Ideenwettbewerb wird im Rathaus nicht unbedingt als Erfolg gewertet. Keine 100 Haarer nahmen das Angebot wahr, über die Bebauung an der Münchner Straße mitzubestimmen. Auch ist Bedauern darüber zu hören, dass jetzt ein eher mutloser Kompromissbau entstehen soll. Rolf Rossius hält das Vorgehen dennoch rückblickend für richtig. Die Gemeinde sei befriedet, sagt er.

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