Haar:Seelenart und Verwandtes

Das Kleine Theater Haar setzt in der neuen Spielzeit wieder Programm-Akzente mit psychisch erkrankten oder behinderten Künstlern, fährt zudem kabarettistische Schwergewichte auf und hat zwei neuen Abo-Sparten im Angebot

Von Udo Watter, Haar

Inwieweit das Ich Herr im eigenen Hause ist, darüber kann man in Anlehnung an Sigmund Freuds berühmten Satz diskutieren. Die psychologische Kränkung angesichts der Erkenntnis, dass sich ein Teil des Seelenlebens der Herrschaft des bewussten Willens entzieht, betrifft demnach alle Menschen. Für Marion Hölczl hat sich das in gewissen Phasen ihres Lebens deutlich fataler angefühlt: "Eine Depression ist wie eine feindliche Übernahme", sagt sie. Insgesamt 104 Tage hat sie wegen ihrer psychischen Störung im Klinikum Haar verbracht - und dabei die Fotografie entdeckt. Eine Depression sei nämlich, wie im eigenen Gefängnis zu sitzen und den Blick nur nach innen zu richten, erklärt sie. Die Fähigkeit, den Blick nach oben zu richten und im Himmel Weite und Wolkenspiele wahrzunehmen, und diese dann fotografisch einzufangen, war ein Schritt wieder hin zu freieren, positiveren Zeiten.

wortfront

Den Mund halten und nur leise Töne spucken werden Roger Stein und Sandra Kreisler alias "Wortfront" sicher nicht, wenn sie im September die neue Spielzeit im Kleinen Theater Haar eröffnen.

(Foto: oh)

Marion Hölczl spricht bei der Kick-off-Veranstaltung zur neuen Spielzeit 2017/18 im Kleinen Theater Haar, sie spricht offen über dieses Thema, das teils immer noch tabuisiert ist. Die Fotos, die sie während des Klinikaufenthalts gemacht hat, sind jetzt unter dem Ausstellungstitel "Himmel über Haar" im ersten Stock des Gebäudes zu sehen. Theaterchef Matthias Riedel hat nicht gezögert, Hölczl diese Werkschau zu ermöglichen.

Und das ist eben das Besondere am Kleinen Theater und mit der Grund, warum Bezirkstagspräsident Josef Mederer in seinem Grußwort zum neuen Programm von einer "einmaligen Institution" schreibt, die "dem Münchner Kulturleben erhalten bleiben soll". Das vom Bezirk Oberbayern und der Gemeinde Haar unterstützte Theater widmet sich unter anderem dezidiert der sozialen oder Inklusions-Kultur. So ist es auch Spielstätte für Theatervorstellungen von Ensembles mit behinderten Schauspielern oder von Ausstellungen mit Werken psychiatrieerfahrener Künstler. Mit der Abo-Reihe "Seelenart" werden zudem seit Jahren Projekte für seelisch erkrankte Menschen realisiert. "Kultur fängt im Herzen eines jeden einzelnen an", eröffnete Riedel seine Rede. Und wem da als Freund des Theaters gleich warm ums Herz wurde, der durfte danach auch anderweitig zufrieden gewesen sein. Riedel, der vor knapp zwei Jahren die Leitung des Theaters übernommen hat, hatte im Prinzip nur Gutes zu berichten.

Haar: Bei der Programmvorstellung zeigte die A-cappella-Formation "Voicebreak" ihr Können.

Bei der Programmvorstellung zeigte die A-cappella-Formation "Voicebreak" ihr Können.

(Foto: Claus Schunk)

Besonders freute er sich über die deutlich verbesserte Auslastung des Theaters, das ja in den vergangenen Jahrzehnten trotz interessanter Angebote und attraktiven Ambientes immer wieder ein Sorgenkind in puncto Resonanz war. Was die Auslastung angeht, habe sich die von 38 Prozent im Jahr 2015 über 57 Prozent im Jahr 2016 bis jetzt auf gut 75 Prozent (Stand Mai 2017) erhöht. "Das ist ein guter Weg, aber wir geben uns damit nicht zufrieden", erklärte Riedel. Die Zusammenarbeit mit Gemeinde und Bezirk bezeichnete er als "optimal". Die Auswahl an kulturellen Veranstaltungen, die in Haar in der kommenden Saison zu sehen sein werde, ist sowohl qualitativ wie quantitativ ebenfalls alles andere als suboptimal. In der Tat gibt es gleich vier verschiedene Abos. Neben dem Seelenart-Abo, das traditionell als Schwerpunkt Kabarett hat - und das den Auftritt solcher Schwergewichte wie Gerhard Polt, Sigi Zimmerschied oder Django Asül beinhaltet, gibt es das normale Theater-Abo: Hier kann der Kulturfreund aus 15 Veranstaltungen wählen (mindestens acht). Gleich die Spielzeiteröffnung am 13. September mit Sandra Kreisler und Roger Stein alias "Wortfront" dürfte lohnenswert sein: Ihre Kunst nennen sie "Deutschen Kammerpop" und sie präsentieren "Lieder zwischen Panik und Poesie". Es ist eine Melange aus klassischer Kammermusik, Pop und Rock, aber das Berliner-schweizerische Duo pflegt auch die Liebe zum literarischen Chanson oder zur Hip-Hop-Metrik. Weitere spannende Protagonisten aus dieser Sparte sind die Kabarettisten Nepo Fitz, H. G. Butzko oder Philipp Weber, zudem kann man Konzerte wählen mit den Munich Classical Players, Vocal Recall, Georg Clementi oder die Vorstellung "Valentin im Halifex" vom Theater Apropos.

Haar: Marion Hölczl präsentierte ihre Fotoarbeiten.

Marion Hölczl präsentierte ihre Fotoarbeiten.

(Foto: Claus Schunk)

Neu ist ein Lesungsabo im Theater-Café: Die Palette reicht von Liebesbriefen über Performances bis zu einer Lesung über den "Ring des Nibelungen" von Gerd Habenicht, der die Reihe am 21. September eröffnet. Ebenfalls neu ist das Klassik-Angebot in der ehemaligen Krankenhauskirche "Maria Sieben Schmerzen". Das Theater hat für die kommende Spielzeit die kulturelle Wiederbelebung des Gebäudes - eine der letzten originalen Jugendstilkirchen - übernommen. "Klassisches im Kirchenschiff. Das ist neu und sich dürfen sich auch auf Ungewöhnliches einlassen", erklärte Riedel. Ein Konzert für Saxofon und Orgel etwa, oder ein Posaunenquartett. Die Kooperation mit dem BR, der seit kurzem im Theater TV-Aufzeichnungen ("Komödienstadl") macht, freut ihn ebenfalls, zumal die Techniker en passant Reparaturen im Gebäude realisieren wie die Lichter im Theatersaal. Überhaupt hat sich auch die technische Ausstattung mittlerweile verbessert, man kann bargeldlos bezahlen, es gibt neue Scheinwerfer und freies Wlan. Das wichtigeste bleibt freilich die Kultur - und bei der Kick-off-Veranstaltung konnten die Besucher nicht nur die Fotos von Hölczl bewundern, sondern auch der A-cappella-Formation "Voicebreak" lauschen. Die sorgte im Theatergarten mit ebenso smarten wie humorvollen Texten und elaborierten Arrangements für einen angemessenen Ausklang des Abends.

Die Abos sind ab sofort buchbar. Weitere Informationen gibt es unter www.kleinestheaterhaar.de.

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