Haar:Schrumpfkur für die Großklinik

Haar, kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost, Neubauten neben Altbauten, gelungene Verbindung

Alte und neue Bauten des Isar-Amper-Klinikums in Haar. Das berüchtigte Hochhaus wurde durch Flachbauten ersetzt.

(Foto: Claus Schunk)

Das Isar-Amper-Klinikum wird dezentralisiert, die Psychiatrie soll zum Menschen kommen.

Von Bernhard Lohr, Haar

Wer das Isar-Amper-Klinikum in Haar ansteuert, könnte sich wie Harry Potter vorkommen, der staunend vor Hogwarts steht. Das Hauptgebäude des Klinikums des Bezirks Oberbayern erinnert mit seiner von Efeu bewachsenen Natursteinfassade, dem mächtigen Portal, dem runden Turm, den Bogenfenstern und den schwungvoll gemauerten Giebelkronen am Dach an die berühmte Zauberschule. Einen modernen Klinikbetrieb vermutet hinter der Fassade hingegen keiner. Doch der Eindruck täuscht. Die Klinik steckt mitten in einem umfassenden Modernisierungsprozess - und das nicht zuletzt in baulicher Hinsicht.

Heute hat das Isar-Amper-Klinikum 3000 Beschäftigte

Als der mittlerweile in die Jahre gekommene Kopfbau an der Wende zum 20. Jahrhundert errichtet wurde, war das Bezirkskrankenhaus in Haar-Eglfing die zentrale Anlaufstelle für Psychiatrie-Patienten in der Region. Es war eine Großklinik, die mit ihren in eine Parklandschaft eingebetteten Pavillonhäusern allerdings nicht wie eine solche wirkte.

Doch alles war in Haar angesiedelt. Heute blickt Geschäftsführer Jörg Hemmersbach von seinem Büro an der Vockestraße aus weit über Haar hinaus. Er leitet das Isar-Amper-Klinikum mit 3000 Beschäftigen und 200 Millionen Euro Umsatz, das an sieben Orten in der Region präsent ist; von Taufkirchen über Freising über zwei Standorte in München bis Fürstenfeldbruck und Dachau. Haar ist mit dem Klinikbetrieb München-Ost, den Hemmersbach auch führt, ein Standort unter vielen, wenngleich der weitaus größte.

Ende 2017 soll die geriatrische Psychatrie zusammengeführt sein

Ein Aspekt dieses Umbaus ist die Schrumpfkur, die das Klinikum München-Ost, also das alte Bezirksklinikum in Haar-Eglfing, erfährt. Haar I und Haar II hießen die beiden großflächigen Parkanlagen, in denen die Klinik-Pavillons standen. Stationen aus dem insgesamt 22,5 Hektar großen Haar-II-Areal wurden bereits 2013 nach Schwabing und zuletzt erst im Herbst 2016 nach Fürstenfeldbruck verlegt. Das Klinikum unterhält in Haar II noch zwei Stationen der Geriatrischen Psychiatrie.

Haar: Hauptgebäude wie Hogwarts Haar: Der Eingang zum Isar-Amper-Klinikum München-Ost.

Hauptgebäude wie Hogwarts Haar: Der Eingang zum Isar-Amper-Klinikum München-Ost.

(Foto: Claus Schunk)

Ende 2017 sollen die geräumt sein. Dann soll in Haar alles im Umfeld von Hemmersbachs Hogwarts-Haus in Haar I zusammengeführt sein, wo freilich auch gravierende Veränderungen zu beobachten sind. Die alte Aufnahmeklinik, das aus den Siebzigerjahren stammende Haus 12, galt mit ihren 13 Stationen auf sechs Stockwerken lange als abschreckendes Beispiel für einen entmenschlichten Psychiatriebetrieb. Als diese Anfang 2015 abgerissen wurde, war das für Hemmersbach ein sichtbarer Meilenstein auf dem Weg zu einem anderen Psychiatriebetrieb. "Das war ganz wichtig für unseren Standort", sagt er. Seitdem wird kräftig gebaut.

Ein Nachfolgegebäude steht schon. Zweigeschossig und mit großen Fensterfronten versehen ergänzt die neue Patientenaufnahme, in der auch die Neurologie sowie psychiatrische Stationen und Suchtstationen untergebracht sind, das aus der Jugendstilzeit stammende historische Klinikensemble. Drei weitere Gebäude dieser Art mit orangefarben-braun gestalteten Elementen an der Fassade, in die weitere zwölf Stationen kommen sollen, sind nebendran schon zu sehen. Sie umschließen eine Freifläche, die eine Art Agora, ein Zentrum des Klinik-Areals in Haar bilden soll. Die Geriatrie, die Gerontopsychiatrie und die Psychosomatik werden dort Platz finden. Baukosten: etwa 50 Millionen Euro. Als Eröffnungstermin ist laut Klinik-Sprecher Henner Lüttecke Ende 2017, Anfang 2018 angepeilt.

Die Kommunikation zwischen Klinik und Gemeinde wurde verbessert

Auch die Rolle des Klinikums München-Ost in Haar selbst ändert sich. Die Gemeinde rückt näher heran. Kommendes Jahr soll in Haar II auf dem ehemaligem Klinikareal mit dem Jugendstilpark ein neues Wohngebiet entstehen. Der Bezirk Oberbayern finanziert als Träger des Klinikums gemeinsam mit der Gemeinde im künftigen Jugendstilpark das Kleine Theater. Das Klinikum selbst ist heute schon Teil der allgemeinmedizinischen Versorgung. Eine Stroke-Unit für Herzpatienten wurde im neuen Empfangsgebäude eingerichtet und zertifiziert. Ein Zahnarzt betreibt eine Praxis in Haar I, die auch die Menschen besuchen werden, die im Jugendstilpark bald wohnen werden. Weitere Ärzte könnten kommen.

Doch noch wirkt nach, dass das Klinikum lange ein Paralleluniversum darstellte. Oft hatte die selbstbewusste Leitung der alleine schon wegen ihrer Größe überregional bedeutenden Klinik Bayern oder Deutschland im Blick, und übersah das nahe Rathaus. Es kam vor, dass die Bürgermeisterin zu einer zentralen Gedenkveranstaltung kurzfristig eingeladen wurde - just an dem Tag, an dem zur selben Uhrzeit ein Empfang der Gemeinde stattfand.

Mehr Menschen, mehr Patienten

Die Krise der Münchner Kliniken hat den Umbau der Psychiatrie-Versorgung nicht erleichtert. Die Einheit am Klinikum Schwabing war seit 2013 der Pfeiler des neuen Versorgungssektors Nord. Der brach teilweise weg, weil ein Gebäude nicht mehr nutzbar ist. Eine Ambulanz, eine Tagesklinik und in reduzierter Form stationäre Einheiten blieben; dazu Wünsche für einen weiteren Klinikbau und eine Kinderpsychiatrie in Schwabing. Ob und wann es dafür Zusagen gibt, ist unsicher. Andernorts ist man noch nicht einmal soweit.

So gibt es als Kern des Südwest-Sektors Pläne am Pasinger Krankenhaus. Der Geschäftsführer des Isar-Amper-Klinikums Jörg Hemmersbach hat sogar Skizzen dafür. Doch er bezweifelt, dass das Raumprogramm den Ansprüchen genügen würde. Wo eine Psychiatrie-Station am Klinikum Harlaching entstehen könnte, zeichnet sich laut Hemmerbach nicht ab. Die Patienten, die in Harlaching und Pasing behandelt werden sollen, sind noch in Haar.

Derweil warnt die Geschäftsführerin der Kliniken des Bezirks Oberbayern, Margitta Borrmann-Hassenbach, vor Herausforderungen durch den Zuzug in die Region. Die wohnortnahen Klinikeinheiten lassen die Zahl der Patienten zudem steigen. Ambulante Dienste wie Tageskliniken und "Aufsuchenden Hilfen" werden gestärkt. Mit "solchen Konzepten" wolle man dem Druck begegnen, sagt Hemmersbach. Damit werde nicht gespart, sondern die Versorgung verbessert. belo

So etwas soll nicht mehr passieren. Als sich kürzlich in Haar Gemeinderäte überrollt fühlten, weil die Klinikleitung in Haar I provisorische Stations-Gebäude errichten will, vereinbarten Klinikleitung und Rathaus einen Informationsaustausch. Man kam zusammen. Klinik-Geschäftsführer Jörg Hemmersbach erläuterte den Gemeinderäten in einer Power-Point-Präsentation, was sich alles verändert in seinem Klinik-Reich. Das Verständnis füreinander sei gewachsen, sagt er rückblickend. Auch Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) lobt den offenen Umgang miteinander. Man werde den Austausch wiederholen, sagen beide.

Die Psychatrie muss zum Menschen kommen, gibt die Klinik als Ziel an

So haben die politisch Verantwortlichen in Haar jedenfalls wieder einmal zu hören bekommen, dass im Großraum München alles miteinander zusammenhängt; dass sie nach Fürstenfeldbruck, Schwabing und Harlaching schauen müssen, um zu verstehen, was in ihrer Gemeinde passiert. Das Klinikum München-Ost ist als stationäre Einrichtung die zentrale Institution in der in die Sektoren Ost, Nord und Südwest aufgeteilten Versorgungsregion, zu der die Stadt München sowie die Landkreise München, Fürstenfeldbruck und Ebersberg gehören. Die Provisorien wurden in Haar notwendig, weil in Fürstenfeldbruck und Schwabing die Pläne für neue Stationen nicht planmäßig umgesetzt werden konnten.

Die Klinik werde aber den Weg der Dezentralisierung weitergehen, sagt Hemmersbach. "Wir sind nach wie vor absolut überzeugt davon, dass eine Versorgung dort stattfinden muss, wo die Menschen leben. Es geht auch um die Verlegung von Handlungskompetenz vor Ort." Regionale Gesellschaften würden deshalb gegründet. Die Psychiatrie müsse zu den Menschen kommen. Das sei das Ziel.

Weitere Investitionen sind deshalb geplant. In Berg-am-Laim soll eine Tagesklinik entstehen. Und auch in Haar wird nach dem Bau der drei neuen zentralen Stationsgebäude samt Empfang der Umbau weitergehen. Abgesehen von Provisorienbauten, die Luft verschaffen sollen, bis in Pasing oder Harlaching etwas vorangeht, dürfte auch die erst vor Jahren neu errichtete Forensik wieder eine Baustelle werden. Hemmersbach zufolge hat das aber einfach den Grund, dass Insassen dort Anspruch auf Einbettzimmer hätten, der erfüllt werden müsse.

"Unser Ziel ist es nicht, die Kapazität auszunutzen, sondern die Qualität zu verbessern." Hemmersbach räumt aber ein, dass die wegen klarer regionaler Zuständigkeit zugewiesene Zahl der Forensik-Patienten in Haar hoch ist. Man versuche immer wieder durch Gespräche, die Insassen dazu zu bewegen, an andere Kliniken zu gehen. Doch zwingen könne man niemanden. Er sagt: "Eine zu große Forensik ist nicht gut. Das prägt den Standort".

Auch für weitere Kliniken sucht der Bezirk nach Flächen

Hemmersbach sagt, das Klinikum München-Ost werde in Haar nicht wieder wachsen. Doch die Gemeinde sei ein wichtiger Klinikstandort, an dem es zudem noch Flächen gebe. So schließt Hemmersbach eben doch nicht aus, dass eine andere Klinik des Bezirks dort Bauten errichtet. Die Heckscher-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie baut bereits Stationen für schwerstkranke Kinder. Weitere könnten folgen. Der Platz für Klinikprojekte in München, sagt die für den Bezirk in ganz Oberbayern zuständige Klinik-Chefin Borrmann-Hassenbach, sei begrenzt. Gegenüber vom Hauptgebäude in Haar hält sich in Sichtweite von Hemmersbachs Büro der Bezirk für etwaige Pläne eine große Fläche frei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: