Haar:Restlicht und Schatten

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Spiel mit Licht und Schatten: Die Skulptur "Restlicht" von Werner Mally stand vorübergehend am Siegestor. (Foto: Siegfried Wamese)

Eine Skulptur soll an das NS-Mordprogramm in Haar erinnern

Von Bernhard Lohr, Haar

Die Gemeinde Haar hat gemeinsam mit dem Isar-Amper-Klinikum zu gleichen Teilen die Skulptur "Restlicht" des Münchner Künstlers Werner Mally erworben. Das hat der Gemeinderat in seiner jüngsten nicht öffentlichen Sitzung beschlossen. Damit ist ein großer Schritt getan, in Haar einen würdigen Gedenkort für die systematische Ermordung von Menschen infolge des so genannten Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten zu schaffen.

Von 1939 bis 1945 wurden unter der Leitung des Psychiaters Hermann Pfannmüller in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar Menschen selektiert und ermordet, weil sie nach der NS-Ideologie als "lebensunwert" angesehen wurden.

Als Gutachter der "Aktion T4" war Pfannmüller an dem systematischen Mordprogramm aktiv beteiligt. Wie das NS-Dokumentationszentrum in München zusammenfasst, starben in Eglfing etwa 1800 Patienten unter anderem an Unterernährung. Durch eine spezielle Hungerkost wurden die Menschen bewusst geschwächt und zu Tode gebracht. Andere wurden durch Giftinjektionen und Tabletten ermordet. In der Kinderfachabteilung von Eglfing-Haar wurden 332 Kinder vergiftet. Außerdem wurden psychisch Kranke von Haar aus mit Zügen in Tötungsanstalten gebracht.

An diese Verbrechen wird in Haar seit Jahren erinnert. Beschäftigte des heutigen Isar-Amper-Klinikums setzten im Jahr 1990 ein Zeichen und brachten anlässlich des 50. Jahrestags des ersten Transports von psychisch Kranken nach Grafeneck mit einem mehrtägigen Symposion die Taten wieder ins Gedächtnis. In der Folge wurde der Stein am Klinikum platziert, an dem seither in regelmäßigen Abständen Menschen zum Gedenken an die Toten zusammenkommen. Gegen Widerstände setzte die Gemeinde durch, dass am Kriegerdenkmal im Ort auch der Euthanasieopfer gedacht wird. Jetzt soll noch die Restlicht-Skulptur als letzter, womöglich zentraler Gedenkort auf ehemaligem Klinikgelände aufgestellt werden. Gemeinde und Klinikum ziehen dabei an einem Strang.

Vorgesehen ist dafür ein Standort im künftigen Wohngebiet Jugendstilpark. Dort soll die Skulptur auf einer Freifläche nahe dem Kindergarten an der Casinostraße platziert werden. Doch bis es soweit ist, wird noch Zeit vergehen. Denn zunächst wird das Gelände von Haar II zur Großbaustelle. Die Investoren planen, die bestehenden, alten Klinikgebäude zu sanieren und es sollen dazwischen Neubauten gesetzt werden. Als Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) jüngst im Ferienausschuss des Gemeinderats den Kauf der Skulptur bekannt machte, erläuterte sie auch, dass diese wegen der dort anstehenden Großbaustelle zunächst nicht im Jugendstilpark stehen wird. Es wäre kein würdiger Gedenkort, sagte sie.

Deshalb wird die Restlicht-Skulptur zunächst vor dem Nebeneingang des Rathauses aufgestellt. Der Standort wurde sorgsam ausgewählt. Denn das Kunstwerk von Mally, der früher seine Werkstatt auf dem ehemaligen Klinikgelände hatte und die Örtlichkeiten in Haar gut kennt, kann nicht überall stehen, so auch nicht am zuerst favorisierten Haupteingang, weil dort Kopfsteinpflaster liegt. Es handelt sich um einen stählernen Baldachin, in den die Jahreszahlen von 1938 bis 1945 gestanzt sind. Licht fällt durch die Löcher und bilden die Zahlen als Lichtpunkte auf dem darunter befindlichen Boden ab.

Eine ebene Fläche ist Voraussetzung, damit das Licht-Schatten-Spiel funktioniert, das nach Mallys Überzeugung für einiges stehen kann, was in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen schief gelaufen ist. Der Schatten könne als psychologisches Motiv der Verdrängung gelesen werden, sagte er in einem SZ-Interview. Dabei erscheine der Schatten nicht tief schwarz, sondern lichtdurchlässig. Durch seine klare Lesbarkeit entstehe eine Verbindung von Licht und Bewusstsein. "Nur so ist eine Auseinandersetzung mit dem individuellen, regionalen oder auch nationalen Schatten möglich."

Die Skulptur Restlicht stand bereits an mehreren Orten. Unter anderem setzte sich der Bezirksausschuss Maxvorstadt dafür ein, sie vor dem Münchner Siegestor zu positionieren. Auch in Berlin vor der St.-Matthäus-Kirche im Kulturforum, das sich in zentraler Lage nahe dem Potsdamer Platz befindet, war sie zu sehen. Nun soll sie ihren endgültigen Standort in Haar finden. Mally kam 1955 in Tschechien zur Welt, von 1966 an wuchs er in Deutschland auf. Er studierte Bildhauerei in München und Wien und lebt heute als Künstler in der Clemensstraße in Schwabing.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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