Haar:Kinder suchen Haus

Haar, Peter-Henlein-Straße, Vorschulkindergarten Allegro, mit Leiterin Marion Hoffmann

Auch einfache Zahlenaufgaben gehören schon zum Lernpensum der Vorschulkinder, die hier mit Leiterin Marion Hoffmann üben.

(Foto: Angelika Bardehle)

Im Vorschulkindergarten "Allegro" in Haar lernen Fünf- und Sechsjährige. Doch bald müssen sie ausziehen, weil Nachbarn der Lärm stört. Es ist keine einfache Aufgabe für Marion Hoffmann, eine neue Bleibe zu finden.

Von Bernhard Lohr, Haar

Muriel möchte spielen. Das Haus ist noch nicht ganz fertig. Eine Matratze bildet die eine Wand, ein Rollschrank die andere und darüber haben die Kinder eine Decke gespannt. Ein schöner Ort zum Verstecken. "Können wir wieder ein Haus bauen?", fragt sie. Doch die beiden Buben, die sich mit Muriel im Gang herumdrücken, haben irgendwie genug. Irgendwann reden die drei darüber, wie alt sie sind und wer der Älteste von ihnen ist. Älterwerden, das ist an diesem Tag im Vorschulkindergarten Allegro in Haar ein großes Thema. Schließlich hat Ronja Geburtstag. Sie ist sieben geworden und sitzt mit Geburtstagskrone im Klassenzimmer, während sich die anderen draußen die Zeit vertreiben.

Der Vorschulkindergarten "Allegro" in Haar ist eine Einrichtung, wie es sie kaum noch gibt. Ein Zwitterwesen, könnte man sagen; halb Schule, halb Kindergarten - und wie maßgeschneidert für viele Kinder, für die der Übergang ins Schulleben ein zu einschneidender Schritt ist. Die Einrichtung, die sich auch als Musik- und Sportschule versteht, füllt eine Lücke.

Doch nun steht sie vor einer ungewissen Zukunft. Im Februar erfuhr die Gründerin und Leiterin des Allegro-Hauses, Marion Hoffmann, dass die Räume zum August gekündigt sind. Es ist kaum zu glauben. Doch das Haus für Kinder wurde dort im Mischgebiet, wo sich Senioreneinrichtungen, Gewerbebetriebe und auch ein Hort befinden, als störend empfunden. Nach hinten raus, wo ein Grünstreifen liegt, schließen Wohnanlagen an. Jetzt soll eine Pension in die Kita-Räume einziehen; also Unterkünfte für Arbeiter. Der Bauausschuss des Gemeinderats hat das auch schon gebilligt.

Für die Leiterin des Allegro-Hauses ist das eine schwierige Situation. Die Probleme, gutes Personal zu finden, teilt sie mit vielen Kindertagesstätten. Bei ihr kommt die Suche nach einer Bleibe dazu. Gegründet wurde Allegro 2006 in Trudering, wo man wegen einer Gebäudesanierung bald raus musste. Haar sollte eine Übergangslösung sein, doch man lebte sich gut ein. Das Gebäude bietet viel Platz im Inneren, den Grünstreifen draußen können die Kinder aber nicht nutzen, weil die Gärten der Nachbarn angrenzen. Nun steht erneut ein Umzug an. Gebäude in Trudering und in Haar hat man im Blick. Ob das richtige darunter ist, wissen Hoffmann und ihre Assistentin Ute Galfe, mit der sie eng zusammenarbeitet, aber nicht. Es sind Auflagen zu erfüllen und der Kindergarten muss akzeptiert werden. "Wir bekommen ganz, ganz oft die Antwort: keine Kindertagesstätte", sagt Hoffmann. Viele Nachbarn befürchteten Lärm.

Was die Besonderheit des Vorschulkindergartens ausmacht, wird bei einem Gang durch die Einrichtung klar. Auf der einen Seite des Gangs befindet sich ein Gruppenraum, wie er in jedem Kindergarten existieren könnte. Erzieherinnen sitzen dort mit Kindern und basteln. Gegenüber steht aber die Aufschrift "Klassenzimmer" neben der Tür. Dort unterrichtet die Grundschullehrerin und Schulpsychologin Tina Fritze. Die Kinder rechnen. An den Wänden hängt eine Schautafel mit dem "Alphabet der Tiere" und auch an Englisch tasten sich die Fünf-, Sechs- und Siebenjährigen schon mal ran. "What's the weather today?", ist auf einer Schautafel zu lesen, auf der die Kinder einen Pfeil auf Bilder stellen können, die symbolisch die Sonne oder Regen zeigen.

Musik und Bewegung spielen eine große Rolle

Vorschulkindergärten sind nach dem bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) eigentlich nicht mehr vorgesehen. Die Vorbereitung auf die Grundschule soll im Kindergarten selbst laufen, die Erzieherinnen sollen den Kontakt zu den Grundschulen pflegen und so den Kindern den guten Übergang gemeinsam ebnen. So ist der Plan. Doch nicht immer klappt das. Kindergärten arbeiten wegen des Personalmangels unter schwierigen Bedingungen. Andererseits lassen sich nicht alle Kinder wunschgemäß eintakten.

Es gibt bei Allegro Kinder, die sich schwer tun, ruhig zu sitzen. Bei manchen sind Aufmerksamkeits- oder Hyperaktivitätsstörungen diagnostiziert und bei manchen haben die Eltern einfach das Gefühl, ihr Kind sollte noch ein Jahr geschenkt bekommen, bevor es in die Schule geht. Hoffmann spricht von "Kann-Kindern" und erzählt von dem Buben, bei dem erst spät festgestellt wurde, dass er schlecht hört. Ein Therapeut half ihm, Defizite aufzuholen. Er wird bald die Regelschule besuchen können. Bei Bedarf kommen Logopäden, Ergotherapeuten und ein Mobiler Hilfsdienst ins Haus.

Marion Hoffmann ist ausgebildete Musik- und Sportlehrerin, hat promoviert und am Institut für Sport- und Sportwissenschaft an der Bundeswehruniversität in Neubiberg in der Motorikforschung gearbeitet. Sie hat das Konzept des Vorschulkindergartens entwickelt, der nicht zufällig Allegro heißt. Musik spielt so wie Bewegung eine große Rolle. Dazu kommt die Überzeugung, dass bei der Arbeit in kleinen, altershomogene Gruppen gerade mit Fünf- und Sechsjährigen große Fortschritte zu erzielen sind - wenn Grundschullehrerinnen und Erzieherinnen Hand in Hand arbeiten. "Schule und Kindergarten greifen ineinander. Die Erzieherin muss genau wissen, was im Unterricht passiert ist. Musik und Spiele sind aufeinander abgestimmt", sagt Hoffmann. Was soeben im Klassenzimmer gelernt wurde, wird gleich drauf im Kindergarten-Gruppenraum gegenüber spielerisch vertieft.

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