Haar:Bilder, die Grenzen sprengen

Haar: Die Künstlerin Reinhild Gerum (links) arbeitet mit Psychiatrie-Patienten.

Die Künstlerin Reinhild Gerum (links) arbeitet mit Psychiatrie-Patienten.

(Foto: Claus Schunk)

Seelsorger und Künstler diskutieren mit Vertretern des Isar-Amper-Klinikums, wie sie gemeinsam psychisch Kranken helfen können

Von Laura Zwerger, Haar

Bunte Bilder hängen in dem kleinen Kirchenraum des Isar-Amper-Klinikums in Haar. Sie erzählen die Geschichte von Simeon (Name geändert), der psychisch krank ist und wie er durch ein Blatt Papier seinem Leben wieder einen Sinn geben kann. "Ein Blatt ist ein Raum, den er in Beschlag nehmen kann - in dem er alle Freiheit hat", erklärt Reinhild Gerum. Sie ist Künstlerin und arbeitet seit bald 30 Jahren kunsttherapeutisch im Isar-Amper-Klinikum, in dessen forensischer Abteilung Simeon seit mehr als fünf Jahren lebt.

Rund ein Dutzend seiner Bilder waren bei einem Treffen von 300 Künstlern und Seelsorgern am Klinikum in Haar ausgestellt - sie zeigen, wie Kunst das Leben eines Menschen wieder bereichern kann. "Simeon fühlt sich in der Forensik nicht eingeschlossen, denn er lebt in seinen Bildern", erzählt Gerum. Bei der Veranstaltung schildert sie ihre Erfahrungen aus der Arbeit in der Psychiatrie, ebenso wie Seelsorger verschiedener Konfessionen und Till Krauseneck, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum. Unter dem Motto "Über Grenzen" geht es darum, wie man psychisch erkrankten Menschen in der doch beengten Klinikumwelt helfen und sie zurück in ein selbstbestimmtes Leben führen kann. "Die Kunst unserer Arbeit besteht dabei besonders darin, den Patienten so aufzufangen, wie er ist, und ihm dabei zu helfen, mit dem, was er mitbringt, glücklich zu werden", erklärt Krauseneck. Es gehe immer darum, für den jeweiligen Betroffenen den besten Weg zu finden.

Und an diesem Punkt trifft die Arbeit der Ärzte, Seelsorger und Künstler zusammen: Sie fangen auf, hören zu und helfen. "Die Seelsorge bietet dabei einen Rahmen zum Gespräch - es sollen Chancen eröffnet werden", erklärt Pastoralreferent Josef Germeier von der Erzdiözese München und Freising, die zu der Veranstaltung geladen hat. Dabei solle der Patient bei seinem eigenem Blick auf die Welt unterstützt und nicht, wie es die Patienten teils aus ihrem eigenen Umfeld gewöhnt sind, ermahnt oder bevormundet werden. "Wir möchten sie einfach auf ihrem Weg begleiten", so Germeier.

Wie sehr einige Patienten mit ihrer Erkrankung zu kämpfen haben, ist den Seelsorgern aber stets bewusst: "Die Begrenzung auf offenen Stationen ist noch gut aushaltbar - auf anderen Stationen wie der Geschlossenen sind die Bewegungsfreiräume allerdings enger - das auszuhalten, ist nicht einfach", sagt die evangelische Pfarrerin Petra Meyer. Doch in Einzel- oder auch Gruppengesprächen können die Seelsorger selbst Patienten in Isolation kurzfristig daraus herausholen.

Um das Herausholen aus einer beengenden Lebenslage geht es auch in der Kunsttherapie: "Kunst ist stets ein Entwurf von Freiheit", erklärt Gerum. Sie sei immer wieder beeindruckt, wie viel Kraft dabei entstehen könne. So habe sie beispielsweise eine junge Frau mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in ihrer Kunsttherapie betreut. "Sie war sehr unruhig und verzweifelt, quälte und verabscheute ihren eigenen Körper", berichtete Gerum. "In der Malerei konnte sie ihre Kräfte dann aber in eine positive Richtung lenken", so die Künstlerin. Auch eine chronisch schizophrene Patientin habe beim Zeichnen endlich von ihrer Unruhe pausieren können.

"Die Kunst hat dabei die besondere Kraft, Ängste und längst vergessene Wünsche oder Empfindungen wieder hervorzuholen und sie auf ein Blatt zu bannen", so Gerum. Sie versuche stets, bei diesem Prozess zu unterstützen und dann durch behutsam gestellte Fragen bei der Reflektion dieser zu helfen. "Es ist aber ein langer Weg von Fragen und Antworten", resümierte Gerum.

Allerdings ist dieser Weg nicht für alle Patienten des Klinikums geeignet: "Aus ärztlicher Sicht sind bei der Kunsttherapie gewisse Voraussetzungen unabdingbar", erklärt Chefarzt Krauseneck. "Alle Patienten müssen reflektions-, steuerungs- und kritikfähig sein." Daher wird diese Therapieform im Isar-Amper-Klinikum auch oft psychosomatischen Patienten angeboten, denn sie seien in einer offenen Behandlung und freiwillig hier, so Krauseneck.

Die Nachfrage sei dabei mittlerweile so hoch, dass sie das Angebot des Klinikums überschreite. Die Kunsttherapie steht demnach bei der Behandlung psychisch Kranker hoch im Kurs, allerdings sind sich sowohl der Chefarzt sowie die Seelsorger und Kunstschaffenden in einem einig: Es ist und bleibt ein Zusammenspiel aller drei Professionen, das den Patienten helfen soll. Und Matthias Riedel, Leiter des Fachbereichs Kultur und Freizeit des Sozialpsychiatrischen Zentrums des Klinikums, stellt zum Ende der Veranstaltung klar: "Es geht in unserer Arbeit darum, Grenzen immer weiter nach außen zu schieben - aber auch darum, sie zu akzeptieren."

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