Klinikum Haar:Abkehr von der stationären Behandlung

Isar-Amper-Klinikum in Haar, 2011

Teil des Isar-Amper-Klinikums in Haar: das Haus 67, eine Station für psychiatrische Therapie.

(Foto: Angelika Bardehle)

Im Rahmen der Psychiatrie-Reform sind neue Tageskliniken geplant. Das Klinikum Haar sollte schrumpfen - doch das dauert länger als gedacht

Von Bernhard Lohr, Haar

Kürzlich saß ein zerknirschter Jörg Hemmersbach im Haarer Rathaus. Der Klinikchef musste den Gemeinderäten erklären, warum das Isar-Amper-Klinikum München-Ost Probleme hat, seine Patienten unterzubringen. Es möchte deshalb bis Ende kommenden Jahres einen Interims-Modulbau für zwei Krankenstationen hinstellen. Was an sich keine große Sache wäre, erweist sich vor dem Hintergrund einer ambitionierten Klinikreform als bemerkenswertes Eingeständnis. Denn der Klinikstandort in Haar sollte doch schrumpfen, zugunsten von Satelliten an den Kreiskliniken, die eine wohnortnahe Versorgung von Psychiatriepatienten ermöglichen. Und hatte das Klinikum nicht stets mehr Platz als genug?

Die zentrale Fachklinik für psychiatrische Erkrankungen im Raum München entstand nach Plänen des Psychiaters Friedrich Vocke Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Haar-Eglfing in einer Art Park. Vocke folgte der Überzeugung, dass der Kontakt zur Natur und die Ruhe den Kranken helfe. Es war ein großer Fortschritt im Vergleich zu den Irrenanstalten, der freilich dazu führte, dass in dem Klinikdorf die Patienten weiter isoliert waren. Mittlerweile werden auch diese Mauern eingerissen. Patienten werden nur so lange wie notwendig stationär behandelt. Werkstätten und Wohngemeinschaften werden eingerichtet und ambulante Angebote ausgebaut. Die Klinikreform hat das Ziel, dass Patienten einfach ein Bett in der nächsten Kreisklinik bekommen.

Auf dem Weg dorthin verkaufte der Bezirk Oberbayern im Jahr 2010 zunächst das halbe Klinikareal in Haar. Auf dem 22,5 Hektar großen Gelände entsteht ein exklusives Wohngebiet. Das Isar-Amper-Klinikum wird dort demnächst eine geriatrische Station aufgeben und das letzte Jugendstil-Gebäude räumen. So war es in der vor sechs Jahren skizzierten und damals auf ein Volumen von 150 Millionen Euro taxierten Klinikreform geplant. Die Klinik in Haar-Eglfing sollte kleiner werden, das Geld aus dem Verkauf in die Klinikreform fließen. Die Einrichtung, die außer für München für die Landkreise München, Ebersberg, Fürstenfeldbruck und Dachau zuständig ist, sollte dafür fünf Außenposten bekommen; mit niedrigschwelligen Tageskliniken und Ambulanzen.

Doch es gibt Bremsspuren bei der Umsetzung. Der Klinikstandort in Dachau wurde eröffnet. In Fürstenfeldbruck verzögerte sich alles, weil sich die Absicht, an der Kreisklinik vier Stationen zu schaffen, als schwer umsetzbar erwies. Am Ende entstand ein Bau auf einem Nachbargrundstück, so dass die Infrastruktur der Kreisklinik mit genutzt werden kann. In Haar wird nun ein Neubau notwendig, weil Stationen von dort verspätet oder gar nicht wegverlegt werden können. Die Lage verschärfte sich, weil das Isar-Amper-Klinikum laut Hemmersbach wegen der Umstrukturierungen im Städtischen Klinikkonzern mit seinen Plänen, am Schwabinger Klinikum einen Psychiatrie-Standort für den Münchner Norden aufzubauen, in Verzug geriet. Man muss dort sogar ein Gebäude räumen. Wie die Leiterin der Kliniken des Bezirks (KBO), Margitta Borrmann-Hassenbach, sagt, habe die Gewerbeaufsicht die Betriebsgenehmigung für das Haus 77, in dem Suchterkrankte behandelt würden, bis Ende 2016 begrenzt.

Übergangsweise bleiben die KBO im Gebäude Leopoldstraße 275 mit einer Ambulanz und einer Tagesklinik in Schwabing präsent. 40 Patienten könnten aus Haus 77 dort aufgenommen werden. Darüber hinaus hat der Klinikbetrieb des Bezirks laut Borrmann-Hassenbach ein Konzept vorgelegt, am Schwabinger Klinikum einen starken Psychiatrie-Standort zu schaffen und schwerpunktmäßig die Kinder- und Jugendpsychiatrie anzusiedeln. Man müsse den wachsenden Bedarf sehen, sagt Borrmann-Hassenbach. München sei eine Boomregion mit starkem Zuzug. Im Jahr 2030 werde man 150 000 zusätzliche Jugendliche in München haben. Die Kliniken des Bezirks halten laut Borrmann-Hassenbach an ihrer Reform fest, justieren ihre Pläne aber nach.

In Haar wird bereits offen darüber gesprochen, wie das offiziell als Übergangslösung angekündigte Klinikgebäude nach Jahrzehnten weiter genutzt werden kann. Erst kürzlich lehnte der Bezirk selbst den Verkauf eines Grundstücks außerhalb des eigentlichen Klinikareals in Haar ab, auf dem die Gemeinde gerne einen Schulcampus gesehen hätte. Das Argument war, dass die Klinik sich das Gelände gegenüber dem Haupteingang für mögliche eigene Projekte freihalten wolle. Damit würde das Klinikum über seine historischen Grenzen auf die gegenüberliegende Seite der B 471 hinauswachsen.

Der Aufbau von Satelliten in der Region soll freilich weitergehen. So steht nach Aussage von Borrmann-Hassenbach, die anders als Hemmersbach den gesamten Bezirk Oberbayern im Blick hat, als nächstes die Entscheidung über den Bau einer Tagesklinik für Allgemeinpsychiatrie an der Kreisklinik in Erding an. Es gebe ähnliche Pläne für Wolfratshausen, sagt sie. In Landsberg am Lech werde eine Erweiterung der Klinik angepeilt. Auf gutem Weg sei der Plan, in Berg am Laim eine Tagesklinik für München-Ost zu eröffnen. Nach einigen Jahren Klinikumbau ist mancher Akteur um einige Erfahrungen reicher. Margitta Borrmann-Hassenbach hat erlebt, wie in Freilassing neue Stationen eröffnet wurden, die dann innerhalb kurzer Zeit belegt waren, ohne dass wie geplant Patienten von Wasserburg dort hinverlegt worden wären. Freie Betten? Fehlanzeige.

Wie ein psychiatrisches Hilfsangebot angenommen werde, das hänge stark von der Erreichbarkeit ab, sagt sie. Viele Prognosen hätten sich nicht bewahrheitet. "Wenn diese Nachfrage weiter so steigt, wie sie es momentan tut, dann wird man sich weitere Standorte überlegen."

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