Grünwald:Kunst mit der Motorsäge

Im Walderlebniszentrum Grünwald fertigen sechs Bildhauer Figuren und andere Skulpturen aus Bäumen. Kommende Woche sind diese zu sehen

Von Anna Hordych, Grünwald

Die "Teufelsweiber" tragen hochhackige Schuhe und Hörner auf den Häuptern. Dürr sind die Beine, vehement der Ausdruck. Die filigranen Skulpturen, die Volker Sesselmann schafft, grenzen an Karikaturen. Spitz zulaufende Gliedmaßen, die in ihrer Schlankheit an Alberto Giacomettis Formensprache erinnern, enden in übergroßen, extravaganten Gesichtern.

Ihren Schöpfer Sesselmann kann man an diesem Dienstagnachmittag im Grünwalder Walderlebniszentrum antreffen. Motorsägen kreischen im Hintergrund, wenn man die große Grünfläche im Zentrum des Waldparks überquert. Es ist eine ungewohnte Geräuschkulisse, ist es doch sonst so ruhig auf dem dichtbewachsenen Forstgelände.

Den Eingang zu Sesselmanns Arbeitsterrain markieren zwei von seinen Charakterfiguren. Um die beiden wunderlich dreinschauenden Herren aus Holz gehen ein paar Besucher herum. Weiter hinten steht der Künstler vor zwei mächtigen, unfertigen Holztrümmern. Neben ihm, auf einer improvisierten Arbeitsplatte liegen Werkinstrumente und eine grobe Skizze.

Außer Volker Sesselmann arbeiten seit Montag noch fünf weitere Künstler im Grünwalder Waldpark, wo erstmalig ein Kunst-Symposium stattfindet. Vier Männer und zwei Frauen, die sich auf die Bildhauerkunst verstehen, stellen hier im Münchner Süden bis Sonntag Werke aus Holz her. Nächste Woche werden sie präsentiert, dann bleiben sie als Leihgabe zwei Jahre im Walderlebniszentrum. Unter den Gästen sind Kunstschaffende aus dem Münchner Umland, aber auch von der Nordsee ist eine Künstlerin angereist.

"1000 Kilometer weit" sei sie gefahren, sagt Sabine Boczkowski-Sigges. Die 56-Jährige trägt ihre weißen, hochtoupierten Haaren mit einem gepunkteten Tuch zusammengebunden. Sie hat sich unter einer stämmigen Eiche ein provisorisches Atelier aufgebaut. Töpfe mit bunter Lackierfarbe stehen dort, eine Säge, daneben goldener Schmuck aus Indien. Gleich zu Anfang hat Sabine entschieden, das Holz einzufärben. Ihre bunten Objekte lassen bereits erahnen, wie sie in fünf Tagen aussehen könnten.

Die anderen fünf Künstler gehen es eher puristisch an. Schnell wird deutlich: Jeder hat hier seine eigene Methode. Die einen haben Modelle dabei wie Sabine und Kunsttherapeutin Susanne Musfeldt-Gohm, andere lassen sich spontan von Umfeld und Material lenken. Die Wahl des Holzmaterials fällt sehr konträr aus. Die einen haben Kiefer oder Fichte auserkoren, andere haben sich für die eher widerstandsfähige Eiche entschieden.

Vor Sesselmann stehen Abschnitte einer Fichte. Der siebzig Zentimeter dicke Stamm sollte in der Gemeinde Grünwald eigentlich als Maibaum dienen. "Leider ist ein Teil der Fichte abgebrochen, als man den Baum gefällt hat und abtransportieren wollte", erzählt Sigrid Hagen vom Waldpark. Die stellvertretende Leiterin des Waldzentrums hat den Event "Kunst im Wald" gemeinsam mit Holzbildhauer Peter Frisch ins Leben gerufen und die Überreste für das Künstlersymposium erworben.

Eine der beiden Hälften formt Sesselmann zu einer gemütlichen, dicklichen Person mit rückwärtig verschränkten Armen. "Ausgeglichenheit und Ruhe passt in meinen Augen zum Wald", konstatiert der gelernte Holzbildhauermeister. Erst seit knapp zweieinhalb Jahren probiert sich der Bildhauer am experimentell Figürlichen und schafft eigenwillige Persönlichkeiten.

Angefangen hatte der Künstler aus Steinach mit abstrakten Motiven, bis ihn Bekannte ansprachen, ob er "nicht mal diesen und jenen, zum Beispiel den Großvater schnitzen" könne. Und siehe da: Sesselmann fand Gefallen an menschlich konkreten Gesten, die auch mal ironisch sein dürfen. Zur Feile greift der Bildhauer erst zum Schluss. Hauptinstrument ist die elektrische Säge. "So entsteht vieles spontan aus dem Bauch heraus", erklärt der 50-Jährige. "Das intuitiv Hingeworfene entpuppt sich oft als die beste Form. Je mehr man auf einer Idee herum denkt, umso größer ist die Gefahr, sie tot zu friemeln."

Um die Holzbildkunst ranken sich große Streitfragen: Ist das akademische Konzept oder das gelernte Handwerk entscheidend? Sesselmann findet gerade eine Zwischenbalance wichtig: "Ähnlich wie in der Musik braucht man ein Fundament, später kann man spielerisch und spontan damit umgehen." Dass der Künstler die Bildhauerei mit der Musik vergleicht, kommt nicht von ungefähr. Neben den groben Gerätschaften, den Holzsplittern und Bergen von Sägemehl liegt eine Querflöte: Sesselmann ist auch Jazzmusiker. Die lautstarke Säge wir in diesen Tagen also ab und zu von harmonischeren Jazzklängen abgelöst.

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