Stresstherapie:Auszeit mit Schäfchen

Stresstherapie: Kuscheln mit Schafen, das kann sehr entspannend sein und volle Terminkalender völlig vergessen lassen. Ina Kirchhoff (links) macht es vor.

Kuscheln mit Schafen, das kann sehr entspannend sein und volle Terminkalender völlig vergessen lassen. Ina Kirchhoff (links) macht es vor.

(Foto: Claus Schunk)

Ein Begegnungshof in Wörnbrunn bietet eine "Auszeit" mit Schafen an - um dabei über das eigene Dasein zu reflektieren. Suchtgefahr inklusive.

Von Claudia Wessel, Grünwald

Mampf, mampf, mampf. Kauen aus 14 Schafmäulern ist das Einzige, was zu hören ist. Sechs Frauen sitzen und stehen da und staunen. Marketingfachfrau Julia beispielsweise darüber, dass sie, kaum dass sie das Gatter durchschreitet, gleich von zwei Schafböcken auserkoren wird. Rufus und Paul stürmen auf sie zu und schieben ihre behornten Köpfe unter ihre Hände. Nun steht sie da und streichelt links und rechts.

Auch Verlagsmitarbeiterin Birgit, die sich auf einem der Steine im Gehege niedergelassen hat, wird bestürmt. Klebrige Schafslocken drücken sich an sie, während die Kiefer der Besitzerinnen immer weitermahlen. Schafe sind schließlich Wiederkäuer und daher die meiste Zeit mit Kauen beschäftigt. Die anderen vier dagegen werden gerade ausgiebig ignoriert, denn der Rest der Schafherde lässt sich von dem menschlichen Besuch nicht aus der Ruhe bringen.

Die Wollknäuel liegen einfach da, lassen die Ohren hängen und schauen höchstens mal gelangweilt umher. Ab und zu steht eines auf, geht ein paar Schritte, lässt sich wieder nieder. Zuerst auf die eingeknickten Vorderbeine, dann folgt der Rest. Übrigens liegt kein Schaf ganz allein. Immer kuscheln sich zwei oder mehr aneinander. Sieht gemütlich aus. Man möchte sich dazu legen, trotz des strengen Geruchs und des klebrigen Fells. Aber anders als viele Kinder, die auch oft hierher kommen, trauen sich die Frauen das wohl nicht.

Wie die Auszeit mit Schafen konzipiert ist

"Auszeit mit Schafen" - so nennt sich dieser Samstag auf dem Mensch-und Tier-Begegnungshof in Wörnbrunn. Um 10 Uhr sind die Frauen angekommen. Außer Julia und Birgit noch die Heilpraktikerin Kristin, eine Teilnehmerin ist krank geworden. Die Teilnahme ist auf aber immer auf fünf Personen beschränkt. Den Tag gestalten Ina Kirchhoff und Doris Semmelmann, Gründerinnen des Vereins "Menschen brauchen Tiere", aus dem der Begegnungshof in dem ehemaligen Forsthaus in Wörnbrunn 2008 entstanden ist.

Ina Kirchhoff war ursprünglich Szenenbildnerin und ist inzwischen Umweltpädagogin, und Doris Semmelmann war als Betriebswirtschaftlerin einst eine viel beschäftigte Geschäftsfrau. Inzwischen ist sie Coach und Therapeutin, die dabei gerne mit Pferden und anderen Tieren arbeitet. Auf die Idee des "Auszeit"-Angebots sind die beiden unter anderem durch die Erfahrung der Therapie mit Pferden gekommen. Der Erfolg war immer groß, "aber viele Leute haben auch Angst vor Pferden, weil sie so groß sind", hat Semmelmann erlebt.

"Was wisst ihr denn so über Schafe?"

Vor den Schafen braucht man keine Angst zu haben, auch nicht vor den vier Ziegen, die mit ihnen zusammen leben. Ein bisschen aufpassen muss man natürlich schon, vor allem, wenn der Ziegenbock Bromm einem liebevoll sein Horn um den Hals legt. Ansonsten passiert einem nicht viel mehr, als dass die Finger kleben. Das kommt vom Lanolin, das das Schaffell vor Nässe schützt. Und es ist sehr gesund für die Haut, sagt Ina Kirchhoff. Sie habe schon bemerkt, dass Verletzungen damit besser heilen.

Diese und andere Informationen bekommen die Frauen beim Besuch der Schafherde peu à peu. Nicht in Form eines Vortrags. Nein, nur auf Nachfrage. Also wenn einer der Frauen, während sie so dasitzen und die Tiere auf sich wirken lassen, etwas auffällt. "Sind das eigentlich Wiederkäuer?" fragt irgendwann eine und "Wie viele Mägen haben die dann?" Vier, sagt Kirchhoff. Wann werden die eigentlich geschoren? Einmal im Jahr im April. Und wieviele Lämmer kriegen die so? Oft Zwillinge. Muss zur Geburt ein Tierarzt kommen? Nein, das machen die meistens ganz alleine.

Einfach nur beobachten war übrigens die Aufgabe bei diesem ersten "Programmpunkt" am Auszeit-Tag. Und schauen, was einem auffällt. Und sehen, ob man von einem Schaf ausgesucht wird. Es ist herrlich entspannend und macht dem Titel des Tages schon mal alle Ehre, man chillt einfach so im Schafgehege und schweigt und lacht und plaudert vor sich hin. Danach sind alle schon mal so richtig "runtergefahren", wie Julia sagt, die nach ihren Erzählungen zu urteilen den stressigsten Job hat, oft in aller Welt unterwegs ist und Trainings für Automobilverkaufspersonal macht. Die Teilnehmerinnen setzen sich jetzt in die gemütliche Outdoor-Sitzecke, trinken einen Früchtetee und Ina Kirchhoff fragt: "Was wisst ihr denn so über Schafe?"

Spazierengehen mit der Herde

Was sie eigentlich fressen. Ob sie gefressen werden und von wem (außer dem Menschen). Ob es Raubtiere oder Fluchttiere sind und woran man das erkennt? Über all das gibt es auch jetzt kein Referat, sondern eine kindlich anmutende Schau mit kleinen Holztieren, einer Gruppe Schafen und einem Fuchs. Von Alphatieren und Leittieren erfahren die Frauen etwas und Julia fällt meist sofort ein Vergleich aus dem Job ein. Dann ist erst mal Mittagspause am Lagerfeuer bei Stockbrot und Suppe, am Nachmittag dürfen die Hobby-Schäferinnen mit der gesamten Schafherde spazierengehen, auf die gegenüberliegende Wiese. Im Anschluss gibt es eine "philosophische Runde", bei der es um die Frage geht "Welche Freiheit wollen wir?"

Und zu guter letzt wartet noch eine Aufgabe aus der systemischen Psychologie: Jeder sammelt fünf Gegenstände aus der Natur und ordnet sie auf einem Blatt an, dabei sollen sie eine Situation aus dem Leben darstellen, zu der man eine Frage hat. Alle Teilnehmer gehen dann von Blatt und Blatt, jeder darf etwas ändern. Wenn man zum eigenen Blatt zurückgekehrt ist, hat man die Antwort auf seine Frage quasi geschenkt bekommen.

Zum Abschied müssen die Frauen unbedingt wieder "ihre" Herde besuchen. Ja, sie ist schon ihre geworden, auf magische Weise. Vielleicht, weil die Frauen inzwischen fast alle Namen kennen. Weil Kirchhoff die Eigenarten von Anita, Herbert, Sophie und Co. so nebenbei erzählt hat. Weil die Frauen schon süchtig geworden sind nach der beruhigenden Wirkung des kollektiven Mampf, Mampf. Jetzt könnte man sich glatt an eines der klebrigen Felle kuscheln. Aber es ist 16 Uhr, Ende der Veranstaltung. Schade. Manche haben sich gar ein bisschen in die Tiere verliebt. Ein kleines Glücksgefühl bleibt - allein bei dem Gedanken daran, dass es sie gibt.

Die nächste Veranstaltung "Vom Glück, Schafe und Ziegen zu hüten" auf dem Mensch-und Tier-Begegnungshof ist am Samstag, 11. Juli, von 10 bis 16 Uhr. Man auch andere Termine für eine "Auszeit mit Schafen" vereinbaren, für Firmen auch in größeren Gruppen www.menschenbrauchentiere.de.

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