Grünwald:Abgesang auf die Sahnetorte

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Das Café Fischer in Grünwald schließt nach fast hundert Jahren für immer. Früher füllte ein Ausflug dorthin den ganzen Tag, und am Abend wurde Charleston getanzt. Heute läuft kaum noch jemand auf der Straße vorbei

Von Ulrike Schuster, Grünwald

Das Haus ist brechend voll, bis auf den letzten Stehplatz besetzt, auf dem Balkon haben sich die Geiger, Cellisten und Sänger positioniert. Drumherum wimmelt es von Männern in Frack und Mantel, mit Gehstock und glänzenden Schuhen. Die Frauen tragen knielange Hemdkleidchen, mit Handschuh, Hut und Federn. Hier herrscht nicht Alltag, sie haben sich herausgeputzt, die Damen, die Herren. So sah es aus, eine typische Szene, aufgenommen im Mai 1925, im Café Fischer in Grünwald. "Das war einmal eine Institution, hier ließ man sich sehen, hier wollte man gesehen werden", sagt Franz Hölzl, 62, Chef in dritter Generation. 90 Jahre später sieht man noch zwei Frauen über die 400 Quadratmeter Kaffeehaus laufen, es sind Maria Riedl und Marita Haak, Fischer-Bedienungen seit fast 40 Jahren. Am Montag sitzen sie im Bewerbungsgespräch, um irgendwo anders neu anzufangen.

Die 250 Stühle, die mal zum Hinsetzen aufforderten, stehen schon an der Wand, übereinander geklappt, daneben 250 Terrassenstühle. Der große Ausverkauf, Hausflohmarkt, alles sollte raus, am Dienstag und Mittwoch dieser Woche: vom Espressoteller übers Teekännchen bis zur Suppenschüssel - fast hundert Jahre Inventar wurde praktisch verschenkt. Der Bierwärmer kostet einen Euro. "Früher konnten ältere Herrschaften ihr Bier ja noch nicht so kalt trinken", sagt Hölzl. Also gab's das Stäbchen, gefüllt mit heißem Wasser zum ins Glas stecken.

Macht man den 360-Grad-Blick, schaut man auf die bunt-gestreiften Tapeten, auf die schweren, samtigen Blümchenvorhänge. Wirft man den Kopf in den Nacken, sieht man auf die türkisfarbene Kassettendecke mit den barock-bäuerlichen Wiesenmustern. Unten am Boden schimmert Florentiner Keramik. Design und Dekor sind verspielt, rustikal, elegant und altbacken - aus der Zeit gefallen, irgendwie skurril befremdlich, gleichzeitig verträumt nostalgisch.

Man spürt: Da kollidiert etwas, das Früher und das Heute. Lebensgefühl ist das eine, Atmosphäre das andere; im Café Fischer ist es still, die Räume menschenleer, vor den Fenstern draußen, vor der Tür, die gleiche Szenerie. "Hier ist kein Leben auf der Straße, da läuft niemand mehr vorbei", sagt Hölzl. "Die Menschen sitzen in ihren Kanzleien und Praxen in München."

Und am Wochenende flögen sie für 65 Euro nach Malle. Die Zeiten, in denen man den Besuch im Kaffeehaus schätzte, seien vorbei, "die kommen nie wieder." Nur die Erinnerung macht sie lebendig. Früher war den Menschen das Café Fischer einen Tagesausflug wert. Sagte der eine "Fahr ma zum Fischer nach Grünwoid", dachte der andere nicht über bessere Alternativen nach, sondern hockte sich einfach in die Tram. Die brachte Junge und Alte in Scharen ins Fischer. Erst spazierten sie durch die Straßen, danach bestellten sie die Tasse Kaffee und das Stück Kuchen. Man plauderte, man stritt sich, mal derb, mal herzlich, dass es gut ausging, war nicht unwahrscheinlich, denn die Menschen brachten etwas Kostbares mit: Zeit und damit auch die Gelassenheit.

"Kaffeehaus funktioniert nur mit Zeit", sagt Hölzl, "heute muss alles schnell, schnell in den Pappbecher." Es sei zwecklos ein Unternehmen gegen den Zeitgeist zu betreiben. Der Sinn stehe den Menschen heute nicht nach Zurücklehnen, Langsamkeit und Sahnetorte. "Wer gönnt sich die denn heute noch?", fragt der 62-Jährige. 25 Kuchen und Torten lagen täglich in der acht Meter langen Vitrine aus, das war bis zum letzten Öffnungstag so. Die Herrentorte aus gekochter Weincreme, Marzipan auf dünnem Biskuitboden waren Kassenschlager. Genauso wie die Prinzregententorte, die man sich zu Prinz Luitpolds Geburtstag einfallen ließ: sieben Schokoböden für sieben bayerische Regierungsbezirke.

Man brauchte Energie, am Abend wurde es wild und leidenschaftlich im Café Fischer. Es wurde getanzt. Dort wo heute das Hotel Hölzl steht, das Sohn Ferdinand, 27, managt, leuchtete von 1945 bis Ende der Sechzigerjahre das Tanzparkett im Scheinwerferlicht. Die Bands spielten ohne Gage, die Fischer-Bühne genügte ihnen, das war die Chance, groß rauszukommen. An manchem Abend standen knapp tausend Leute im Garten - falsch: sie feierten die Musik, man hörte die Dietrich, die Knef, zum Jazz tanzte man. Der Charleston schwappte aus den USA nach Grünwald. "Viele alte Herrschaften, die sich beim Tanzen bei uns kennengelernt haben, waren noch mal da, für einen letzten Tanz", sagt Hölzl. Was heute Tinder ist, war früher das Tanzcafé - Flirtbörse Nummer eins. Hier bandelte man an, hier fühlte man das Glück und den Schmerz.

Nach hundert Jahren das Café ein letztes Mal zuzusperren, tut Hölzl weh, einige Tränen sind in einsamen Minuten geflossen; weil eine Familientradition zu Ende geht, aber auch weil Hölzl nicht weiß, wo er in Zukunft sein Stück Hefezopf herbekommenen soll. Um 15.30 Uhr ist er Süßes zum Kaffee gewohnt. In Qualität, die schmeckt.

© SZ vom 30.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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