Grenznah betrachtet:Fehlende Nummern, fehlender Grund

Schon aufgefallen, dass hier die Herzogstandstraße 26 ist - und nur ein paar Meter weiter die 100 bis 114 folgen? Vorsicht: Verwechslungsgefahr.

Von Bernhard Lohr

Es ist einer der unwahrscheinlichsten Begegnungen, die man sich vorstellen kann. Ein Mann läuft an der Herzogstandstraße in Haar entlang. Er überschreitet die Grenze, wo sie in die Herzogstandstraße in München übergeht, kehrt wieder zurück und verweilt kurz am Straßenrand, versonnen vor sich hinblickend. Weil er irgendwie aufgeschlossen wirkt und nebenan gerade ein Bauträger sich anschickt, in nächster Zeit mehr als 100 Wohnungen zu errichten, kommt man ins Gespräch. Der Mann könnte ja ein Vertreter des Bauträgers oder der Architekt sein. Aber weit gefehlt. "Ich suche die Steuergrenze", sagt Gunther Haug.

Da es zum Rechercheauftrag für diese Serie gehört, den eigentümlichen Dingen auf den Grund zu gehen, die einem an solch einer Steuer- oder Gemeindegrenze begegnen können, muss Haug in dieser Geschichte auftauchen. Der Software-Spezialist, der aus privatem Interesse Grenzfällen nachspürt, erzählt dann auch Interessantes. Ob einem schon aufgefallen sei, dass hier die Herzogstandstraße 26 sei - und nur ein paar Meter weiter die 100 bis 114 folge, fragt er?

Tatsächlich gehören die dreistelligen Hausnummern zu den Gebäuden auf Münchner Flur, was man auch daran erkennen kann, dass auf dem Hausnummernschild "Herzogstandstraße-Gronsdorf" steht. Schließlich gibt es in München-Giesing ja auch eine Herzogstandstraße. Also Vorsicht: Verwechslungsgefahr.

Dabei ist die Herzogstandstraße und vor allem das auf Münchner Gebiet dahinterliegende Areal um den Rappenweg ein Dorado für alle, die nicht nur Abweichungen suchen, sondern krasse Gegensätze. Das Gewerbegebiet Rappenweg ist wegen seiner rechtlich und räumlich ungeordneten Existenz ein Politikum. Dahinter steckt eine Geschichte, die fast so unwahrscheinlich klingt, wie das zufällige Treffen mit Gunther Haug. Und zwar besitzt die Stadt München auf Haarer Flur beim S-Bahnhof in Gronsdorf mehr als 100 000 Quadratmeter Grund. Sie ergatterte das für Wohnbebauung attraktive Areal in den Achtzigerjahren, als sie in einem Bieterverfahren Haar ausstach. Wie Altbürgermeister Helmut Dworzak erzählt, geschah das aufgrund einer Kommunikationspanne. Die Spitzen von Stadt und Gemeinde hatten sich darauf verständigt, dass Haar den Zuschlag bekommt. Doch dann gab das Kommunalreferat im letzten Moment ein höheres Gebot ab und wendete das Blatt.

Nun könnte München dringend benötigten Wohnraum schaffen, wenn nur eine Straße durch besagtes Rappenweg-Gebiet gebaut würde. Das hängt wiederum von einem Grundstück ab, das eine Eigentümerin nur gegen hohe Forderungen abgeben will. Für Haar geht es dabei um den Bau eines Schulcampus, der ebenfalls nur mit der Straße in Gronsdorf möglicht ist. Der Deal in den Achtzigern hat München und Haar einander näher gebracht denn je.

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