Glaube:Der Libero

Glaube: Stefan Scheifele hat vor dem Eintritt ins Priesterseminar als Taxifahrer gearbeitet. Eine prägende Zeit.

Stefan Scheifele hat vor dem Eintritt ins Priesterseminar als Taxifahrer gearbeitet. Eine prägende Zeit.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Priester Stefan Scheifele ist nach Ottobrunn gekommen, um in den beiden Pfarrverbänden neue Strukturen aufzubauen. Krisenmanagement, Organisation und väterlicher Rat zählen zu seinen Stärken

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Stefan Scheifele ist noch nicht ganz fertig; seine sonore Stimme aber schon zu hören, durch die Tür der Küche im Pfarrbüro von St. Magdalena aber nicht wirklich gut zu verstehen. "Er erzählt noch schnell einen Witz", sagt ein Mitarbeiter im Vorbeigehen - und tatsächlich: Sekunden später ertönt schallendes Gelächter aus der Küche. Es muss ein guter Gag gewesen sein.

Pfarrer Stefan Scheifele ist bereits in Ottobrunn angekommen. Sein Vorgänger Markus Moderegger, der noch herzlich über den Kalauer lacht, wurde indes vor wenigen Tagen verabschiedet. Er zieht weiter und wird Stadtpfarrer in Bad Reichenhall.

Es ist ein fließender Übergang, der in den Pfarrverbänden Vier Brunnen und Ottobrunn stattfindet - und doch eine außergewöhnliche Situation. Denn mit dem 50-jährigen Priester Stefan Scheifele kommt ein Mann nach Ottobrunn, der sich selbst als "Libero" der Diözese beschreibt. Ein Arbeiter im Weinberg des Herrn, wie er sehr ernsthaft sagt, aber nicht der Besitzer des Weinbergs. Und klar ist schon heute, Scheifele wird nicht auf Dauer in Ottobrunn bleiben.

"Priesterliche mobile Reserve für Leitungsaufgaben." So lautet Scheifeles offizielle Arbeitsbezeichnung. "Ich gehe dort rein, wo es zu befrieden und neue Strukturen aufzubauen gilt", sagt er, der diesen Auftrag noch bis Ende Februar im Landkreis Fürstenfeldbruck erfüllt. Früher, wenn in einer Pfarrei etwa die Vakanz herrschte, übernahm der Pfarrer der Nachbargemeinde. "Die Einheiten sind heute aber so groß, das funktioniert nicht mehr", sagt Scheifele.

"Um in die Tiefe zu kommen, braucht es Struktur."

Er, der Libero, fühlt sich getragen vom Prinzip des heiligen Benedikt: Tiefe kommt durch Ordnung. "Viele Menschen sagen mir, dass die Kirche doch mehr ist als nur Struktur", sagt Scheifele in seinem neuen Büro in St. Magdalena. "Und das stimmt auch. Aber um in die Tiefe zu kommen, braucht es Struktur."

Krisenmanagement, Organisation, auch väterlicher Rat sind Gaben, die ihn fast sein gesamtes Berufsleben lang begleitet haben. Scheifele selbst sagt, er sei zu einer Zeit in München groß geworden, als das klassische Bild von "Schule, Familie, Kirche" noch existiert habe. Er spricht vom "Aufwachsen und Hineinwachsen in die Pfarrei". "Gleichzeitig hatte ich ein Elternhaus, das mir die Freiheit gegeben hat hinzuspüren, was ich mit meinem Leben anfangen möchte."

Scheifele schließt zunächst eine landwirtschaftliche Lehre ab, ehe er nach München zurückkehrt und Bus und Taxi fährt. Eine Zeit, die ihn geprägt hat. Vor allem das nächtliche Taxi sei wie ein Beichtstuhl gewesen. "Die Anonymität war gegeben. Der Fahrgast lässt alles aus seinem Herzen heraus und du hörst zu", sagt er. Nicht zuletzt in dieser Zeit habe sich der Wunsch verfestigt, den Glauben professionell weiterzugeben.

Mit 25 Jahren tritt der Münchner ins Priesterseminar ein. "Als Erwachsenenberufener würden die Italiener sagen", so Scheifele und lacht. "Schon geprüft vom Alter, vom Leben und den Möglichkeiten dieser Welt."

Es folgt nach dem Studium die praktische Ausbildung und die Weihe zum Priester - und eine Zeit, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. Scheifele wird für den Militärdienst abgestellt, arbeitet mehrere Jahre im Verteidigungsministerium in Berlin, geht für 18 Monate in den Kosovo und später als Militärseelsorger nach Neapel. Dort ist er zuständig für die deutschen Soldaten und deren Familien in den Nato-Hauptquartieren in Italien, Portugal, Spanien, Griechenland und in der Türkei.

Es geht um Leben und Tod

"Man lebt dort mit den Familien, die Arbeit ist eine ganz andere als die eines normalen Pfarrers", sagt Scheifele. "Der Militärseelsorger begleitet Familien, deren Vater oder Mutter einen Beruf ausüben, der wie kein anderer mit der Frage nach Leben oder Tod verbunden ist." Es gehe um ganz existenzielle Fragen - die Soldaten mit ihren Kameraden oft nicht bereden könnten, sagt Scheifele.

Seine neue Aufgabe in Ottobrunn werde nicht die des Friedensstifters sein, sagt er. "Es geht darum, beide Pfarrverbände so attraktiv zu machen, dass feste Strukturen stehen", erläutert Scheifele. "Die Strukturen müssen stehen, dass hier ein neuer Seelsorger anfangen kann und nicht seine ganze Kraft in Organisatorisches legen muss." Die Struktur der Kirchen in Ottobrunn, sagt Scheifele, sei erwachsen aus dem "volkskirchlichen Modell der Siebziger- und Achtzigerjahre" - daraus seien die Pfarrverbände hervorgegangen.

Als zentralen Punkt seiner Aufgabe betrachtet er, die Eigenständigkeit der Gemeinden zu erhalten: "Das ist den Gläubigen sehr wichtig. Pfarrverband bedeutet nicht, dass alles vermischt wird."

Die Kirche aber wird sich neu aufstellen müssen, sagt Scheifele. "Wir werden in den nächsten zehn Jahren 30 Prozent unserer Seelsorger verlieren", sagt er. "Dass Priester wie in den Achtzigerjahren Pilgerfahrten und vieles mehr anbieten, geht nicht mehr." Angst aber mache ihm diese Entwicklung nicht: "Unsere Kirche steht seit 2000 Jahren und sie wird noch mindestens genau so lange stehen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: