Giesing:Einmal Csárdásfürstin sein

Schleifchen, Spitzen, Strass: Beim Kostümverkauf des Gärtnerplatztheaters werden günstig maßgeschneiderte Roben verkauft, in denen einst die Sänger glänzten. Hunderte Menschen kommen, um eines der besonderen Stücke zu ergattern

Von Jutta Czeguhn, Giesing

Ohne Assistenz kommt frau in dieses Kleid weder hinein, noch je wieder heraus. Nur Schlangenmenschen könnten die elf Häkchen am Rücken autonom bedienen. Noch hat er keine Käuferin gefunden, dieser Traum in Lindgrün und Altrosa, mit seinen Spitzen und Schleiferl, der koketten Tournüre über dem Gesäß und einer verschwenderisch langen Staubrüsche. Das Mieder lässt sich aufziehen wie ein Fächer, die Taille ist so eng, dass man allein vom Ansehen Atemnot bekommt. Ein Name ist in den Kragensaum eingenäht: "Töpper". Kann es sein, dass die große Mezzo-Altstimme Hertha Töpper einst in diesem Kleid steckte? Die heute 91-jährige Kammersängerin müsste eine sehr zarte Person gewesen sein.

Beim Kostümverkauf des Gärtnerplatztheaters ist der Stoff, aus dem die Träume sind, sinnlich greifbar - und bezahlbar. Deshalb sind sie auch heuer wieder zu Hunderten zum Ausweichquartier der Staatsbühne an die Frankenthaler Straße geströmt. Auch das fiese Blitzeis am Samstagmorgen hat sie nicht abhalten können. Bis um den Häuserblock sind sie in der Kälte von einem Bein aufs andere getreten, um eine Wartemarke mit möglichst niedriger Nummer zu bekommen. Denn nur die garantiert einen frühen Einlass und damit die Auswahl bei einem der begehrtesten Sales der Stadt.

Inge Schäffner entscheidet, was den Fundus des Gärtnerplatztheaters in Poing verlassen darf und auf den Kleiderständern und in den Kisten des Abverkaufs landet. 2000 Teile sind es heuer insgesamt. Die Leiterin der Kostümabteilung, die Gewandmeister, Herren- und Damenschneider, Schuhmacher, Modisten, Umkleider und die Maske unter sich hat, kennt die meisten Kostüme sehr genau. Seit neun Jahren ist sie am Haus. Mit schnellen Schritten bewegt sich die blonde Frau mit der dunklen Brille durch den Chorsaal, in dem es trotz des kontrollierten Einlasses wuselt wie beim Winterschlussverkauf. Wer nicht wirklich etwas sucht für Fasching, seine Laientheatergruppe oder Motto-Partys kann sich auf einen Ausflug in die Repertoire-Geschichte des Gärtnerplatztheaters begeben, Stil- und Materialkunde inklusive.

"Das sind die ältesten Sachen, die wir heuer verkaufen", sagt Inge Schäffner und zieht eine Männerjacke aus grober, beiger Wolle mit schwarzen Kordelornamenten vom Kleiderbügel. Sie stammt aus dem "Zigeunerbaron", Johann Strauss' Sohns Operette war 1989 eine Neuinszenierung am Gärtnerplatz. "Heute verwendet man sehr viel leichtere Stoffe", erklärt Inge Schäffner, die selbst gelernte Schneiderin ist.

Sie führt weiter zu zwei Schmuckstücken des diesjährigen Verkaufs. 200 Stunden Arbeit stecken in jeder der beiden Abendroben, sagt Schäffner. Die Kleider hatten ihren würdigen Auftritt im ersten Akt von Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin. Ihre zarte Stoff-Silhouette ist veredelt mit Perlen- und Strassapplikationen, Spitze am Saum, Seidenfutteral, weißer Ledereinsatz im Achselbereich. So viel Perfektion hat auch im Abverkauf ihren Preis, 160 Euro muss einem so ein Unikat schon wert sein - wenn man reinpasst.

"Viele glauben, nur weil das Publikum weit weg sitzt, könnte wir im Detail pfuschen, aber das stimmt nicht", sagt Inge Schäffner. So ein Kostüm werde bis ins kleinste Detail gearbeitet. Alles andere, da ist sie sicher, würde der Zuschauer schnell merken. Jedes Stück ist maßgeschneidert für den Akteur, der sich in seinem Kostüm gut bewegen können muss. Tenor Mario Podrečnik hat sich also gewiss wohl gefühlt in seinem grauen Gehrock, den er 2008 in der komischen Oper "Frau Diavolo" als Gehilfe Beppo des smarten Räubers trug.

Der Name des Kärntner Sängers findet sich im Kragensaum des Gewands, für das sich zwei seiner Landsleute interessieren. Gerhard Grail und Markus Zeller sind extra für den Kostümverkauf am Gärtnerplatztheater aus Krems in Niederösterreich angereist. Sie werden an diesem Tag wohl die Shopping-Kings werden, in riesigen Tagetaschen schleppen die beiden ihre Beute zum Auto. Und haben einiges Geld in die Kasse des Staatstheaters gespült.

Julia Thiel hat sich in eine ruhige Ecke des Foyers zurückgezogen. Vor einem Spiegel probiert sie in aller Seelenruhe Hüte, Hauben, Turbane mit Tüll und Federn. Sie gehört quasi zum Haus. Derzeit verbringt die 19-Jährige ein kulturelles Jahr in den technischen Werkstätten und nutzt dabei die Gelegenheit, auch in allen anderen Abteilungen zu kiebitzen. Sie ist fasziniert von der Theateratmosphäre. Modistin, Herrenschneiderin, gut könnte sie sich das als Beruf vorstellen, sagt sie und schaut Inge Schäffner hinterher, die mit einer Teekanne zu den Kollegen an der Kasse unterwegs ist.

Vor der Glastür im Foyer warten die nächsten Käufer, dass sich ihr Zeitfenster für den Kostümeinkauf öffnet. Wird einer von ihnen nun das wunderbare Tournüren-Kleid mitnehmen? Es hat natürlich nicht Kammersängerin Hertha Töpper gehört, denn die war ja Ensemble-Mitglied der Staatsoper.

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