Geschwister-Scholl-Preis:Bürger Gauck

Bei der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises bekundet Joachim Gauck auch seine Sorge über die neuen Protestbewegungen. Seine Botschaft: Freiheit muss nicht nur erkämpft sondern auch bewahrt werden.

Joachim Käppner

Sie beklagten "grauenvollste, jegliches Maß überschreitende Verbrechen", sie forderten "Freiheit des Bekenntnisses", sie zahlten mit dem Leben: die Geschwister Scholl aus München, die 1944 wegen ihres Widerstandes gegen das NS-Regime ermordet wurden. Den nach ihnen benannten Preis, der seit 1980 verliehen wird, erhielt am Montagabend in München Joachim Gauck.

Festakt im Gedenken an die Wiedervereinigung Berlins

Mensch, Pastor, Moralist: Preisträger Joachim Gauck.

(Foto: dapd)

Nun könnte der Verdacht aufkommen, die Wahl des Preisträgers diene vor allem dazu, die Preisverleiher - den Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Bayern und die Stadt München - im wärmenden Licht des großen Namens dastehen zu lassen. Immerhin galt Joachim Gauck, geboren 1940, einen kurzen Sommer lang als Verkörperung eines möglichen Bürgerpräsidenten, dem die Regierungsparteien dann Christian Wulff als Mitglied der politischen Klasse vorzogen.

Doch Gauck stand schon vor der Wahl als Favorit der Jury fest, für sein autobiographisches, fesselndes Buch "Winter im Sommer - Frühling im Herbst".

Anders als die Entscheidungsprozesse in Preiskomitees ist die Politik sehr schnelllebig. Wulff ist nach seiner Rede vom Islam als Teil Deutschlands und seinem Besuch in Israel souverän im Amt angekommen. Wenn also nicht Gauck, der vermeintlich bessere Präsident: dann Gauck, der Mensch, der Pastor, der Moralist, der DDR-Bürgerrechtler, "der sich dem kommunistischen Regime in der DDR von Anfang an verweigerte", wie der Schriftsteller Peter Schneider in seiner Laudatio sagte, und als Leiter nach ihm genannten Behörde zur Aufklärung über die Stasi. Gründe genug für den Preis, der zunächst stark auf das Engagement gegen Faschismus und Neonazismus ausgerichtet war, aber etwa 2009 auch dem Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano zugesprochen wurde.

Die Demokratie muss ihre Gegner nicht fürchten, solange sie stark ist. Deshalb betrachtet Gauck die Entfremdung vieler Menschen von der Politik mit Sorge: "Wir leben in einer Unkultur des Verdrusses und haben es in ihm zu einer gewissen deutschen Perfektion gebracht." In München erinnerte er an jenen Abend, als er bald nach der Wende vor Linksintellektuellen in Bremen über die Kraft der Freiheit sprach, in verständnislose Gesichter sah und von einem grünen Freund zu hören bekommen habe: Du, das mit der Freiheit kommt hier nicht so gut an, das Thema macht eher die CDU.

Die Botschaft, welche der Bürger Gauck nach München mitbrachte, hieß daher: Freiheit muss nicht nur erkämpft, sie muss auch bewahrt werden. Schneider würdigte ihn als einen jener "Nicht-Verführbaren, Nicht-Erpressbaren, die für die Mitmacher bis auf den heutigen Tag die eigentliche Kränkung darstellen". Das habe sich, etwa bei der Linken, während der Präsidentschaftskandidatur des Streitbaren gezeigt: "Selten habe ich so viel Hass in den Augen gesehen, wie wenn sein Name fiel."

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