Gesangsvereine in der Krise:Schleichender Schlussakkord

Gesangsvereine in der Krise: Beim Ottostraßenfest darf der Ottobrunner Sängerkreis nicht fehlen - der Chor gehört zu den aktivsten im Landkreis München.

Beim Ottostraßenfest darf der Ottobrunner Sängerkreis nicht fehlen - der Chor gehört zu den aktivsten im Landkreis München.

(Foto: Claus Schunk)

In Pullach löst sich der Liederkranz auf, der Oberföhringer Männergesangsverein ist Geschichte. Die traditionsreichen Vereine im Landkreis haben einen schweren Stand - doch manche Chöre trotzen erfolgreich dem Trend

Von Michael Morosow, Pullach

"Weil's nacha Zeit is" lautet der Titel eines Abschiedsliedes, geschrieben für vierstimmige Chöre. Das Stück hätte den idealen Rahmen gegeben für den letzten Akt, zu dem sich gerade einmal zehn Mitglieder des Männergesangsvereins (MGV) "Liederkranz Pullach" im Juli getroffen hatten. Allein, die Chorstärke der 1921 gegründeten Sängerschaft hätte für das Stück nicht mehr gereicht, und zum Singen war der Versammlung ohnehin nicht zumute. Die wenigen Verbliebenen beschlossen bei ihrer letzten Zusammenkunft, den Traditionsverein, 96 Jahre nach seiner Gründung, quasi mangels Masse zum 31. Juli aufzulösen.

Nur noch acht aktive Mitglieder zählte der 1894 gegründete Männergesangverein Oberföhring, als er heuer im Frühjahr seine Auflösung beschloss. Wird es nicht mehr lange dauern, bis der letzte Männerchor in der Region München für immer verstummt? Die Quintessenz der Stellungnahmen aus Männerchorkreisen im Landkreis München: Wer stur "Am Brunnen vor dem Tore" verweilt, dessen Ende ist nah. Wer sein Repertoire um moderneres, auch poppiges Liedgut erweitert und bereit ist,wie die Spider Murphy-Gang "Unterm Kastanienbaum" zu singen oder "Let it be" von den Beatles zu intonieren, muss um sein Fortbestehen nicht fürchten.

Dass viele Chöre im Landkreis besorgt in die Zukunft blicken, ist ein altes Lied. Um einem Abgesang auf die eigene Sängertradition vorzubeugen, nehmen sich mehrere Männergesangsvereine den MGV Aschheim zum Vorbild, der erfolgreich gegen das verstaubte Image von Männerchören vorgegangen ist. "Vor 15 Jahren haben wir frischen Wind reingebracht", berichtet der Vorsitzende Georg Zink. Vor 15 Jahren wurde Conny Gohlke Chorleiterin. Die junge Dirigentin, die aus dem Ort kommt, traf 2002 auf eine Chorgemeinschaft mit einem Altersdurchschnitt jenseits der 70-Jahre-Grenze und einem vergilbten Repertoire-Heft. "Wer mit dem alten Zopf wie ,Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben' daherkommt, der lockt damit keinen 35-Jährigen an", sagt Zink. Heute werde auch bairischer Dialekt gesungen, wenn es sein muss, sogar österreichischer wie "I will wieda hoam" von S.T.S. "Das ewige Lied" von Haindling trägt der Aschheimer Männerchor neuerdings sogar in Kirchen vor. Man müsse die jungen Leute ansprechen. "Wenn sie einmal kommen, dann gefällt es ihnen auch", sagt Zink. Der Altersdurchschnitt in Aschheim ist seit 2002 von 70 auf 55 Jahre gesunken. Auf etwa 45 aktive Sänger kann Chorleiterin Gohlke heute bauen. "Ich bin mit 67 einer der Älteren", sagt Zink.

"Kommen die Sänger nicht zu uns, müssen wir rausgehen", lautet das Motto, mit dem der MGV Unterföhring gut fährt. So übernahmen Chormitglieder eine Wachschicht als "singende Maibaumwache", und siehe da: Zwei Burschen erklärten spontan ihr Interesse an einer Mitgliedschaft, sagt der MGV-Vorsitzende Franz Solfrank. Hubert von Goisern oder Haindling haben es zwar noch nicht bis Unterföhring geschafft, aber der Chor hat sein Repertoire erweitert und ist inzwischen beim traditionellen deutschen und bayerischen Liedgut ebenso zuhause wie bei geistlichen Chören und Messen, Filmmusik, Operette und Oper. Und etwa zehn Mal im Jahr singt er eine bairische Messe in der Kirche. Ganz vorne steht seit 50 Jahren bereits Rainer Wiedemann als Chorleiter. Etwa 30 Sänger bringen die Unterföhringer aktuell auf die Bühne, der Jüngste ist 19, der Älteste 91 Jahre alt, der Altersschnitt beträgt 65 Jahre.

Der Sängerkreis Ottobrunn ist mit etwas mehr als 20 Mitgliedern zwar ein kleiner Kreis, dafür aber ein eingeschworener. Mit ihrem klassischen Repertoire treten die Ottobrunner bis zu 25 Mal im Jahr auf - und wollen die seit 1919 bestehende Tradition noch lange fortführen.

Alt, aber zufrieden ist der Männerchor Arget Sauerlach - noch. Die 32 Sänger sind im Schnitt 70 Jahre alt, "aber wir haben auch ein paar Junge", sagt Valentin Gröbmair, Chorleiter seit 35 Jahren. Vor zehn bis 15 Jahren, erinnert er sich, habe man gesagt: "Wir brauchen was anderes." So fand alpenländisches Liedgut Eingang ins Repertoire. Dazu waren die Sänger bereit. "Es soll halt auch authentisch sein", merkt Gröbmair an. Einmal habe er es mit Gospels probiert, die Reaktion sei gewesen: "Magst di net schleicha damit." Auch englische Texte schafften es bislang nicht auf den Notenständer. "Wie sollten die Älteren auch englisch singen, wenn sie es gar nicht aussprechen können", sagt Gröbmair. Doch obwohl der Chor noch keinerlei Auflösungserscheinungen zeigt: "Irgendwann naht das Ende", glaubt der Chorleiter.

"Es ist ein ewiger Kampf", sagt Magnus Schelle, Vorsitzender der Sängerzunft Deisenhofen. Man müsse die Leute anreden, auch wenn das schwieriger sei als vor 50 Jahren. "Heute wechseln manche, die mich sehen, die Straßenseite", berichtet Schelle. Heuer aber sei man in die Grundschule gegangen zum "Papa-Onkel-Opa-Kind-Singen". 120 seien gekommen, was ihn "schier aus den Socken gehauen" habe. Zwei seien hängen geblieben. Heuer habe man fünf neue Sänger gefunden. Die Alten seien nicht mehr bereit, was Neues zu probieren. Sechs bis sieben von der alten Garde seien noch dabei, "aber auch die werden älter". Vor vier Jahren habe man mit Chorleiterin Gabriele Niehoff das Liedgut umgestellt und etwa Mozart und Händel, aber auch "was Neues" ins Programm genommen. 25 Mann zählt heute der Chor. "Wir sind auf einem guten Weg", glaubt Schelle.

Der Letzte macht das Licht aus, hieß es dagegen vor vier Wochen beim Liederkranz Pullach. Nur zehn in die Jahre gekommene Sänger seien noch bedingt einsatzbereit gewesen. "Wir hatten keine Hoffnung mehr, und blamieren wollten wir uns auch nicht", sagt Rudolf Scheiblegger, der seit 1983 Vorsitzender war und noch Zeiten kannte, da der Chor 30 Mann stark war.

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