Kunsthandwerk:Bildhauen bei Minus zwölf Grad

Kunsthandwerk: Manchmal eine sehr brachiale Arbeit, dann aber wieder eine sehr knifflige: Der Ismaninger Eiskünstler Thomas Tremml beim Schnitzen in seinem Atelier.

Manchmal eine sehr brachiale Arbeit, dann aber wieder eine sehr knifflige: Der Ismaninger Eiskünstler Thomas Tremml beim Schnitzen in seinem Atelier.

(Foto: Robert Haas)

Thomas Tremml ist ein weltweit gefragter Künstler für Eisskulpturen. Ein Bierglas brachte ihn sogar schon ins Guinness-Buch der Rekorde.

Von Michael Morosow

Jesus konnte Wasser in Wein verwandeln. Diese Kunst wird Thomas Tremml nie erreichen, aber er könnte, ohne göttliche Handreichung, Wasser in ein Weinglas verwandeln. So wie er 1998 mit seinem Team in St. Moritz aus etwa 30 Tonnen Wasser ein sechs Meter hohes Pilsglas formte und damit ins Guinness-Buch der Rekorde kam.

Nun gut, zuvor hatte der Ismaninger den Aggregatzustand des Wasser ändern müssen. Thomas Tremml ist Eisskulpteur, einer von internationalem Rang. Zu seinen Kunden zählen Weltfirmen wie Coca Cola und BMW.

Wer ihn an seinem Arbeitsplatz im Ismaninger Gewerbegebiet Am Lenzenfleck besucht, dem ist ein kühler Empfang gewiss. Das Thermometer in der Produktionshalle zeigt Minus zwölf Grad, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.

Die Eisblöcke sind glasklar

Eine Sommergrippe sei garantiert, sagt der 51-Jährige. Tremml zeigt auf eine Reihe von kleineren Eisblöcken, vielleicht zehn Kilo schwer. Weiße Rosen sind darin eingeschlossen wie Käfer in Bernstein - mit dem Unterschied, dass die Eisblöcke glasklar sind.

Aus Wasser Eis zu machen, das klar ist und nicht so milchig, wie man es von Eiswürfeln für Drinks kennt, das ist eine Kunst, die der Eisschnitzer sich selbst beigebracht hat und zwei Jahre experimentierte, ehe er "Heureka" rufen konnte: "Das Wasser muss während des Gefrierens in Bewegung sein", sagt Tremml und führt den Besucher zum Gefrierbecken, in dem mit Wasser gefüllte Schablonen von unterschiedlicher Größe stehen.

Hier entstehen die Rohlinge für Skulpturen. Fünf Tage dauert es, ehe ein 110 Kilogramm schwerer Eisquader, sechs bis acht Wochen, ehe ein zwei Tonnen schwerer Eiskoloss am Seil auf den Frästisch nebenan gehievt werden kann.

Ein lebensgroßer Pfau für den Sultan von Oman

Kettensägen liegen hier, Flexscheiben, Fräsen, Schnitzmesser und Bohraufsätze mit Stärken von 0,5 Millimeter bis zu mehreren Zentimetern. Hier ist nicht mehr der Kühltechniker gefragt, sondern der Künstler, der nun vor der gleichen Herausforderung steht wie ein Holzbildhauer. Bei einigen nach Vorlage gefertigten Aufträgen werden auch die aus Eis geschnitzten Arbeiten exakt vermessen. Abweichungen sogar im Millimeterbereich werden nicht geduldet.

Am Anfang also steht ein makelloser Eisquader, am Ende eine Skulptur; ein lebensgroßer Pfau etwa, den er für den Sultan von Oman schnitzte, oder ein Modell von Schloss Neuschwanstein, das er 1997 auf Einladung der kanadischen Regierung aus 15 Tonnen Klareis herausschlug. Oder ein 1,5 Meter langes Modell eines 3er BMW, das er für ein Event des Konzerns aus Eis schnitzte. Damit der "Lack" tadellos geriet, glättete er es mit einem Bügeleisen.

Seine Eisblöcke sind auch Energiespeicher-Batterien

Auf all diese Tricks ist der Wahlmünchner selbst gekommen, wie er auch vor vier Jahren die 10 000 Kubikmeter große Halle aus Containermodulen selbst entwarf und für eine umweltfreundliche Energieversorgung sorgte. "Wir arbeiten nahezu CO₂-frei" sagt er und zeigt auf die Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach seiner Halle.

Und er ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Bevor das Leitungswasser in das Gefrierbecken gelassen wird, kühlt es in einem unterirdischen Tank bis auf zwei Grad vor. Und über die Tanköffnung breitet er Eisquader, für die er keine andere Bestimmung mehr hat. "Eisblöcke sind Energiespeicher-Batterien", erklärt der Künstler und Geschäftsmann.

Nicht immer ist Klareis das Maß aller Dinge. Im Auftrag von Coca Cola hatte Tremml vor Jahren eine lebensgroße Eisbärenfamilie schnitzen und auf die Zugspitze verfrachten müssen, was ihn vor ein großes Problem stellte. Wie sollte er zwei Meter große Eisbären aus gefrorenem Schnee zur Zugspitze hinauf bringen, ohne dass die Eisbärenfamilie auseinanderbricht? "Ich hab' die ganze Nacht nicht geschlafen", erinnert sich Tremml. Am Ende hatten die Eisbären, verpackt in gepolsterten Holzkisten, die Fahrt mit der Zahnradbahn heil überstanden.

Zum 1990 in München gegründeten "Tremml-Iceteam" gehören heute neben vielen Freiberuflern und Subunternehmer seine Lebensgefährtin Anita Ratzka, die im Büro arbeitet, sowie Sohn Philipp, der für Computer, Grafiken und die CNC-Fräsen zuständig ist. Der 25-Jährige soll dereinst das Geschäft übernehmen. Heute stehen 1900 Namen auf der Kundenliste der Tremmls. Ein steiniger Weg sei es bis dahin gewesen, sagt der Firmengründer. Vor 27 Jahren hatte der gelernte Koch den Schneebesen gegen Meißel, Kettensäge und Schnitzmesser getauscht, und nicht sofort standen Sultans und Firmenmanager vor der Tür. Sein erster großer Auftrag: eine Lieferung Stangeneis für den Bierkeller einer Münchner Brauerei.

Sein nächstes Projekt: ein Lidl-Logo aus Eis

Heute ist Tremml ein weltweit gefragter Künstler. Einer seiner nächsten Aufträge wird ihn wieder auf die Zugspitze führen. Ein Lidl-Logo, aus Eis geschlagen, soll er auf dem höchsten Punkt der Republik platzieren. 50 Lidl-Manager werden ihm nicht nur über die Schulter schauen, "die werden mitschnitzen", sagt Tremml. Aber wer Wasser in ein Pilsglas verwandeln kann, wird auch diese Herausforderung meistern.

Dass er als Juror der SZ-Aktion "Der schönste Schneemann" für das Siegerteam eine schöne Skulptur schnitzen wird, dazu musste er nicht lange gebeten werden. Immerhin dürfte das erste Kunstwerk, das er aus kalter Materie formte, sicher ein Schneemann gewesen.

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