Ungewöhnliche Wohngemeinschaft:In besten Händen

Der chinesische Student Lu Miao und die Garchingerin Helga Poschenrieder bilden eine Wohngemeinschaft. Davon profitieren beide - finanziell, kulturell, aber vor allem menschlich

Von Gudrun Passarge, Garching

Am Anfang hat sich Helga Poschenrieder schon gewundert. Lu Miao stand in der Küche und schob sein Essen in einer kleinen Pfanne hin und her. Die 78-Jährige ging in den Keller und kam stolz mit einem Wok wieder hoch, "so etwas haben wir ja auch". Aber Miao, der Maschinenbau-Student aus China schaute nur verständnislos. "Was ist das?", wollte er wissen. Inzwischen kocht er gerne damit und das Wohnpaar hat schon einige Missverständnisse über die Lebensgewohnheiten in den jeweils anderen Ländern ausräumen können. Beide sitzen am Tisch und erzählen von dem Glück, gemeinsam unter einem Dach zu leben. "Ich werde hier positiv beeinflusst für mein ganzes Leben", sagt Miao.

"Wohnen für Hilfe" heißt die Formel, die beide zusammengebracht hat. Die alternative Wohnform setzt darauf, dass ältere Menschen in ihrer gewohnten Umgebung bleiben, aber nicht unbedingt allein leben wollen. Und dass sie froh sind, Hilfe zu bekommen bei alltäglicher Arbeit. Beim Einkaufen, beim Garteln, beim Putzen. Helga Poschenrieder hatte in der Zeitung darüber gelesen und fand das Projekt gleich sympathisch. Ihr Mann ist im vergangenen Jahr gestorben und nun war sie in dem Haus mit den zwei Schäferhunden Tara und Harun allein. Ursula Schneider-Savage, die Wohnen für Hilfe im Landkreis betreut, wollte ihr drei Kandidaten vorbeschicken. "Der zweite war Lu." Der dritte brauchte gar nicht mehr kommen.

Im Oktober 2014 war das. Lu Miao, der seinen Namen buchstabiert mit der Bemerkung "wie die Katze", kommt aus Shanghai, der 27-Jährige wohnte zuvor in einem Studentenheim. "Aber das hier ist günstiger. Hier kann ich etwas über die Kultur lernen und auch über Haushaltsangelegenheiten." Denn als Einzelkind war er es nicht gewohnt, mitanzupacken im Haushalt und zu helfen. Miao fühlte sich von Anfang an wohl in seinem neuen Domizil in Garching. 15 Quadratmeter, ein eigenes Bad, auch räumlich ist alles so getrennt, dass die beiden Wohnpartner sich aus dem Weg gehen könnten, wenn sie wollten.

Wohnen gegen Hilfe

Lu Miao hilft Helga Poschenrieder auch beim Garteln. Die beiden haben ihre eigenen Wohnbereiche - verbringen aber viel Zeit miteinander.

(Foto: Lukas Barth)

Doch wenn sie erzählen, entsteht ein gänzlich anderer Eindruck. Der Chinese erzählt, er fühle sich an seine Kindheit erinnert, bei den Großeltern auf dem Land in einem großen Garten mit Hunden. Er liebt die beiden Schäferhunde und für Helga Poschenrieder ist es eine große Erleichterung, auch mal ein paar Tage ohne Hunde verreisen zu können und zu wissen, sie sind in besten Händen. Wie zum Beweis kuschelt Harun, der übermütige belgische Schäferhund seinen Kopf in Miaos Armbeuge und fordert seine Streicheleinheiten. Der Student hat Helga Poschenrieder und die Hunde auch schon mal zu einer Tour des Hundevereins begleitet. Das war nicht der einzige gemeinsame Ausflug der beiden. Beim Geburtstag ihres Bruders war er auch dabei, "die Familie wollte ihn auch mal kennenlernen", und so feierten alle zusammen, in einem chinesischem Restaurant.

Überhaupt das Essen. Völkerverständigung beginnt wohl in der Küche und beide können viele Geschichten davon erzählen. Von Miao, der keinen Backofen kannte und voller Begeisterung Helga Poschenrieders Kuchen probiert. Vom Sauerkraut, das wie kein zweites Gemüse für deutsche Küchenkultur steht. Poschenrieder wollte ihrem Untermieter das Kraut ersparen, weil ihr das zu klischeebehaftet war. Aber als er eines Tages heimkam, sah er, dass sie einen Braten im Römertopf zubereitete. "In so einem Topf hat meine Oma immer Sauerkraut mit Schweinefleisch gemacht", erzählte er ganz begeistert. Der Bann war gebrochen. "Es hat wochenlang immer wieder Sauerkraut gegeben, auch mit Blutwurst, und er hat sich sehr darüber gefreut", denn das sind Gerichte, die er von zu Hause kennt. Miao nickt und ist immer noch erstaunt, denn eine Freundin hatte ihm geraten, er solle doch Sauerkraut nach Deutschland mitnehmen, das würde er hier sicherlich nicht bekommen.

Sie stehen oft zusammen in der Küche, auch Miao kocht manchmal, etwa das beliebte Gong Bao Dji Ding mit Erdnüssen und Hühnerfleisch. Oder er hat für Helga Poschenrieder eine Peking-Ente bei Freunden in China geordert. Umgekehrt lässt er sich gerne von seiner Vermieterin zeigen, was hierzulande auf den Tisch kommt. "Ich dokumentiere alles", sagt Miao, "ja, selbst die ersten Bratkartoffeln wurden fotografiert", sagt Poschenrieder. "Ich habe früher gedacht, das Essen in Deutschland ist ein bisschen langweilig", sagt Miao. Kein Wunder. Er hatte gehört, Deutsche essen Brot zum Frühstück. Also hatte er sich ein Brot gekauft "und er hat wochenlang trockenes Brot gegessen", erzählt Poschenrieder. Weil ihm das aber nicht schmeckte, verzichtete er fortan aufs Frühstück. Erst als die Seniorin ihm erklärte, dass man das Brot belegen müsse, schwenkte er um. Sie beschreibt mit den Händen, wie er mittlerweile zentimeterdick Käse oder Wurst auf dem Brot schichtet, und als sie ihm sagte, man könne auch Marmelade aufs Brot essen, wollte er die auch noch oben draufschmieren.

Wohnen gegen Hilfe

Auch mit den beiden Schäferhunden Tara und Harun hat sich Lu Miao längst angefreundet - und sie sich mit ihm.

(Foto: Lukas Barth)

Andere Länder, andere Sitten. Die Deutsche und der Chinese finden viele Themen zum Reden. Über das Leben, über die Kultur, über Politik. Miao kann nicht verstehen, warum viele seiner Landsleute eher unter sich bleiben. Er hat Kontakte zu den Sportvereinen an der Uni und in Garching, und er freut sich über alles, was er zum ersten Mal erlebt. Etwa das Weihnachtsfest im Hause Poschenrieder. "Da habe ich gesehen, wie es ist, in Großfamilien Weihnachten zu feiern", sagt der 27-Jährige. Er habe sogar Geschenke bekommen. Ein großes Buch über Deutschland "mit vielen Bildern und interessanten Texten drin", sagt Miao, einen Expander, "weil er so sportlich ist", sagt Poschenrieder. Und eine Werkzeugtasche fürs Fahrrad.

"Das ist auch so eine Sache", sagt die Seniorin. Sie habe geglaubt, alle Chinesen fahren Fahrrad. Miao hat inzwischen zwar eines, aber mit dem radelt er nur zur U-Bahnstation, um dann die eine Haltestelle zum Campus zu fahren. Helga Poschenrieder wundert sich darüber. Bestimmt ist es nicht das letzte Mal.

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