Garching:Gowirichs neue Kleider

Lesezeit: 4 min

Die Schneiderin Veronika Schrallhammer hat das Gewand entworfen, das die Darsteller des Garchinger Namensgebers bei den Jubiläumsfeiern tragen werden. Auch auf die Kostüme des historischen Festzugs hat sie ein Auge

Von Gudrun Passarge, Garching

Der Arm muss noch mal ab, da hilft alles nichts. Veronika Schrallhammer bugsiert ihn durch den Ärmel und befestigt ihn wieder an der Puppe mit dem Schmollmund. Die lässt es sich gefallen, es ist schließlich nicht das erste Mal, dass sie in die Rolle des bajuwarischen Siedlers Gowirich schlüpfen muss. Schrallhammer zupft noch ein wenig die Ärmel zurecht, legt der Puppe den ziegelroten Umhang an und befestigt ihn mit einer goldenen Brosche. Fast fertig. Ein paar Details fehlen noch, etwa die Mütze. Aber im Großen und Ganzen ist er schon zu erkennen. Gowirich, der Namensgeber Garchings, der 915 in einer Urkunde des Klosters Tegernsee genannt wird. Oder Gowirich, der edle Bajuware, der seit einiger Zeit die Hauptrolle in Schrallhammers Leben spielt.

In Schrallhammers Zwei-Zimmer-Wohnung herrscht kreatives Chaos. Überall liegen Stoffproben, Garne und Schnittmuster herum, auf dem Bügelbrett liegen die Maßzettel mit den Größenangaben der drei Garchinger Gowiriche herum, auf dem Küchentisch leuchten gelbe Narzissen mit der Sonne um die Wette. Die Gedanken der Schneidermeisterin und Kostümbildnerin drehen sich derzeit fast nur um das Jahr 915 nach Christus, das für die Garchinger Anlass für ihre 1100-Jahrfeier ist. Sie ist in Büchereien gegangen und hat viel gelesen über diese Zeit, von der sie sagt: "Sie wird stiefmütterlich behandelt." Viel habe sie bisher nicht gewusst darüber. Aber genau das reizt sie, genau wie die Möglichkeit, die Kostüme für Gowirich und seine Familie selbst zu entwerfen. Immer wieder erzählt sie von Karl dem Großen, dem die Bildung so wichtig gewesen sei und der wenig Verständnis für eitle Zeitgenossen gehabt haben soll: "Er war gegen viel Schnickschnack." Schrallhammer hat gelesen, dass er manchmal sogar überraschend eine Jagd angesetzt habe, bei der die Kleidung der Höflinge zu Schaden kam. "Die Leute haben trotzdem Wert auf ihr Äußeres gelegt", sagt Schrallhammer. Auch ein Kleidergeld, wonach jeder nur eine bestimmte Menge Stoff verbrauchen durfte, habe nichts daran geändert.

Um zu zeigen, wie sie arbeitet, zieht die Schneiderin schnell noch zwei Bücher aus dem Regal heraus. Sie schlägt eine Seite mit einem alten Ritterbild auf, alles in Rot- und Erdtönen gehalten. "So habe ich meine Farben ausgesucht", sagt die 50-Jährige. Obwohl gerade das ein heikles Thema ist. Die Menschen damals hätten schon viel mit Farbstoffen gearbeitet, die aus Pflanzen gewonnen wurden: Rot aus Krapp, Blau aus Waid und Gelb aus Färber-Wau. Die Kostümbildnerin hatte exakte Vorstellungen von ihren Farben, sie wollte Petrol und Kupfer kombinieren. Doch im Laufe der Zeit wurde aus dem Petrol für die Tunika Himmelblau und aus dem kupferfarbenen Umhang wurde eher einer in Ziegelrot. "Das entwickelt sich oft erst", erklärt Schrallhammer, die sich als eher praktischen Menschen beschreibt. Die Münchnerin sieht die Materialien und findet die Formen. Sie mischt die Farben und experimentiert so lange, bis sie ihr gefallen.

Fesch schaut er aus, der Puppenmann mit der himmelblauen Tunika, die in eleganten Falten über seinem Knie herabfällt. Sie ist verziert mit einer schlammfarbenen Borte, für die Schrallhammer lange nach Ornamenten gesucht hat. Sie hat sie gefunden. Es sollen Elemente aus dem Garchinger Wappen sein, ein rotes Wagenrad umrahmt von zwei grünen Kiefern, das Atomei war damals noch nicht aktuell. Stolz wedelt die Kostümbildnerin mit dem Ausdruck des Motivs auf Papier und erklärt, dass sie jetzt einen Laden entdeckt habe, der Kiefern und Rad als Stempel bestellen könne. Da es eilt, und der Mann im Stempelladen nur noch kurze Zeit zu erreichen ist, muss sie schnell telefonieren. Ob sie eine schwarze Umrandung will? Kurzes Grübeln. Nach einigem Hin und Her sind auch die Stempel geordert und Schrallhammer kann von früher erzählen, als sie noch ihren 280 Quadratmeter großen Laden in München hatte.

Das war nach ihrer Ausbildung zur Herrenschneiderin. Nach ihren Au-pair-Aufenthalten in Palermo und Rom, nach der Kostümbildnerschule in Rom und dem Meister in Damenschneiderei in München. An ihren ersten Auftrag kann sie sich noch gut erinnern. Sie musste Nikolauskostüme für Yahoo kreieren, in den Firmenfarben Lila und Gelb. Später hat sie auch fürs Theater gearbeitet, hat beispielsweise für die Seebühne im Chiemsee Operettenkostüme fürs "Weiße Rössl" gemacht. Doch das mit dem Laden lief auf Dauer nicht, es folgten einige feste Stellen, unter anderem beim Textilvertrieb Oska in Garching, wo sie als Bekleidungstechnikerin gearbeitet hat.

Mittlerweile ist die 50-Jährige wieder selbständig, im vergangenen Jahr hat sie beim Film gearbeitet. "Das ist ein Schlaraffenland für einen Kostümbildner." Thema der Kinoproduktion war das Leben des Jesuitenpaters Rupert Mayer, der wegen seines Widerstands gegen die Nazis ins KZ Sachsenhausen und später in Klosterhaft nach Ettal kam. Besonders die vielen Uniformen seien "ein ganz eigenes Kapitel" gewesen, erzählt Schrallhammer. "Es war auch ganz interessant, welche Wirkung die Uniformen auf die Schauspieler hatten. Sie haben sich voll verändert."

Möglicherweise geht es ja auch den drei Garchinger Gowirichs so, wenn sie in ihre historischen Gewänder schlüpfen. Allein schon die Hosen mit Riemen zu binden, dürfte gewöhnungsbedürftig sein. Immerhin ist die mittelalterliche Unterhose nicht mehr Bestandteil des Kostüms. Gerade die jugendlichen Fahnenträger, so überlegt Schrallhammer, hätten vielleicht weniger Freude daran gehabt. Also gibt es jetzt nur noch eine normale Leinenhose unter der Tunika. Die Kostümbildnerin arbeitet derzeit noch am letzten Schliff des Gewands. Wenigstens die Schnitte sind fertig, was sie einige Nachtschichten gekostet hat. Nun ist Oska an der Reihe. Die Garchinger Textilfirma spendiert nicht nur 350 Meter Leinen-Stoffe und färbt sie ein, sondern näht auch noch die Kostüme für Gowirich und seine Mannen. Schrallhammer schnauft. Wenn der Stress vorüber ist, dann möchte sie mal in Urlaub fahren. Aber selbst danach hat sie noch viel zu tun, denn auch für den Garchinger Festumzug im Juli muss noch einiges vorbereitet werden, da viele Vereine in historischen Gewändern mitmarschieren wollen. Der Zeitbogen wird von Gowirich bis heute gespannt. Die Pestzeit wird ebenso thematisiert wie Luthers Reformation und die Kartoffelbauern von Garching. Die Kostümbildnerin sieht es gelassen. Da setze sie ganz auf die Kostümverleihe und deren Kompetenz. "Das geht einfacher und schneller als selbst Kostüme zu entwerfen." Mag sein, aber die Puppe mit dem Kussmund ist noch nicht ganz fertig. Veronika Schrallhammer muss sich jetzt wieder um Gowirich kümmern.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: