Garching:Ein-Euro-Jobs und andere Träume

In Garching leben 60 Flüchtlinge in Containern auf engstem Raum. Sozialpädagogen und ehrenamtliche Helfer versuchen, ihnen den Aufenthalt erträglich zu machen. Sogar der Wunsch zu reiten, könnte sich für einen Bewohner erfüllen

Von Gudrun Passarge, Garching

Das Geschrei ist riesig. Garnia plärrt und zieht an dem roten Dreirad, auf dem ein größerer Junge mit Unschuldsmiene sitzt. Das Mädchen aus Nigeria mit den vielen bunten Gummis im Haar kämpft wie eine Löwin. Bis ihre Mama sie holt und ein wenig mehr Ruhe vor den Containern am Echinger Weg einkehrt. 60 Personen leben momentan in der Asylbewerberunterkunft, darunter 13 Kinder. Die älteren gehen in die Grundschule West, aber die kleineren wie Garnia bekommen keinen Platz im Kindergarten. Ingrid Stanglmeier, Integrationsbeauftragte im Rathaus und Koordinatorin der Hilfsleistungen, plant deswegen anderweitig. "Ich habe schon Mütter und Studenten angesprochen, die jeden Dienstag und Donnerstag zur Kinderbetreuung vorbeikommen wollen."

Auf dem Tisch im Aufenthaltsraum liegen Spielsachen, Plüschtiere, Bilderbücher. Die Hilfsbereitschaft der Garchinger sei groß, berichtet Stanglmeier. Mehr als 100 Menschen engagierten sich im Helferkreis: "Es sind so viele positive Menschen." Wie die Frau, die mit den Flüchtlingen Blumen vor der Unterkunft pflanzen möchte. "Da findet sich schon ein Plätzchen, wir könnten Blumentröge anschaffen", sagt Rebecca Huber, Sozialbetreuerin der Flüchtlinge aus dem Landratsamt. Ein Mann aus Somalia kommt mit einem Wischmob vorbei, er hat einen der begehrten Sozialjobs ergattert, 1,05 Euro bekommt er für die Stunde. Die Asylbewerber putzen ihre Unterkünfte selbst, die Toiletten, die Küche, den Waschraum. Die Putzutensilien verwahrt der Objektbetreuer, der rund um die Uhr anwesend ist. Er schreibt die Stunden auf, maximal 20 Stunden pro Woche sind zulässig. "Das klappt super", sagt Huber. "Wir haben noch mehr Leute, die gerne einen Job hätten." Aber die sind knapp.

Flüchtlinge dürfen, wenn sie länger als drei Monate in Deutschland sind, arbeiten. Die Bescheinigung dafür stellt ihnen das Ausländeramt aus. Aber Arbeit, auf 400-Euro-Basis oder als regulärer Job, müssten sie sich selbst suchen, das kann Huber nicht auch noch leisten. "Vielleicht schaffen wir noch eine Stelle mit einem Ehrenamtlichen", der könne Flüchtlingen helfen, die auf Arbeitssuche seien. Manche hätten es schon geschafft, erzählt Huber. So habe ein junger Mann einen Ausbildungsplatz als Bäcker gefunden. Auch für den Mann aus Syrien, der gelernter Pfleger ist, sieht Huber gute Chancen. "Wenn sie Arbeit finden, lernen sie auch sehr schnell Deutsch", das sei das A und O, um sich hier einzugliedern.

Die Sozialpädagogin Huber unterstützt die Flüchtlinge in allen Behördenangelegenheiten. Sie macht Arzttermine aus, sucht nach Dolmetschern, besorgt Therapieplätze, wenn nötig, begleitet die Asylverfahren oder schlichtet Streitigkeiten in der Unterkunft. Etwa wenn die Küchen nicht aufgeräumt werden oder die Waschmaschinen immer belegt sind.

Da steckt ein Mann seinen Kopf zur Tür hinein. "Later", bescheidet ihm Huber. "Er will ein Pferd", sagt sie. In seinem Heimatland habe er vier Pferde besessen. Jetzt wünschte er sich mal wieder reiten zu können. Ingrid Stanglmeier ist gleich ganz Ohr. Vielleicht, wenn der Mann auf einem Pferdehof mithelfe, könne er ja dafür mal reiten, überlegt sie. "Das macht er bestimmt", sagt die Sozialpädagogin.

Platz für weitere Asylbewerber

Etwa 100 Flüchtlinge können in den Containern am Echinger Weg untergebracht werden. Parallel zu der Straße wird der Landkreis in Kürze mit dem Bau des dreigeschossigen Hauses in Holzständerweise beginnen, in dem einmal 150 Menschen leben sollen, 100 Asylbewerber plus 50 anerkannte Flüchtlinge. Falls sich die Zahl der Flüchtlinge, die der Landkreis aufnehmen muss, erhöht auf die prognostizierten 3600, müsste Garching 125 Asylbewerber aufnehmen, sagte Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) bei der Bürgerversammlung. Aber jetzt seien erst einmal die Kommunen am Zug, "die noch ein bisschen im Hintertreffen sind", sagte der Bürgermeister.

Der Bürgermeister dankte dem sehr aktiven Helferkreis und ermutigte zu weiteren Spenden. So würden etwa noch Fahrräder gebraucht. Allerdings sollten diese im Bauhof abgegeben werden und nicht in der Unterkunft. Im Bauhof würden sie hergerichtet und mit einer Nummer versehen, wie die Koordinatorin im Rathaus, Ingrid Stanglmeier, erklärte. Damit hätten die Flüchtlinge gleich den Nachweis, dass sie mit ihrem Fahrrad unterwegs sind. Wer die Unterkunft besuchen möchte, sollte sich unbedingt vorher anmelden, am besten bei Sozialbetreuerin Rebecca Huber. Sie ist von 8 bis 12 Uhr in ihrem Büro im Landratsamt anzutreffen, Telefon 6221-1723. Kennenlernen können die Garchinger die Flüchtlinge auch beim Fest der Vielfalt am 16. Mai am Maibaumplatz. Außerdem plant die VHS ein Theaterstück mit jungen Flüchtlingen. pa

Mit am Tisch sitzt auch noch Berna Arif vom Kreisjugendring. Die junge Sozialpädagogin hat eine interessante Vita. Sie gehörte der türkischen Minderheit in Bulgarien an, studiert hat sie in Deutschland. Ihre Sprachkenntnisse kommen ihr in der Integrationsarbeit zugute. Auch in Garching plant sie, Kindern zweimal pro Woche Sprachförderkurse zu geben. Die Deutschkurse an der VHS und mit dem Deutschhelferkreis werden ebenso bald anlaufen, "die Lehrbücher sind schon da", erläutert Stanglmeier. Die Stadt übernehme die Kosten für die VHS-Dozenten, sagt Stanglmeier, der Landkreis werde sich wohl beteiligen. Der erste Spracheinstufungstest ist bereits für den 16. April angesetzt.

Die Menschen in der Unterkunft kommen aus Nigeria, Somalia, Afghanistan, Syrien, Tschetschenien, Kosovo. In einem eigenen Container leben auch noch zehn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Einige von ihnen spielen gerade Fußball vor der Unterkunft, Stanglmeier hatte ihnen Bälle mitgebracht. Alle haben ihr eigenes Schicksal im Gepäck. Huber berichtet von drei Frauen mit Kindern, die ihre Ehemänner auf der Flucht verloren hätten. Eine hatte jedoch Glück, ihr Mann hat es ebenfalls geschafft, sich nach Deutschland durchzuschlagen, sie hat gerade Kontakt aufnehmen können.

Huber sieht durchaus die Gefahr, zu starke Bindungen zu einzelnen Bewohnern aufzubauen. "Wann und ob sie gehen müssen, wissen wir ja nicht", aber man müsse sich dessen immer bewusst sein. Und wenn die Asylbewerber anerkannt würden, sei sie nicht mehr zuständig, es gebe aber eine Stelle im Jobcenter, die den Übergang erleichtern solle. Außerdem, so erklärt sie, soll es Patenschaften von Garchingern für die Neubürger geben.

Stanglmeier sieht da kein Problem. Die Leute wollten helfen. Draußen ist schon wieder lautes Geschrei zu hören. Es ist Garnia, die wieder vergeblich um das Dreirad kämpft. Vielleicht würde ein zweites Gefährt Abhilfe schaffen. Es müsste natürlich genauso schön rot wie das umkämpfte Dreirad sein.

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