Poststreik:Gähnende Leere in den Briefkästen

Warnstreiks bei der Deutschen Post AG

Die Ayinger können sich derzeit den Gang zum Briefkasten sparen. Und die Folgen?

(Foto: dpa)

Warten auf Flugtickets, amtliche Schreiben und Medizinprodukte: Manche Orte sind seit Wochen regelrecht abgeschnitten.

Von Iris Hilberth, Konstantin Kaip und Johanna Mayerhofer

Den Gang zum Briefkasten kann man sich mancherorts derzeit getrost sparen. Ist eh nichts drin - oder etwa doch? Bisweilen kommt trotz anhaltendem Poststreik überraschend der eine Brief oder das andere Päckchen an. In welcher Reihenfolge, in welchen Gemeinden oder gar in welchen Straßen das so ist, scheint ein unergründliches Geheimnis der Post zu bleiben.

Fest steht: Verlassen kann man sich derzeit nirgendwo auf den Postweg. Während in manchen Orten, wie etwa Unterhaching, die Leute hier und dort schon ab und zu Post erhalten und somit die Arbeitsniederlegung der Zusteller sehr unterschiedlich zu spüren bekommen, ist Aying postalisch derzeit offenbar komplett von der Außenwelt abgeschnitten.

Behörden setzen auf Amtsboten

Seit drei Wochen wird die Post der Ayinger an einem unbekannten Ort gestapelt und die Briefkästen bleiben leer. Unverständnis und Ärger machen sich in der Gemeinde breit. "Wir wissen ja nicht, was uns eigentlich erreichen will", sagt Gabi Oster aus der Gemeindeverwaltung. Rechnungen, Schreiben mit Fristen oder Terminen, Lohnzettel - die Verwaltung hat keinen Einfluss darauf, welche verschickte Post bei den Empfängern überhaupt ankommt. Ändern kann Oster daran nichts. "Der Streik ist höhere Gewalt." Der Arbeitskampf um höhere Entgelte ist für Bauamtsleiter Günther Schön "in gewisser Weise schon gerechtfertigt". Seine Rathauskollegen und er arbeiten zurzeit verstärkt über E-Mail. "Das hilft uns oft als Absicherung."

Poststreik: Horst Adamek ist von der Post enttäuscht. Er sagt: Auf die muss ich mich doch verlassen können.

Horst Adamek ist von der Post enttäuscht. Er sagt: Auf die muss ich mich doch verlassen können.

(Foto: Claus Schunk)

Der Schriftwechsel zwischen den Behörden funktioniere derzeit häufig mittels Amtsboten, teilt das Landratsamt München mit. Größere Beschwerden oder schwer wiegende Probleme seien nicht bekannt. Auch würden die Leute im Moment verstärkt die Hauspostkästen nutzen und ihre Briefe direkt beim Amt einwerfen, sagt Sprecherin Christine Spiegel.

Die Mitarbeiter hätten auch festgestellt, dass sich Verzögerungen auf bestimmte Zustellbezirke fokussierten. Im Einzelfall würden dann versäumte Fristen oder Termine entsprechend verlängert.

Poststreik: Anja Paul erzählt von schwierigen Urlaubsplanungen.

Anja Paul erzählt von schwierigen Urlaubsplanungen.

(Foto: Claus Schunk)

Die Konzertkarte kam erst nach dem Konzert an

Manches aber lässt sich nicht verlängern oder aufschieben. In Unterhaching hat die Gemeindeverwaltung kürzlich die obligatorischen Hendlmarken für den Seniorennachmittag des Bürgerfestes kommende Woche verschickt. Noch sind sie nicht überall angekommen. "Es fängt bei Kleinigkeiten an und hört bei wirklichen finanziellen Einbußen auf", schimpft auch die Ayingerin Anja Paul. Das Fernsehheft, das nicht wie gewohnt ein Mal in der Woche im Briefkasten liegt, ist da nur eine kleine Unannehmlichkeit. "Bekannte haben Konzertkarten für 100 Euro bestellt, die sind jetzt hinfällig." Mit Grauen denkt sie schon an den Berg von Rechnungen, die irgendwann gleichzeitig mit Mahnungen ins Haus flattern werden. "Man muss erst mal beweisen, dass man die nicht erhalten hat", befürchtet sie.

Auch die Urlaubsplanung mancher Ayinger gerät durcheinander. "Viele erwarten ihre Flugtickets mit der Post", weiß Paul. Vor allem für Ältere, die sich auf den guten alten Postweg verlassen, sind leere Briefkästen ein Ärgernis. "Mein schwer zuckerkranker 82-jährige Schwiegervater wartet auf bestellte Teststäbchen", sagt sie. Paul fühlt sich vor allem zu wenig aufgeklärt. "Der Streik wird auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen, wir können uns gar nicht wehren."

Horst Adamek hat bei dem Durcheinander den Überblick verloren. Vor ein paar Tagen hat er ein Päckchen geliefert bekommen. Den Inhalt hatte der Ayinger vor acht Tagen bestellt. Auf ein anderes Päckchen warte er seit dem 10. Juni. Weitere bestellte Online-Sendungen, in Vorkasse bezahlt, sind bisher nicht angekommen. Im Internet fand der Ayinger heraus, dass die Sendungen im Paketzentrum Aschheim lagern. Auch auf ein Schreiben von der Krankenkasse und auf Abozeitschriften wartet Adamek vergebens.

In Unterhaching ist es nicht viel anders. Dort kommt es sogar vor, dass der Zettel des Zustellers die Sendung als abholbereit in der Filiale für den nächsten Tag ankündigt, der Kunde dort aber erfährt, dass das Päckchen zurück ins Verteilerzentrum Starnberg gegangen sei. Dort aber werde leider gestreikt. Voraussichtlicher Erhalt der Sendung: ungewiss. Der Ayinger Adamek ist vom Dienstleistungsunternehmen Post enttäuscht. "Auf das muss ich mich genauso verlassen können wie auf meinen Strom- und Wasseranbieter."

Die Onlinehändlerin erhält 20 Prozent weniger Aufträge

Für viele ist der Poststreik ein Ärgernis. Für Sylke Mann aber ist er eine Katastrophe. Sie betreibt in Haar einen Onlinehandel für Hochzeitsbedarf: "Weddix" heißt die Plattform, die seit 15 Jahren existiert und Kunden im gesamten deutschsprachigen Raum beliefert. "Für uns ist jetzt Hochsaison", sagt Mann. Normalerweise punktet ihr Versand mit seiner umfassenden Auswahl an Dekorationsbedarf, Gastgeschenken, Einladungs- und Tischkarten damit, dass die Kunden am "schönsten Tag" ihres Lebens nichts dem Zufall überlassen wollen.

Der Streik zur Unzeit aber hat nun genau das zum Problem gemacht. "Wir können im Augenblick gar nichts garantieren", sagt Mann. So seien manche Pakete seit drei Wochen unterwegs, andere hingegen bereits nach zwei Tagen angekommen. Die Arbeitsniederlegung bei der Post treffe ihre Firma hart, sagt Sylke Mann. "Die Anzahl der Bestellungen ist deutlich zurückgegangen." Etwa 20 Prozent weniger Aufträge, schätzt sie, habe sie im Vergleich zum Vorjahr.

Zwar versuche sie, Verzögerungen abzufedern, indem sie anbiete, die Pakete als Express-Sendungen zu schicken, die laut Post nicht von den Verzögerungen betroffen sind. Allerdings kostet das 15 Euro Aufpreis pro Päckchen. Nach besorgten Anrufen verzweifelter Paare habe sie Ware, die bereits unterwegs war, erneut per Express gesendet, sagt Mann, die sich ihren Kunden gegenüber auch in der Pflicht sieht. Gebannt blickt sie daher auf die Verhandlungen von Verdi und Post an diesem Freitag: "Wir fiebern alle mit."

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