Freundschaftsbeweis:Diario des Schreckens

Freundschaftsbeweis: Max Mannheimer (rechts) und Claudio Cumani, der das Tagebuch des KZ-Überlebenden ins Italienische übersetzte, verbindet eine Freundschaft.

Max Mannheimer (rechts) und Claudio Cumani, der das Tagebuch des KZ-Überlebenden ins Italienische übersetzte, verbindet eine Freundschaft.

(Foto: Robert Haas)

Der Garchinger Claudio Cumani hat die Lebensgeschichte des KZ-Überlebenden Max Mannheimer ins Italienische übersetzt

Von Gudrun Passarge, Garching

Wenn Paolo Rumiz nicht gerade in Triest dem Meer entstiegen wäre, just an der Stelle, die Claudio Cumani seiner Familie zeigen wollte, weil er dort schwimmen gelernt hat, wer weiß, ob es das Buch heute gäbe. Cumani jedenfalls macht mehrere solcher Zufälle dafür verantwortlich, dass am 2. September seine italienische Übersetzung von Max Mannheimers Titel "Spätes Tagebuch" öffentlich präsentiert werden wird. Cumani, der als Ingenieur bei der Eso (Europäische Südsternwarte) in Garching arbeitet, hat die Lebensgeschichte Mannheimers, der fünf Konzentrationslager überlebt hat, mit viel Herzblut und in nächtelanger Kleinarbeit übersetzt. "Es ist mein persönliches Geschenk an Max Mannheimer, für alles, was er gemacht hat und noch macht."

Die Freundschaft der beiden Männer geht auf das Jahr 2011 zurück. Cumani, der sich politisch in der Garchinger SPD engagiert und Vorsitzender des Integrationsbeirats ist, war seinerzeit Vorsitzender des Komitees der Italiener im Ausland mit Sitz in München. Als solcher wurde er aufmerksam gemacht auf eine kleine italienische Kapelle am Leitenberg bei Dachau, die heute ein zentraler Gedenkort für die im KZ ermordeten und zu Tode gekommenen italienischen Häftlinge ist. Cumani veröffentlichte nach Recherchen in Dachau und Padua ihre Geschichte. Daraufhin wurde die Kapelle restauriert und feierlich in neuem Glanz vorgestellt. Eine Feier, zu der sich auch Max Mannheimer angesagt hatte, einer der letzten Zeitzeugen, die Auschwitz und Dachau überlebt haben. Das italienische Konsulat bat Cumani, den Gast doch zu Hause in Haar abzuholen. Zufall Nummer eins in Cumanis Geschichte. "Wir haben sehr viel miteinander geredet und er hat mich eingeladen in sein Haus." Schon damals entstand die Idee, dass es doch schon wäre, eine gute italienische Übersetzung des Buchs zu machen, "und ich habe gesagt, ich mach's". Doch erst, als Cumani 2015 den Vorsitz im Komitee niederlegte, fühlte er sich dazu bereit. Welche Worte kann er übernehmen, was muss er übersetzen? Wie haben es die Häftlinge in ihren Büchern gemacht? Haben sie die Lagersprache und den Nazi-Jargon wiedergegeben? Und wissen die italienischen Leser, dass der Stürmer eine antisemitische Hetzzeitung der Nazis war? "98 Fußnoten habe ich gemacht, um zu erklären, was wichtig ist." Trotz all seiner Umsicht beschlich den 53-Jährigen nicht selten ein Gefühl der Unsicherheit. Er zitiert das italienische Sprichwort "Traduttore, Traditore", was so viel bedeutet wie: "ein Übersetzer ist auch ein Verräter". So musste er sich häufig mit der Frage auseinandersetzen, "erzähle ich es dem italienischen Leser gut oder verrate ich den Text?"

Niemand vermag zu sagen, ob der Italiener seine Übersetzung tatsächlich so zielstrebig beendet hätte, und ob es leicht gewesen wäre, einen Verlag zu finden, wenn nicht Zufall Nummer zwei des Weges gekommen wäre. Claudio Cumani hat eine große Bibliothek, fast die Hälfte der Bücher befassen sich mit seinem Steckenpferd, seiner heimlichen Liebe - der Geschichte. Da passen auch die Werke von Paolo Rumiz wunderbar hinein, dessen Bücher ( zum Beispiel "Appia") und DVDs er sofort aus dem Regal zieht. Und genau dieser Mann begegnete ihm im Urlaub in seinem Heimatort Triest. Seine Frau habe ihn animiert, den Autor anzusprechen, was er widerwillig befolgte. Doch die beiden Männer verstanden sich wohl auf Anhieb, jedenfalls gab Rumiz ihm nach zehn Minuten seine Handynummer, um ein weiteres Treffen zu vereinbaren. Rumiz wollte die Übersetzung unbedingt lesen, also schickte Cumani sie ihm. Es war ein Tag im November, 11.30 Uhr. "Um 12.30 Uhr bekam ich die Antwort", erzählt er. Rumiz habe es eine großartige Arbeit genannt. Er lobte auch den Schreibstil Mannheimers, den er mit dem eines Kindes verglich, im positiven Sinne. Cumani nennt diesen Stil "direkt und frisch", was Mannheimer in besonderer Weise charakterisiere: "Er verurteilt nicht." Der ehemalige KZ-Häftling, der fast seine gesamte Familie durch den Holocaust verloren hat, vermag über die schrecklichen Sachen mit innerem Frieden reden, "sogar mit Humor". Gerade den zu übertragen, sei eine große Herausforderung für ihn gewesen.

Über die Schoah hatte er zuvor schon viel gelesen, gleichwohl hat er durch Mannheimers Buch auch Neues gelernt. Er habe nicht gewusst, dass die Bewohner des Warschauer Ghettos nach dessen Zerstörung alles aufräumen mussten. Mannheimer hat dabei ein Tagebuch eines Mädchens im Keller gefunden mit seinen Schilderungen der letzten Tage im Ghetto. Er hat es auf deutsch übersetzen lassen und einer Frau in die Hand gedrückt, mit der Aufforderung, es als wichtiges Dokument aufzubewahren und vielleicht an ein Museum zu geben. "Er hat immer an die Zukunft gedacht, auch in den schlimmen Momenten", sagt Cumani bewundernd.

Dank Rumiz, der den Kontakt zu dem kleinen italienischen Verlag ADD Editore in Turin hergestellt hat, erfahren jetzt auch italienische Leser, wie vor ihnen schon Leser in Deutschland, Russland, Japan, Slowenien, Polen und Israel, die Geschichte Max Mannheimers. Der 96 Jahre alte Autor selbst hat die italienische Übersetzung schon gelesen, "es ist fantastisch übertragen", sagt Mannheimer auf Nachfrage. Damit darf sich Cumani jetzt wohl als Traduttore und nicht als Traditore bezeichnen.

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