"Sounds like Munich" (II):Fressglocken und hippe Blasmusik

Wie prägt die Musik aus München die Stadt? Volkskunde-Studenten haben über kommende Rockstars, Kirchenglocken und angesagte Volksmusiker geforscht.

Wie prägt die Musik aus München die Stadt? Dieser Frage sind Studenten des Instituts für Volkskunde der LMU nachgegangen. In einem zweisemestrigen Forschungsprojekt unter der Leitung von Simone Egger und Johannes Moser haben sie untersucht, wie sich die Münchner Ausgehszene von der Berliner unterscheidet oder was den Nachtclub Pimpernel so besonders macht - aber auch welchen Einfluss der Klangteppich im Englischen Garten auf die Stadt haben. sueddeutsche.de stellt in einer zweiteiligen Serie die Ergebnisse vor. Ausgehend von dem Seminar findet die Veranstaltungsreihe "Sounds Like Munich" statt - am Dienstag, den 20. Juli treten Andy Lutter Trio, Creme Fresh, F.S.K. und Josef Brustmann um 21 Uhr im Ampere auf. Mehr Informationen zu dem Projekt gibt es hier.

Backstage in München, 2010

Prägend für die Münchner Musikkultur: Das Backstage.

(Foto: Robert Haas)

Franziska Nimz und Claudia Bendl über Institutionen der Jugendkultur

Das Thema: Muffatwerk, Backstage, Atomic Café: Ethnografische Forschung über zwei Kultureinrichtungen und einen Konzertclub, die eine wichtige Rolle für die Musikszene in der Stadt München, aber auch darüber hinaus, übernehmen.

Was war das Ziel der Forschungsarbeit? Wir wollen die Funktion der drei Institutionen für die Jugendkultur (besonders Musik) und die Stadt München erarbeiten, deren Konzepte und Musikprogramm aufzeigen, um ein Stimmungsbild (Wahrnehmung von außen) zu erhalten.

Was haben Sie herausgefunden? Wir haben herausgefunden, dass München in den achtziger Jahren kaum etwas zu bieten hatte für die Jugend- und freie Kulturszene. Ende der achtziger Jahre und zu Beginn der neunziger Jahre herrschte eine Umbruchstimmung in Deutschland, bedingt durch die damaligen historischen, politischen und sozialen Umbrüche. Dadurch entstand die Möglichkeit, etwas Neues zu etablieren mit jungen Kommunikatoren, um die Jugend zu erreichen. Aus privater Initiative ist das Backstage und aus städtischer Initiative ist das Muffatwerk entstanden. In einem anderen Kontext und ein paar Jahre später wurde dann das Atomic Café eröffnet, ein Konzertclub der heutzutage für Britpop und Alternative Musik steht, damals viel Sixties aufgelegt hat.

Was war überraschend? Überraschend war, dass die historischen und politischen Gegebenheiten so maßgebend für die Entstehung von Backstage und Muffathalle waren. Sie gaben sozusagen den nötigen Impuls der Jugendkultur wieder eine Plattform bzw. einen "Raum""zu geben. Darin waren sich auch alle Geschäftsführer der Clubs einig.

Was bedeuten die Ergebnisse für München? Mit dem Backstage und dem Muffatwerk wurde eine Vorreiterrolle übernommen. Hier hat man gezeigt, dass die Jugendlichen nicht nur feiern wollen, sondern sehr wohl reflektieren und verarbeiten, nur eben mit neuen Ausdrucksformen. Darunter fällt vor allem der deutsche HipHop, der das Sprachrohr der Jugendbewegung war. Mode und Musik sind die wichtigsten Faktoren in der Jugendkultur. Aktuelle Veranstaltungen in München (Puerto Giesing, Der Kongress, etc.) wären wohl nicht möglich, wenn nicht damals der Grundstein gelegt worden wäre.

Maria Fuchs über den Klang der Kirchen

Glocke der Münchner Frauenkirche, 2005

Früher klangen Münchens Glocken höchst unterschiedlich.

(Foto: sz.lokales)

Das Thema: Die Glocken von München - Klänge in Geschichte und Gegenwart

Was war das Ziel der Forschungsarbeit? Die Herausarbeitung der Rolle der Glocken im "Zusammenklang" Münchens steht im Mittelpunkt. Zentral war dabei die Frage nach der Bedeutung der Glocken für einen speziellen Klang Münchens. Um die Bedeutung des Glockengeläuts in Kultur und Gesellschaft anhand ihrer Funktionen und Wirkungen auf Orte hin begreifen zu können, musste ich Stück für Stück versuchen, verschiedene Einzelaspekte herausarbeiten und diese schließlich als Ganzes begreifen und zusammendenken zu können.

Was haben Sie herausgefunden? Zunächst wurde ich in diversen Archiven, dann über Interviews mit Sachverständigen der Institution Kirche und schließlich auch im Münchner Stadtmuseum fündig. Ich konnte viel über die Geschichte der Glocke sowie der Entwicklung der Bedeutung und Funktion europäischer Glocken vom 17./18. Jahrhundert bis heute herausfinden. Je nach Lebensbereich, Region, Kultur und Mentalität einer Volksgruppen bildeten sich im Laufe der Zeit verschieden Läutesitten und -arten heraus. Jede Kirche verfügt bis heute über ihre jeweils eigene, liturgische Läutordnung.

Was war überraschend? Die große Tragweite der Glocken für das Leben der Menschen in der Stadt und die Bedeutung der Glocken innerhalb der Stadtgeschichte Münchens ist für mich ein besonders interessantes Ergebnis meiner Forschung. Der Glockenklang fungierte bis ins 19 Jahrhundert hinein als ein bzw. das zentrale Ordnungsprinzip im Leben der städtischen Menschen: Das tägliche Angelus-Geläut regelte den Tagesablauf der Menschen, alle wichtigen Ereignisse des Tages wurden über ein spezielles Geläut kundgetan. Die Betglocke (das letzte Läuten das Angelus- Geläuts am Abend) bedeutete für die Kinder, deshalb auch als Bettglocke geläufig, dass Schlafenszeit war, abends folgte der "Betglocke" die "Totenglocke", die die Stadtmitglieder zum Gebet des "Vater Unsers" für die Verstorbenen aufforderte und die Lebenden zugleich an ihre Vergänglichkeit erinnern sollte. Die Funktionen des Glockenschlags war vielseitig: Den Menschen wurde Gefahr vor Feinden oder Feuer signalisiert, der Tod eines Stadtmitbürgers kundgetan oder das Schließen der Stadttore verkündet. Im Volksmund mahnte die Bierglocke zur Schließung der Bierstuben, die Fressglocke kündigte den hungrigen Arbeitern das Mittagessen an.

Was bedeuten die Ergebnisse für München? Anhand der Geschichten rund um die Glocken und Klangordnungen kann der Münchner die Geschichte seiner Stadt eindrucksvoll und anschaulich nachvollziehen. Eine seit dem Ende des zweiten Weltkrieges "vereinheitlichte" Klangzusammenstellung sorgte nicht nur für das Verschwinden schiefer Töne, sondern lässt seither auch die Freude des Münchners über das tägliche Glockenklangerlebnis durch Verhindern unangenehmen Ineinanderklingens eng zusammenliegender Kirchen mittels eines Läut-Verzögerungseffektes ungetrübt. Der Gebrauch und die Funktion der Glocken haben sich mit der Zeit sicherlich stark verändert, reichen in ihrer Bedeutung für die Stadt aber dennoch bis in unsere heutige Zeit hinein. Für die Jubiläumsfeier des 850 Jährigen Gründungsfestes inszenierte die Stadt München ein Glockenkonzert und auch die Diskussion um das "richtige" Klingen des Glockenspiels ist Teil einer Auseinandersetzung des Münchners mit seinen Glocken. Wesentliche Bedeutung erhält die Glocke insbesondere auch als Erinnerungsträger: Seit 1958 erinnert ein Symbolträchtiges Läuten am Alten Peter die Münchner Stadtbürger jeden Sonntagabend an die Opfer des Nationalsozialismus.

Endlich Rockstar!

Josef Wirnshofer über Rockstars vom Lande und aus der Stadt

Bruck: Schlachthof + Open Air Subkultur

Die Band Tonwertkorrektur kommt aus Fürstenfeldbruck.

(Foto: Johannes Simon)

Das Thema: Endlich kann ich Rockmusiker sein! Subkultureller Austausch zwischen Stadt und Umland

Was war das Ziel der Forschungsarbeit? Ziel der Arbeit war es, herauszufinden, welche subkulturellen Austauschprozesse zwischen einer Großstadt und dem Umland stattfinden bzw. inwiefern die Stadt mit dem Umland vernetzt ist. Der Fokus lag dabei natürlich auf der Stadt München, die sich bekanntlich stark aus dem Umland speist, und der hier ansässigen Musikszene. Des weiteren galt es zu eruieren, ob und in welcher Ausprägung sich kreative Klassen in der Großstadt verdichten und welche Netzwerke dabei entstehen.

Was haben Sie herausgefunden? Der Eindruck, dass Münchens Kulturszene sich stark aus dem Umland speist, bzw. dass viele Kreativkräfte vom Land nach München strömen, hat sich in meinen Befragungen bestätigt. Im Bereich Pop-Musik spielt dabei vor allem der BR auch eine große Rolle, da dieser bayernweit agiert (on3-Südwild, Der blaue Bus) und damit ein wesentlich größeres Einzugsgebiet als beispielsweise der rbb in Berlin hat. Diese zentrale Stellung Münchens in Bayern lässt sich aber selbstredend auch geschichtlich begründen, beispielsweise damit, dass mit der Ernennung der Stadt zur Hauptstadt des Königreichs Bayern sämtliche Verwaltungszentren, Universitäten etc. nach München verlegt wurden, und nicht etwa nach Nürnberg oder Augsburg. Demnach scheint es also auch geschichtlich begründet, warum München eine ähnlich zentrale Rolle für Bayern spielt, wie Paris für Frankreich.

Was war überraschend? Zum einen fand ich es sehr interessant, dass viele die Tatsache, dass ein großer Teil der bayerischen Subkultur auf dem Land entsteht, damit begründeten, dass München heutzutage sehr liberal regiert wird und deshalb ein sehr offenes, reibungsfreies Klima herrscht. Auf dem Land hingegen sind Tradition und ein gewisser "katholisch geprägter" Wertekanon noch wesentlich präsenter und spürbar, weshalb man auf dem Land mehr Reibungsfläche hat, welche "ein guter Nährboden für Subkultur" ist.

Angesagte Volksmusik

G. Rag Geschichte von Klaus Raab

"Is ja eh alles Rock'n'Roll": Der Musiker G. Rag.

(Foto: sz.sonstige)

Anna Miessl, Anne Drees, Alex Rau und David Lemmer über angesagte Volksmusik

Das Thema: Exotische Heimatklänge: Traditionell bayerische Musikelemente als Stilmittel im urbanen Kontext Münchens.

Was war das Ziel der Forschungsarbeit? Blasmusik-Klänge in der Elektro-Disko, bayerische Streichmusik in Puerto Giesing beim subkulturellen Zwischennutzungsprojekt und Lederhosen hinterm E-Bass. All das ist in München Alltag und auch bestimmt nicht neu - oder doch? Und wenn ja, was ist das? Szene? Trend? Gehypter städtischer Hybrid-Sound einer populären Weltmusik oder traditionelle Volksmusik-Idylle? Das ist der Pfad der Fragen auf dem unsere Arbeit über Monate hinweg durch München wandelte.

Was haben Sie herausgefunden? Hybride Volksmusikformen gibt es nicht erst seit LaBrassBanda. Allerdings ist eine konkrete Öffnung von mehreren Seiten zu beobachten; von den Musikern selbst, den Wirten/Betreibern von Wirtschaften und Lokalen, dem Publikum und der Stadtpolitik. Traditionell bayerische Elemente sind in der Münchner Musik in den verschiedensten Kontexten zugegen. Und die Vorurteile ihnen gegenüber ebenso. Doch um diese mag man sich nicht kümmern, denn es ist "in" und macht Spaß. Denn: Mia san mia. Oder mit den Worten des Musikers G. Rag: "Is ja eh alles Rock'n'Roll."

Was war überraschend? Besonders spannend war es zu beobachten, wie sich das eigene Verständnis und Bild von Volksmusik, Bayern und Tradition erstmals einem selbst offenbart, um dann fast im selben Atemzug umgeworfen zu werden und von der Exotik des Eigenen fasziniert zu werden.

Was bedeuten die Ergebnisse für München? Der Musik interessierte Münchner darf sich darauf freuen, die Musikkultur seiner Stadt in einer Gestalt wieder zu erkennen, die ihm auf der einen Seite vertraut erscheint und ihm auf der anderen Seite dennoch eine Exotik vor Augen führt. Jeder Münchner kann nun getrost - auch öffentlich -den exotischen Heimatklängen lauschen. Hier noch einige Bands, die wir den Münchnern wärmstens empfehlen: Zwirbeldirn, G.Rag & die Landlergschwister, Niederbayerischer Musikantenstammtisch, Schlachthofbronx, Kofelgschroa.

Angela Eisenmenger über die Stadt der Blinden

Stadtführung für Blinde und Sehbehinderte in München, 2006

In München gibt es immer wieder spezielle Stadtführungen für Blinde.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Thema: Blinde Stadt

Was war das Ziel der Forschungsarbeit? Ziel meiner Forschungsarbeit ist es, anhand von besonders auditiv orientierten Interviewpartnern ein Klanglandschaft ausgewählter Orte in München beschreiben zu können. Hierzu habe ich mit blinden Menschen geforscht.

Was haben Sie herausgefunden? Neben den "typischen" Stadtgeräuschen wie Verkehrslärm lassen sich bestimmte Orte detailliert beschreiben. Interessant ist hierbei die Kombination bestimmter Geräusche, die die Klänge "münchenspezifisch" machen.

Was war überraschend? Besonders interessant war die Auseinandersetzung mit einer grundlegend anderen Lebenswelt verbunden mit einer anders strukturierten Wahrnehmungsebene, sowie das eigentliche Thema: Geräusche Münchens.

Was bedeuten die Ergebnisse für München? Ich hoffe, mit meiner Arbeit einen interessanten Beitrag zur Stadtanthropologie/Klanganthropologie leisten zu können, aber auch aufzeigen zu können, dass eine veränderte Wahrnehmung, die im Falle der Blinden allgemein als Behinderung angesehen wird, nicht grundsätzlich und in jedem Falle ein Nachteil sein muss, sondern, wie im Falle meiner Forschung erhebliche Vorteile mit sich bringen kann. Außerdem hoffe ich, mehr Aufmerksamkeit auf das Thema "Blindheit und Großstadt" mit allen damit verbundenen Problemen erwecken zu können.

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