Flüchtlinge:Wenn das Helfen den Alltag bestimmt

Aschheim, Notunterkunft Dornach muss geräumt werden

Gisela Kahmann in der Dornacher Unterkunft. Nun muss sie sich eine neue Tätigkeiten suchen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Ende Mai schließt die Notunterkunft für Flüchtlinge in Dornach. Das ist gar nicht so leicht - für die Helfer. Bei vielen macht sich Schwermut breit.

Von Martin Mühlfenzl

Da ist es wieder, das Strahlen. Als Gisela Kahmann die Tür zum Spielzimmer aufschließt, springt ihr der kleine Jim in die Arme. "Hey du", ruft der Vierjährige, "spielen!" Und klammert sich fest an seine große Spielkameradin, die in den vergangenen Monaten so viel Zeit mit ihm in dem bunt eingerichteten Raum in der Flüchtlingsunterkunft im Dornacher Gewerbegebiet verbracht hat.

Ob Jim schon ahnt, dass er sich bald neue Spielkameraden suchen muss? Dass sich in nicht einmal zwei Wochen neue Helfer um ihn kümmern, mit ihm Zeit verbringen und ihm Deutsch beibringen werden? An einem anderen Ort. Das Flüchtlingskind jedenfalls lacht immer weiter, während Gisela Kahmann die Tränen in die Augen steigen.

Sie weiß sehr wohl, dass zum 31. Mai hier im Aschheimer Ortsteil alles vorbei sein wird. Dass längst die Kisten gepackt und abtransportiert werden. Dass nach so lebhaften Monaten in den ehemaligen Büroräumen des wenigen schmucken Gewerbebaus Ruhe einkehren wird. "Schluss, aus, vorbei", sagt Kahmann, ihren kleinen Freund im Arm haltend.

Dornach war und ist so etwas wie eine Blaupause für die Unterbringung von Flüchtlingen im Landkreis München. Die von den Johannitern im Auftrag der Regierung von Oberbayern betriebene Unterkunft steht seit September vergangenen Jahres dafür, was Ehrenamtliche, professionell geführte Hilfsorganisationen und Politik gemeinsam leisten können.

Aber auch mit welchen Widerständen sie zu kämpfen haben. Anfang September 2015 als tatsächliche Notunterkunft ins Leben gerufen, entlastete Dornach insbesondere die Landeshauptstadt, als der Zuzug an Flüchtlingen am Münchner Hauptbahnhof seinen Höhepunkt erreichte. Soldaten der Bundeswehr waren damals in Dornach als Helfer im Einsatz, unzählige Freiwillige meldeten sich zum Dienst, die in Eigenregie über Facebook und Whatsapp-Gruppen alles Organisatorische regelten.

Im Minutentakt trafen die Busse ein

In der engen Zufahrt zwischen den beiden Bürogebäuden trafen die Busse mit Schutzsuchenden im Minutentakt ein. Die Notunterkunft hatte damals eine Kapazität von bis zu 2500 Personen; und eben dieser Umstand hatte teils wütende Proteste von Dornacher Bürgern auf einer eigens einberufenen Bürgerversammlung zur Folge.

Heute ist vom hektischen Gedränge vor und in den Bürogebäuden nichts mehr zu spüren. Im Gemeinschaftsraum spielen ein paar Jungs Tischtennis, hängen am Smartphone oder lesen Bücher aus der eigenen Bibliothek. Seit Anfang Januar wird Dornach als sogenannte Überbrückungsunterkunft geführt; nicht zuletzt Aschheims umsichtigem Bürgermeister Thomas Glashauser ist es zu verdanken, dass die Johanniter auch nach dem Abebben des Zuzugs weitermachen konnten. Befristet zwar, aber immerhin.

Jetzt aber, wo das Ende absehbar ist, macht sich unter den Helfern Schwermut breit. Christian Tander, der Leiter der Unterkunft, Gisela Kahmann, Helferin Barbara Weiß, Übersetzer Karim Hames, Aschheims Integrationsbeauftragte Alexandra Brandner und Gerhard Bieber von den Johannitern sitzen im Besprechungszimmer zusammen - und blicken zurück.

Seehofer gehört - und erst recht zum Helfer geworden

Aschheim, Notunterkunft Dornach muss geräumt werden

Barbara Weiß hat gerne geholfen - damit ist nun Schluss.

(Foto: Angelika Bardehle)

Auf jene Tage im September, die Barbara Weiß, im richtigen Leben Buchhändlerin in München, dazu bewogen haben, in Dornach als Deutschlehrerin mitzuarbeiten. "Ich bin erst einmal zum Hauptbahnhof, um mir selbst ein Bild zu machen", erinnert sich Weiß. "Und dann habe ich wieder mal so eine unsägliche Aussage vom Seehofer gehört und da war mir klar: Ich will helfen."

Ihre Biografie als Ehrenamtliche ist typisch für so viele, auch und gerade in Dornach. "Ich bin selbständig, und manchmal war es sehr schwer, das alles unter einen Hut zu bringen", sagt Weiß. "Man entwickelt das Gefühl, dass die Menschen hier einen brauchen. Das setzt sich fest." Und es bestimmt in Teilen auch den Alltag.

So wie bei Alexandra Brandner, die vom ersten Tag an in Dornach neben ihrem Job als Mutter und Integrationsbeauftragte mitgeholfen hat - manchmal 24 Stunden am Tag. "Das ist ein Aufwand, den man auch in der Familie zu spüren bekommt", erzählt sie beim Gang durch die Unterkunft. "Meine Tochter wurde schlechter in der Schule, da habe ich es wirklich gemerkt."

Wenn das Helfen den eigenen Rhythmus bestimmt, wird es schwer loszulassen. Sich von 160 Menschen, die jetzt noch in Dornach wohnen zu trennen. Flüchtlinge, die einem ans Herz gewachsen und zu Freunden geworden sind, sagt Tander. "So ganz verstehen wir es auch nicht. Denn die Unterkunft funktioniert perfekt, die Infrastruktur ist ein Wahnsinn."

Früher hatte hier die Firma Hewlett Packard ihre Büros. Kleine Räume, die sich für die Unterbringung optimal eignen und den Flüchtlingen etwas Privatsphäre bieten. Eine Kantine, die heute eine lebendige Cafeteria ist; ein Schulungsraum, in dem Barbara Weiß ihre Schüler unterrichtet. Smileys hängen an den großen Buchstaben an der Wand - es sind die Buchstaben, die die Schulanfänger unter den Flüchtlingen schon gelernt haben.

Etwas weiter hinten, neben dem Spielzimmer, haben die Helfer ein Nähzimmer eingerichtet. Dort ist ein Flüchtling aus der Aschheimer Container-Unterkunft beschäftigt, er schneidert und näht Klamotten, zeigt den Frauen, wie die Nähmaschine funktioniert. Er hat endlich einen Job gefunden. Den er jetzt aufgeben muss, was Alexandra Brandner bedauert: "Für ihn war das ein Segen. Endlich eine Arbeit, eine sinnvolle. Aber wenn die Unterkunft weg ist, ist auch der Job weg."

Es hängen aber noch mehr Schicksale an dieser Unterkunft - der größten im Landkreis München. Auf mittlerweile 16,5 Stellen ist das feste Team der Johanniter in Dornach angewachsen, 50 Ehrenamtliche sind noch regelmäßig im Einsatz. Auch Christian Tander gehört dazu - er ist gewissermaßen vom ehrenamtlichen Helfer zum Heimleiter aufgestiegen. "Weil ich mich beruflich verändern wollte. Aber das ging dann schon sehr schnell", sagt der Mann mit den mehr als zehn Schlüsseln in der Hand und lacht.

Das Ordenswerk hat eine Verantwortung für seine Mitarbeiter

Wie es für ihn und die anderen Johanniter weitergeht? "Ich werde in eine andere Unterkunft in München wechseln. Aber ich weiß noch nicht welche", sagt Tander. "Wir wollen alle Mitarbiter weiter beschäftigen", ergänzt Pressesprecher Gerhard Bieber. "Nur ist die Situation nicht ganz einfach. Momentan dürfen durch den Beschluss der Staatsregierung keine neuen Unterkünfte geschaffen werden. Das macht es für uns nicht einfacher."

Als Ordenswerk habe seine Einrichtung aber nicht nur für die Flüchtlinge Verantwortung zu tragen, sondern auch für die eigenen Mitarbeiter: "Wir schaffen das auch", sagt Bieber. Ein passender Satz.

Am 31. Mai endet auch für Barbara Weiß und Gisela Kahmann die gemeinsame Zeit in Dornach. Aber vielleicht gibt es eine gemeinsame Zukunft. "In der Integration ist das ja erst der Anfang", sagt Weiß. "Wir werden wo anders weiterhelfen. Auch wenn man nicht erkennt, dass das hier die optimale Unterkunft war." Da sind sie wieder zu sehen, einige kleine Tränen. Ein bisschen Wut. Aber auch ein Strahlen.

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