Flüchtlinge:Wenn Asyl-Vereinbarungen Familien zerreißen

Flüchtlinge: Nur per Handy hält die 16-jährige Aml aus Unterhaching Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern.

Nur per Handy hält die 16-jährige Aml aus Unterhaching Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern.

(Foto: Claus Schunk)
  • Aml, 16, ist eines von vielen Flüchtlingskindern, die auf ihre Eltern warten. Ihre Familie sitzt in Griechenland fest, sie lebt in Unterhaching.
  • Die Familie müsste eigentlich längst zusammengeführt werden. Dass es so lange dauert, liegt laut Pro Asyl an einer Vereinbarung, die Bundesinnenminister de Maizière mit den griechischen Behörden getroffen hat.
  • Nun erwägt Pro Asyl eine Klage.

Von Christina Hertel, Unterhaching

Sie will ihre Sachen packen und gehen. Weg aus Unterhaching aus dem Haus, sechs Stockwerke hoch, mit Balkonen und einer Schaukel vor der Haustür. Einfach nur weg, zu ihren Eltern nach Griechenland. Aml ist 16 Jahre alt und aus Syrien geflohen. Ihre Mutter, ihren Vater und ihre Schwestern hat das Mädchen zum letzten Mal vor zwei Jahren gesehen. Sie alle leben in Athen und kommen von dort einfach nicht weiter.

Die Eltern hatten sie vorgeschickt, weil das Geld nicht für alle zur Flucht reichte. Als die Familie im März 2016 folgen wollte, war der Weg, durch Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland verschlossen. Eltern und Geschwister strandeten in Griechenland. Nach EU-Recht hätte Amls Familie eigentlich schon längst nach Deutschland gebracht werden müssen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl prüft zurzeit den Fall und erwägt eine Klage.

Aml lebt bei ihrer Tante, ihrem Onkel und ihrer Cousine in Unterhaching. Sie geht dort in die neunte Klasse, lernt für den Quali, spricht gut Deutsch und hat ein paar Freunde gefunden. Es könnte alles schön sein. Aber oft seien die Tage ziemlich schlimm und ziemlich lang, sagt Aml. Einmal, manchmal zweimal die Woche telefoniert sie mit ihren Eltern. Wenn sie mit der Mutter spreche, müsse sie oft weinen. Beim Vater halte sie sich zurück. Er soll nicht merken, wie traurig sie ist. Und er soll selbst nicht noch trauriger werden.

Aml ist nicht das einzige Flüchtlingskind, das auf seine Eltern wartet. Laut Bundesinnenministerium müssten fast 5000 Flüchtlinge, die sich in Griechenland aufhalten, nach Deutschland überführt werden. Grundlage dafür ist das Dublin-III-Abkommen. Darin ist festgelegt, dass Familien, die sich bereits in Europa befinden, in einem Land zusammen gebracht werden sollen.

Amls Eltern kamen im März 2016 in Griechenland an. Bis sie das erste Mal bei den griechischen Behörden vorsprechen durften, dauerte es acht Monate. Bis das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Antrag auf Familienzusammenführung annahm, verging ein weiteres Vierteljahr. Mitte März erhielten die Eltern die Zustimmung. Laut Gesetz hätten sie daraufhin innerhalb von sechs Monaten nach Deutschland gebracht werden sollen, also im September. Aber sie warten immer noch in Griechenland auf ihre Weiterreise.

Pro Asyl will sich des Falls annehmen

Pro Asyl hat schon einmal in einem ähnlichen Fall geklagt und brachte so einen syrischen Jungen, der in Wiesbaden lebt, und seine Eltern, die auch in Griechenland festsaßen, zusammen. Die Organisation hat zugesagt, auch Aml mit einem Anwalt zu unterstützen, sollten die Eltern nicht bald nach Deutschland gebracht werden.

Dass die Familie solange getrennt ist, liegt laut Pro Asyl an einer Vereinbarung, die Bundesinnenminister Thomas de Maizère (CDU) mit den griechischen Behörden getroffen hat. Danach sind Familienzusammenführungen gedeckelt - auf höchstens 70 im Monat. In dem Urteil des Wiesbadener Verwaltungsgerichts sieht Pro Asyl den Beweis dafür, dass diese Praxis illegal ist.

Vom Bundesamt heißt es, dass sich die Bundesregierung für eine "Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen in Griechenland" einsetze, damit die Überstellungen von Griechenland mittelfristig wieder in der vorgesehenen sechsmonatigen Frist stattfinden können. Für die schwankenden Überstellungszahlen seien Umstände verantwortlich, auf die die Bundesregierung keinen Einfluss habe. So stünden in der Feriensaison weniger freie Flugplätze zur Verfügung. Außerdem seien die "personellen Ressourcen" im Sommer rückläufig.

Aml nützt diese Antwort wenig. Ihr kann immer noch niemand sagen, wann sie ihre Eltern und ihre Schwestern das nächste Mal sieht. Ob es noch Wochen dauert oder Monate - oder noch ein weiteres Jahr.

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