Flüchtlinge:Der Alltag nach der Krise

Ottobrunn, Eisstadion, Eislaufbahn

Praktische Hilfe: In einer Werkstatt der Volkshochschule bildet ein Helfer einen jungen Flüchtling aus.

(Foto: Angelika Bardehle)

Beim Jahresempfang für die Asylhelferkreise dankt Landrat Göbel den Ehrenamtlichen für ihren Einsatz. Deren Aufgaben haben sich verändert: Es geht um Wohnungs- und Arbeitssuche sowie Abschiebungen

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis

Der Unmut vieler Ehrenamtlicher in den Asylhelferkreisen des Landkreises spiegelt sich in einer Zahl wider: Derzeit wohnen in den 29 Städten und Gemeinden 61 Menschen aus Afghanistan, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist und die der Ausreisepflicht unterliegen. Sie sollen abgeschoben werden. "Für diese Menschen können wir nicht mehr viel tun, wir sind nicht mehr zuständig", sagt Landrat Christoph Göbel (CSU) beim Empfang für die Asylhelfer im Landratsamt. Denn die Verantwortung für diese 61 Menschen - die meisten von ihnen sind Männer - obliegt der Regierung von Oberbayern, einer staatlichen Behörde, in der viele Asylhelfer nur den verlängerten Arm der bayerische Staatsregierung erkennen.

Beim Empfang für die ehrenamtlichen Helfer am Mariahilfplatz wurde am Mittwochabend deutlich, dass die Regierung von Oberbayern bei den Asylhelferkreisen nicht gut weg kommt. Diakon Karl Stocker, der die Flüchtlingshilfe in Ottobrunn, Putzbrunn und Hohenbrunn koordiniert, hat nach eigenen Worten die Regierung bereits mehrmals eingeladen. "Aber da kam bisher nie eine Antwort", sagt Stocker. "Irgendwann lässt man es dann."

Stockers Worte passen eigentlich so gar nicht zum anhaltend großen Engagement der Helfer. Landrat Göbel, der mit der Helferkreis-Koordinatorin Elif Yildizoglu ins Landratsamt geladen hatte, drückt das so aus: "Es ist vielleicht nicht mehr ganz so schick oder in, sich zu engagieren wie noch vor ein zwei Jahren. Umso erstaunlicher, dass so viele von Ihnen dabei geblieben sind und bleiben." Denn, so der Landrat: Ohne deren Einsatz könne die Integration nicht gelingen. Anders ausgedrückt: Der Staat alleine schafft das nicht.

Dem Landrat ist bewusst, dass dabei Rückschläge nicht ausbleiben, die Frustration oft hoch ist. Und Ängste existieren. Etwa wenn gewachsene Beziehungen zwischen Helfer und Flüchtling auseinander gerissen werden. Durch Umzug - "Verpflanzung", nennt Yildizoglu dies - oder Abschiebung. Aber auch, wenn die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Helferkreisen und Landratsamt nicht funktioniert. "Wir wissen, das kommt vor. Wir versuchen aber in jedem einzelnen Fall, die richtigen Lehren daraus zu ziehen", sagt Göbel. "Sonst wäre es ja Vorsatz."

Es sind die Helfer selbst, die im Amt etwas bewegen können, sagt Josef Stettner, Leiter des Helferkreises Grasbrunn-Vaterstetten. "Das Helfen steckt ja bei uns im Namen drin. Wir wollen den Mitarbeitern im Amt helfen. Und es dauert auch seine Zeit, bis Strukturen aufgebaut werden und die Wege richtig verlaufen." Das erleben die Helfer wie auch die Mitarbeiter im Landratsamt noch immer tagtäglich. "Die Materie ist oft saukompliziert. Wenn es etwa um eine Arbeitserlaubnis geht. Was es da auszufüllen gibt, ist der Wahnsinn", sagt Stettner. Manche Helfer könnten daran schnell verzweifeln: "Andere, die es schon einmal erfolgreich hinter sich gebracht haben, sagen nur: Wo liegt denn das Problem?"

Der Aufwand, den die Helfer betreiben, ist nach wie vor enorm: Neun Stunden ist jeder Ehrenamtliche in den Helferkreisen des Landkreises im Schnitt in der Woche aktiv, erledigt Behördengänge, betreut Kinder, sortiert Sachspenden, schreibt Wohnungsbesitzer und Unternehmer an, organisiert Freizeitaktivitäten oder hört sich die Sorgen der Schutzsuchenden an.

Die Arbeit aber hat sich verändert, sagt Franziska Kindsmüller vom Unterhachinger Helferkreis: "Es sind nicht mehr in erster Linie diejenigen, die zu uns kommen, die Unterstützung brauchen. Sondern die Anerkannten, die eine Wohnung und einen Job suchen. Wir müssen uns in unserer Arbeit auch umstellen." Der Krisenmodus sei vorerst vorbei, sagt sie.

Als Bindeglied zwischen Helferkreisen und Landratsamt sollen vor allem die Sozialarbeiter fungieren. In Grasbrunn etwa eine Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt Haar, die einmal in der Woche in die Unterkünfte kommt und alleine dort 150 Menschen betreut. "Die macht tolle Arbeit und ist ein Glücksfall", sagt Stettner. "Aber natürlich ist das zu wenig Zeit. Alles, was sie nicht leisten kann, fangen wir auf." Etwa nach 16 Uhr und an den Wochenenden, wenn die Sozialarbeiterin nicht da ist. Mittlerweile werden die Ehrenamtlichen in Grasbrunn wie in Putzbrunn von einer jungen Mitarbeiterin unterstützt, die ein halbes Jahr lang als Angestellte bei der Gemeinde ihren Bundesfreiwilligendienst leistet. "Das ist ein kleiner Schritt. Aber wir müssen sie erst anlernen, unterstützen. Auch das kostet Zeit", sagt Stettner.

Bitter wird es für die Helfer, wenn gewachsene Strukturen aufgebrochen werden. Wenn etwa der Mietvertrag für eine Wohnung ausläuft und die Bewohner plötzlich wegziehen müssen. Wenn Flüchtlingen, die eine Arbeit haben oder mitten in der Ausbildung stecken, die Arbeitserlaubnis entzogen wird. "Das reißt dem Menschen den Boden unter den Füßen weg und dir selbst auch. Und der Unternehmer denkt sich, warum soll ich so ein Risiko noch einmal eingehen", sagt Claudia Köhler, die im Hachinger Tal weit mehr als hundert Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt gebracht hat. Die Helfer wissen aber auch, dass sie die Flüchtlinge fordern müssen; wenn es darum geht, die Unterkünfte sauber zu halten, Regeln einzuhalten, Sachbeschädigungen zu unterlassen. "Auch das gehört zur Integration. Wenn sich die Flüchtlinge nicht dran halten, kann das auch frustrierend sein", sagt Kindsmüller.

Es ist aber auch die Angst vor dem, was da politisch auf Helfer und Schutzsuchende noch zukommen könnte. "Wir wissen nicht, was geplant ist, wenn Söder kommt und eine neue Bundesregierung steht", sagt eine Helferin. "Aber es fröstelt einen, wenn man nur daran denkt." Eine Sorge, die Josef Stettner nicht teilt: "Auch wenn es echt mal knirscht und scheppert: Wir und der Landkreis dürfen stolz darauf sein, was in den letzten drei Jahren erreicht worden ist. Wir machen weiter."

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