Flüchtlinge:Alltag in einer Übergangsklasse

Flüchtlinge: Lehrerin Patricia Eder nimmt sich Zeit, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler in der Übergangsklasse einzugehen.

Lehrerin Patricia Eder nimmt sich Zeit, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler in der Übergangsklasse einzugehen.

(Foto: Natalie Neomi Isser)
  • Bevor Kinder mit Migrationshintergrund in eine Regelschule kommen, besuchen sie meist eine Übergangsklasse.
  • Dort sind die Altersstufen meist gemischt: Jugendliche lernen mit Erstklässlern Deutsch.
  • Weil der Bedarf an Übergangsklassen immer größer wird, müssen die Kinder möglichst schnell in einer Regelschule untergebracht werden.

Von Tobias Krone

Seinen ersten Schultag hat Leandro mit 13 Jahren erlebt. Das war vor fünf Wochen. Der Junge mit dem blau-weiß-gestreiften Rolli und der blauen Jogginghose kam mit seinen Eltern aus Albanien nach Ismaning in die Asylunterkunft Fischerhäuser. "Er konnte am Anfang gar nicht auf einem Stuhl sitzen", sagt Tatjana Pringsheim, Rektorin der Mittelschule Garching. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder habe er sich im Klassenzimmer wie auf einem Spielplatz verhalten. Nun sitzt Leandro wie seine Klassenkameraden still am Schreibtisch und arbeitet.

Pringsheim, die jeden ihrer 153 Garchinger Schüler mit Namen kennt, steht ganz hinten im geräumigen Klassenzimmer und blickt zufrieden über die Reihen. Tag für Tag beobachtet die Rektorin kleine Fortschritte. Auch bei Leandro. Er kann inzwischen die ersten Worte lesen. Und seinen Namen schreiben. Für Leandro und 17 weitere Schüler, die neu in Deutschland sind, ist die Übergangsklasse - kurz Ü-Klasse - in Garching eine Chance, den Sprung ins deutsche Schulsystem zu schaffen.

Improvisation, weil Bücher fehlen

Die Idee einer Ü-Klasse in Garching hatte Rektorin Pringsheim zu Beginn der Sommerferien. "Wir hatten neun Flüchtlinge in den Regelklassen und merkten, es werden langsam zu viele." Die Lehrer seien überlastet gewesen mit den Schülern, die kein Wort Deutsch sprachen. Sie telefonierte mit dem Schulamt, dort gelang es, für die zweite Schulwoche eine neue Lehrerin zu engagieren: Patricia Eder, eine ausgebildete Grundschullehrerin, die sofort die Klasse eröffnete.

Regelmäßig bildet sich Eder nun in Nachmittagskursen fort, etwa darüber, wie man die Leistungen in Ü-Klassen benotet, oder wie sie, unabhängig von der deutschen Sprache, herausfindet, welchen Bildungsstand die Kinder aus ihren Heimatländern schon mitbringen. Praktische Tipps bekommt Eder auch von einer Kollegin, die in Haar eine Ü-Klasse leitet. Eigene Übergangs-Schulbücher sind bestellt, noch muss Eder improvisieren.

Die Herausforderungen seien enorm, sagt Eder. Von der fünften bis zur neunten Klasse lernen hier alle zusammen. Während die 15 Jahre alte Karolina aus Polen bei der schriftlichen Hausaufgabe - eine rudimentäre Vorstellung von sich und der eigenen Familie - mit einem umfangreichen, nahezu fehlerfreien Aufsatz brilliert, arbeitet sich der zwölf Jahre alte Hadi aus Syrien noch am lateinischen Alphabet ab. Und Leandro bestreitet gerade seine erste Klassenstufe.

Hilfe für den 13-Jährigen, der zum ersten Mal eine Schule besucht

Weil der Junge besondere Unterstützung braucht, sitzt Sara Nilges neben ihm - bisher ohne Bezahlung. Die promovierte Chemikerin und Mutter dreier Kinder aus Ismaning hörte von der Übergangsklasse und wollte helfen: "Ich habe mir die Situation der Lehrerin vorgestellt: Sie steht vor 20 bis 30 Kindern alleine. Ich wollte sie unterstützen." Morgens liest Nilges zusammen mit Leandro in einem kleinen Raum, sie übt mit ihm schreiben. "Die Erfolge, die ich bei ihm sehe, sind erstaunlich." Rektorin Pringsheim ist dankbar für Nilges' Hilfe, sie möchte das Ehrenamt in eine Halbtagsstelle umwandeln, die Stadt Garching habe sich für diese Idee offen gezeigt.

Gegenwärtig besuchen die Ü-Klasse 18 Kinder mit Migrationshintergrund. Mehrere polnische, mehrere albanische Kinder, zwei aus Syrien. Weil ihr Deutsch inzwischen so gut ist, wird Karolina bald in eine Regelklasse wechseln. So rasch wie möglich machen die Lehrerinnen Platz für neue. In der kommenden Woche werden zwei Kongolesen, ein Afghane und ein Syrer dazustoßen. Regelmäßig stünden Eltern vor der Schultür, weil sie von der Übergangsklasse gehört haben und um einen Platz für ihre Kinder bitten.

Im großzügig ausgestatteten Gebäude der Garchinger Mittelschule würde Pringsheim am liebsten gleich noch eine zweite solche Klasse einrichten: "Wir haben Platz und Lust." Nie hätten sich Lehrer oder Eltern abfällig über die Neuen geäußert, geschweige denn die Schüler. Gerade für sie seien die Ü-Klässler eine "absolute Bereicherung", erklärt die Rektorin. Die älteren Schüler, die bisher häufig mit dem Bewusstsein gekämpft hätten, dass sie es nicht auf die Realschule geschafft hätten, unterstützten nun die Neuen. Die Erfahrung beim Helfen führe ihnen vor Augen, was sie selbst schon könnten. "Der Umgang mit der Ü-Klasse bringt Leichtigkeit in den Schulalltag."

Zwei Schüler werden demnächst abgeschoben

Ohne die Mithilfe älterer Schüler gehe es nicht. So übersetze ein albanischstämmiger Jugendlicher, der sich in Garching auf die Mittlere Reife vorbereitet, regelmäßig auf Elternsprechtagen. "Er war früher selbst in einer Übergangsklasse in Haar", erzählt Pringsheim. "Jetzt ist er hier Schülersprecher, hat seinen Führerschein gemacht und fährt sein eigenes Auto. Die Schüler machen Augen, wenn er ihnen das erzählt."

Auch wenn sie hier Betreuung und sogar Vorbilder haben, auch wenn die meisten von ihnen hoch motiviert in den Unterricht gehen - für manche ist die Ü-Klasse bald zu Ende. Zwei Albaner haben bereits den Abschiebungsbescheid erhalten. Als sie davon hörte, "habe ich erst einmal geweint", sagt Lehrerin Patricia Eder. Obwohl sie wüssten, dass sie nicht mehr lange bleiben dürfen, kämen beide nach wie vor täglich in ihren Unterricht.

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