Fallschirmspringen:Nervenkitzel in 7000 Metern Höhe

Fallschirmspringen: Wie beim Blick in ein Kaleidoskop: Beim Formationssprung muss jeder an seinem Platz sein und jeder Griff passen.

Wie beim Blick in ein Kaleidoskop: Beim Formationssprung muss jeder an seinem Platz sein und jeder Griff passen.

(Foto: Privat)

Über der Wüste von Arizona stellen 217 Fallschirmspringer einen Weltrekord im Formationsfliegen auf - einer von ihnen ist Elisabeth Wagner-Gantzer aus Haar. Die 55-Jährige führt seit ihrer Kindheit ein Leben zwischen Himmel und Erde.

Von Iris Hilberth, Haar

Wenn sich 217 Menschen im freien Fall in 7000 Metern Höhe treffen und dabei auch noch eine gute Figur machen wollen, dann verlangt das von jedem Einzelnen höchste Konzentration und enorme Disziplin. Elisabeth Wagner-Gantzer gehört zu einer Gruppe von Fallschirmspringern aus 22 Ländern, denen kürzlich das Kunststück gelang, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um gemeinsam hoch über Arizona drei Muster in den Himmel zu zaubern. Das war nicht nur schön anzuschauen, sondern in seiner Art bislang auch einmalig. So vielen Sportlern war es vorher nie gelungen, drei Formationen hintereinander zu fliegen. Weltrekord!

Elisabeth Wagner-Gantzer bekommt ein Leuchten in den Augen, wenn sie von ihrem Erfolg am Himmel über der Wüste berichtet. So wie es nur jemand haben kann, der seine Leidenschaft lebt. Inzwischen ist die 55-Jährige zurück aus Amerika, hat aber schon wieder ihren schwarzen Sprung-Overall an und wartet in Taufkirchen auf ein paar Kollegen für einen Flug im Windkanal eines Event-Veranstalters. Man trifft sie dort eher selten, denn ihr Metier ist eigentlich der richtige Wind, der echte Himmel, die große Höhe. Zum Trainieren, sagt sie, sei der Kanal unterm Hallendach aber eine gute Möglichkeit.

Eine Woche lang wurde am Rekord gearbeitet

Der perfekte Sprung in Eloy war nicht ihr erster Weltrekord, aber ein ganz besonderer. Wagner-Gantzer schwärmt von dem Zusammenhalt der Gruppe, von den Teilnehmern aus so vielen verschiedenen Nationen und davon, dass im Sport alle selbstverständlich zusammenarbeiten - sogar Russen und Ukrainer. "Ich bin überglücklich", sagt sie auch noch Tage nach dem Erlebnis, das als "Sequential Games 2017, Episode 3" in die Geschichte des Fallschirmspringens eingegangen ist. "Schon zu einem solchen Rekordversuch ausgewählt zu werden, ist eine große Ehre und Anerkennung."

Eine ganz schön nervenaufreibende Geschichte, an der die Springerin aus Haar mitgewirkt hat, schließlich kann man ein solches Zusammenspiel mit Hunderten von Leuten nicht allzu oft proben. Maximal drei bis vier Sprünge pro Tag verkraftet der Körper aus großer Höhe. Es ist eine Frage des Sauerstoffs und der Konzentration. So hatte die Gruppe 22 Versuche, die Mandala-Figuren zu formen und in Windeseile auch noch zweimal umzubauen, sodass es vom Boden aus betrachtet so ausschaute, als blicke man durch ein Kaleidoskop. Und erst beim allerletzten Sprung hat schließlich alles gepasst.

"Wir haben eine gesamte Woche am Rekord gearbeitet. Immer wieder war ein Griff nicht geschlossen", berichtet Wagner-Gantzer. Wie kompliziert es ist, eine solche Formation perfekt hinzubekommen, lässt sich mit einem Blick in den Plan des Weltrekordversuchs erahnen. Wagner-Gantzer hat eine mehrseitige Anleitung studieren müssen. Dort ist jede Position der 217 Springer eingezeichnet, eingeteilt in neun Sektoren und einer "Base" in der Mitte. So entsteht ein Bild, das an einen riesigen, bunten Kristall erinnert, der sich aus vielen kleinen Männchen zusammensetzt. Der Plan gibt genau vor, wer wann aus welchem der zehn Flugzeuge springen muss. Eingeteilt wird nach Gewicht, die schwereren Springer bilden den Mittelteil, die leichten Teilnehmer platzieren sich in den äußeren Bereichen. Um die Formation genau auszutarieren, wird mit zusätzlichen Gewichten gearbeitet, manchmal reicht auch ein weiteres T-Shirt unter dem Anzug, um ein paar Gramm drauf zu legen. Neben all den Berechnungen gilt vor allem: "Man darf sich nicht verfliegen."

Fallschirmspringen: Weltmeisterin im Formationssprung: Elisabeth Wagner- Gantzer hat bisher 5000 Sprünge absolviert und viele Rekorde verbucht. Über ihren älteren Bruder fand sie zu dem Sport.

Weltmeisterin im Formationssprung: Elisabeth Wagner- Gantzer hat bisher 5000 Sprünge absolviert und viele Rekorde verbucht. Über ihren älteren Bruder fand sie zu dem Sport.

(Foto: Claus Schunk)

"Fallschirmspringen ist wie eine Sucht."

Sie weiß aber genau, wie die Sache läuft, denn sie ist schon so lange im Geschäft, dass sie sich manchmal selbst über die Anzahl der Jahre wundert, wenn sie nachrechnet. Im Alter von 18 hat sie ihren ersten Sprung gewagt. "Ich war schon als Sechsjährige fasziniert von Flugzeugen", erzählt sie. Fliegen war ein Traum der kleinen Elisabeth, einziges Mädchen von fünf Geschwistern. "Und als mein älterer Bruder Richard dann vom Fallschirmspringen berichtete, sagte ich: Das will ich auch." Er nahm sie mit nach Mühldorf und sie sprang. Einmal und noch einmal. Immer wieder. "Ich war von Anfang an begeistert und so ist es geblieben. Das lässt einen nicht wieder los, es ist wie eine Sucht."

Fallschirmspringen: Fliegen unter dem Hallendach: Selten trainiert die Weltmeisterin im Formationssprung, Elisabeth Wagner Gantzer, in einer Bodyflying-Anlage wie hier in Taufkrichen.

Fliegen unter dem Hallendach: Selten trainiert die Weltmeisterin im Formationssprung, Elisabeth Wagner Gantzer, in einer Bodyflying-Anlage wie hier in Taufkrichen.

(Foto: Claus Schunk)

Beim Springen hat sie auch ihren Mann, den SPD-Landtagsabgeordneten Peter Paul Gantzer, kennengelernt. "Heute sind wir 33 Jahre verheiratet." Damals war sie die Anfängerin und er der erfahrene Springer mit einigen Rekorden. Inzwischen habe sie ihn überholt. "Aber klar, als Politiker und Notar hat er die Zeit nicht." Peter Paul Gantzer springt mit 78 Jahren aber noch immer, wenn auch nicht mehr so große Formationen wie seine Frau. Auch die beiden Söhne haben sich versucht, eine Leidenschaft wurde aber nicht daraus. "Vielleicht", meint die Mutter, "lag es auch daran, dass wir jeden Urlaub auf irgendeinem Sprungplatz verbracht haben." Irgendwann hatte zumindest der Ältere genug. "Er hat dann mit Peter ausgehandelt, dass wir in der Hälfte der Ferien etwas anderes machen."

5000 Sprünge, 21 Weltrekorde

Für Elisabeth Wagner-Gantzer ist Fallschirmspringen "die große Freiheit". Das klingt romantisch und vielleicht ist es auch erwartbar, dass jemand, der freiwillig vom Himmel fällt, das so empfindet. Sie erklärt das Gefühl so: "Es ist eine innere Freude, ein Energiefluss, ein Glücksflow. Man merkt, wie klein der Mensch ist, wie zerbrechlich." Angst habe sie dabei nie. "Man springt ja nicht einfach vom Himmel." Es geht dabei viel um Technik, um Körperhaltung und Fitness. "Ich merke sofort, wenn ich eine Woche mal nicht trainiert habe, nicht im Fitnessstudio oder auf dem Laufband war." Dazu kommen die Sprünge, etwa 150 im Jahr, viele in Eisenach in Thüringen, einige in Frankreich. Billig ist das nicht. "Aber ich brauche sonst wenig Geld für andere Dinge", sagt sie.

5000 Sprünge hat sie bisher absolviert, 21 Weltrekorde verbucht. Mal ging es dabei um die Anzahl der Springer, mal um bestimmte Formationen. Bei all ihren Reisen zwischen Himmel und Erde ist nur fünfmal der Schirm nicht aufgegangen oder war verdreht, sodass sie die Reserve ziehen musste. "Da schlägt das Herz bis zum Hals, aber man weiß sofort, was zu tun ist." Verletzt hat sie sich nie ernsthaft, "höchstens mal bei der Landung den Fuß verknackst". Sie denke nie daran, dass etwas passieren könnte. "Ich riskiere ja nichts und mache auch keine blödsinnigen Sachen." Ihre Mutter habe sich trotzdem bis heute nicht daran gewöhnt, dass die Tochter Fallschirm springt. Elisabeth Wagner-Gantzer aber haben Bedenken nie abgehalten: "Man muss mutig durchs Leben gehen. Ängste sind falsch."

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