Fachkräftemangel:Die Arbeitslosenquote sagt nicht alles

Fachkräftemangel: Es fehlen die Fachkräfte. Gesucht werden insbesondere Ingenieure und IT-Fachleute.

Es fehlen die Fachkräfte. Gesucht werden insbesondere Ingenieure und IT-Fachleute.

Im Landkreis München herrscht fast Vollbeschäftigung. Dennoch ist er keine Insel der Glückseligen: Unternehmen suchen händeringend Personal, Gewerkschaften beklagen unsichere Beschäftigungsverhältnisse.

Von Bernhard Lohr

Die aktuellen Zahlen aus der Arbeitsagentur sprechen wieder einmal eine eindeutige Sprache. Und bestätigen das, was eigentlich sowieso jeder weiß. Der Landkreis München ist für Jobvermittler ein Dorado. Mit 4795 Personen waren im April wieder einmal rekordverdächtig wenige Menschen ohne Arbeit. Im Vergleich zum April 2016 ging die Arbeitslosigkeit um 313 Personen zurück. Die Arbeitslosenquote liegt bei "niedrigen 2,7 Prozent", wie die Agentur in ihrer monatlichen Meldung herausstreicht. Doch diese Zahlen bereiten vielen auch gehörige Kopfzerbrechen. Unternehmen suchen Personal. Und Gewerkschafter beklagen, dass viele Menschen gerade im Raum München vergessen und sozial abgehängt werden.

Der Arbeitsmarkt im Landkreis hat seine Schattenseiten. Das weiß keiner so gut wie Simone Burger, die als Regionsgeschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) die aktuellen Zahlen aus dem Stegreif runterbeten kann. Ungeachtet der niedrigen Arbeitslosenquote hält sie für bedenklich, dass sich in Stadt und Landkreis München immerhin 5966 Menschen im April arbeitslos gemeldet haben. Zwar haben in etwa genauso viele einen Job gefunden.

Doch für Burger ist die große Fluktuation ein Zeichen dafür, dass es auch viele Menschen in befristeten Jobs und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen gibt. Im Einzelhandel herrsche gerade bei Großkonzernen im Raum München harter Wettbewerb mit Folgen für die Jobs. Ältere hätten große Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Und wer in zwei Jahren nicht mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig berufstätig gewesen sei, verliere das Anrecht auf Arbeitslosengeld I.

Ein Patentrezept gegen Fachkräftemangel gibt es nicht

Burger fordert, die Zwei-Jahres- auf eine Drei-Jahres-Frist zu verlängern. Ganz andere Probleme haben freilich die Unternehmen. Der Autobauer BMW ist vielleicht das bekannteste, das für sein Engagement im Landkreis im großen Stil Personalakquise betreibt. Im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Unterschleißheim sollen einmal 2000 Ingenieure und IT-Fachleute das autonom fahrende Auto der Zukunft zur Serienreife bringen. Die klugen Köpfe dafür sucht BMW auf der gesamten Welt. Man gehe an Universitäten, die die entsprechenden Studiengänge anböten, sagt Firmensprecher Jochen Frey, und verweist auf Partnerschaften mit Hochschulen wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie Universitäten in Shanghai, Singapur und Karlsruhe.

Doch natürlich wird besonders in München und im Umland um Fachkräfte geworben, wobei Software-Entwickler begehrt sind. "Wir stellen de facto mehr IT-Fachleute ein als Ingenieure", sagt BMW-Sprecher Jochen Frey. Damit konkurriert man in München mit Unternehmen wie IBM und Microsoft, und natürlich vielen anderen. BMW kann dabei sein Renommee in die Waagschale werfen. Kommenden Samstag finden in der Unternehmenszentrale Hochschulkontakttage statt. BMW kann es sich leisten, die Türen zu öffnen - dann kommen die Mitarbeiter.

Andere tun sich unter den besonderen Bedingungen des Arbeitsmarkts in der Region schwerer. Tobias Schock, Wirtschaftsförderer in Kirchheim, wird mit den Sorgen von Firmenchefs konfrontiert. Die Suche nach Fachkräften ist ein "Riesenthema", sagt er. Ein Patentrezept, wie dem Abhilfe zu schaffen ist, hat er nicht. Er kann nur das Umfeld bereiten. Essenziell, sagt er, sei eine gute Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr, weshalb er sich für einen Express-Bus stark macht, der die Gewerbegebiete an die U-Bahn an der Messe anbindet. Er will, dass Fahrrad-Leihstationen kommen und ein Carsharing-Anbieter. Überhaupt soll Kirchheim attraktiv für Arbeitnehmer werden. Hoffnungen setzt der Ort dabei darauf, Wohnen und Arbeiten künftig in sogenannten "urbanen Gebieten" zusammenzubringen. Für Schock gehört auch dazu, das Zentrum mit freiem Wlan und Einzelhandel attraktiv zu halten.

Bei der Vermittlung läuft vieles an der Arbeitsagentur vorbei

2748 freie Stellen meldet die Agentur für Arbeit im Landkreis. Das klingt gar nicht nach so viel. Doch bei der Vermittlung von Personal läuft vieles an der Arbeitsagentur vorbei. Der Landkreis München bietet eine regionale Jobbörse an. Gemeinden wie Ismaning werden aktiv und präsentieren auf Internet-Portalen lokale Jobangebote. Wirtschaftsförderer Schock aus Kirchheim kündigt einen Vorstoß mit Nachbarkommunen an, um im östlichen Landkreis eine Ausbildungsbörse aufzuziehen. Viele Unternehmen seien mit ihren Berufschancen am Ort nicht bekannt, sagt er.

Für den Bekanntheitsgrad und das Image sind freilich die Firmen auch selbst verantwortlich. Und da vollzieht sich auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ein Wandel. Markus Droth, Geschäftsführer der Bäckerinnung München und Landsberg, beobachtet das in seiner Branche, die für Klagen über fehlende Nachwuchskräfte bekannt ist. Droth sagt, tatsächlich hätten sich viele Bäcker zu Unternehmern weiterentwickelt, die auch das Personalmanagement beherrschten. Eine Erfolgsgeschichte ist für ihn die Biobäckerei "Brotzeit" aus Grünwald, die erst 2011 zwei Seiteneinsteiger aufgemacht haben. Dort werde das Bäckerhandwerk zum Erlebnis. Das Problem, Personal zu finden, hätten solche Betriebe nicht.

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