Eröffnung des Zamma-Festivals:Alle zusammen

Eröffnung des Zamma-Festivals: Bayerischer Heimatsound: Die Blechbix´n stimmten am Samstagabend auf die Woche ein.

Bayerischer Heimatsound: Die Blechbix´n stimmten am Samstagabend auf die Woche ein.

(Foto: Claus Schunk)

Der Auftakt des Zamma-Kulturfestivals in Haar ist vielversprechend. Eine Woche lang präsentieren sich Künstler, Musiker, eine vielfältige Gemeinde - über allem aber steht das Miteinander und die Chance auf Teilhabe.

Von Bernhard Lohr, Haar

Haar hat am Samstagnachmittag acht Festtage eingeläutet, die es in der Gemeinde so noch nicht gegeben hat: Hunderte kamen zusammen, um sich am Kirchenplatz auf das Zamma-Kulturfestival Oberbayern einzustimmen, das vom 1. bis 8. Juli mit 60 Veranstaltungen an vielen Orten in der Gemeinde begangen wird.

Am Sonntag ging es bei schlechterem Wetter mit dem Straßenfest Künstlermeile weiter. Bezirkstagspräsident Josef Mederer sagte bei der Eröffnung auf der Hauptbühne: "Mit der Kultur kann man natürlich gut Menschen miteinander zusammenbringen." Bürgermeisterin Gabriele Müller sprach von einer Gelegenheit, Haars Vielfalt zu zeigen.

Der Auftakt geriet stimmungsvoll. Bunte Ballone stiegen in den weiß-blauen Himmel und sendeten von Haar ein Zeichen aus, dass das "Zamma" als Festival, das die Menschen zusammenrücken lässt, für einen lebendigen, fortschrittlichen Kulturbegriff steht. Und die Gemeinde Haar setzte als moderne Stadtrand-Kommune als Austragungsort auch gleich am ersten Tag Zeichen. Lederhosen und Dirndl wurden gesichtet, waren aber nicht dominant. Als am Samstag bei der Eröffnung ein Themenwagen mit Trachtlern vor der Hauptbühne vorfuhr, sang der Vorsitzende der Bürgervereinigung Ottendichl mit am lautesten "Ottendichler samma mia". Vollkommen egal war dabei, dass Antonius van Lier nebenbei auch noch Holländer ist.

Das Zamma-Festival ist ein inklusives Fest, das der Bezirk alle zwei Jahre in einer anderen Kommune ausrichtet, und bei dem das soziale und das kulturelle Engagement des Bezirks auf zusammenwirken und sich verstärken. Der Bezirk betreibt Einrichtungen der Psychiatrie-Versorgung und kümmert sich um die Kultur- und Heimatpflege. Bezirkstagspräsident Mederer strich vor diesem Hintergrund heraus, dass all die Aktionen des Mitmach-Festivals darauf abzielten, "Teilhabe" zu stärken. "Weg von der Fürsorge", das sei das Ziel. "Inklusion ist ein Marathon. Es dauert lange, bis wird das umgesetzt haben. Wir bringen Menschen zusammen, und mit Zamma gelingt uns das bestens." Nach Eichstätt und Freising soll das Festival nun in Haar auch nachhaltig seine Wirkung entfalten; dem mit 2400 Beschäftigten größten Klinikstandort des Bezirks. Einen Schwerpunkt bilden Veranstaltungen, die Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen.

Zamma-Festival Haar

Bunte Ballons steigen in den weiß-blauen Himmel auf.

(Foto: Wolfgang Englmaier/Bezirk Oberbayern)

Was bedeutet Heimat für eine Stadtrand-Kommune?

Aber auch ganz andere Fragen sollen gerade in einer Kommune wie Haar erörtert werden. Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler verteilte am Samstag gut gelaunt an einem Stand Papierbögen mit Quizfragen, bei denen die Besucher testen konnten, wie gut ihr Bairisch ist. Dass das Bairische gerade in Stadt- und Stadtrandgebieten einen schweren Stand habe, konstatierte Göttler ohne Verbitterung. Sprache sei stets im Wandel gewesen, sagte er. Die Bayern aus dem 16. Jahrhundert würde heute niemand mehr verstehen. Gerade wo sich heute die Landwirtschaft auf dem Rückzug befinde, wie in den Stadtumland-Kommunen, gingen viele Begriffe verloren. Er wolle mit Freude die Lust am Bairischen erhalten. Größere Sorgen bereitet dem Heimatpfleger, wie er sagte, die bauliche Entwicklung. In der Stadt und draußen auf dem Land würden Ideen entwickelt, wie ein Bevölkerungszuwachs zu bewältigen sei. Aber in den Stadt-Rand-Lagen, gerade in Kommunen in der Situation wie Haar, befürchtet er, das sich Raumplaner, Stadtplaner und Architekten "zu wenige Gedanken machen". Er warnte vor gesichtslosen Orten, in denen am Ende Menschen in Reihenhaussiedlungen leben, die genauso im Münchner Umland wie in Paderborn oder Sinsheim stehen könnten. Kulturvergessene Orte als Schreckensvision.

Haar versucht freilich seit Jahren, seine Identität zu wahren. Konflikte inbegriffen. So wie bei dem Grabenkampf, der sich entwickelte als sich ein Teil der Bürger gegen den progressiven Plan stemmte, einen Wohnturm zu bauen. Andererseits pflegt Haar sein Erbe, wie im Ortszentrum, wo die Festivalbesucher am Wochenende zwischen Alter Post, Poststadel, Kirche St. Konrad und dem sanierten Wohnviertel mit den Pflegerhäusern zusammenströmten. Mit dem Jugendstilpark entsteht auf ehemaligem Klinikareal des Bezirks ein Wohngebiet, in dem Altes und Neues zusammenwachsen soll. Die stellvertretende Bezirkstagspräsidentin, Friederike Steinberger, die am Samstag aus Waldtrudering rübergeradelt war zum Zamma, gestand am Rand des Festivals, dass sie sich im Jugendstilpark gerade eine Wohnung gekauft hat. Ihr "Alterssitz", wie sie sagte. Ein wunderbares Wohngebiet sei dort am Entstehen. "Mich freut sehr, dass wir das in der Nähe von München machen", sagte Steinberger zum Zamma-Event, die beispielgebend für viele selbst auch Stadt-Land-Grenzgängerin ist, zwischen Trudering und Haar.

Bayerischer Heimatsound am Kirchenplatz

Das Festival nahm am ersten Tag gleich voll Fahrt auf. Künstler Michael Lapper präsentierte auf der Bühne sein Müll-Projekt, bei dem er mit Schülern aller Schularten Kunstwerke aus Plastikabfällen fabriziert hat, die vor dem Poststadel zu sehen sind. An Infoständen konnte man dank Imkerei-Fachberatung des Bezirks viel über Imkerei lernen und dank Fischerei-Experten erzählten vom Leben in den heimischen Gewässern. Viele Aktionen laufen schon seit längerem. So entsteht mitten im Jagdfeld-See ein Gerüst, das über Brücken erreicht werden kann. Auf einer Bühne wird dort die nächsten Tage Programm sein, ebenso wie auf der Hauptbühne, auf der am Samstagabend "Bayerischer Heimatsound" zu hören war, mit Matthias Kellner, den Blechbix'n und Muntermonika. Auf der dritten großen Bühne dieser Woche, im Kleinen Theater, traten am Sonntag Models mit Behinderung gemeinsam mit Models ohne Behinderung bei der Trachten-Modenschau "Dirndl trifft Pop" auf - begleitet von Live-Musik.

Eröffnung des Zamma-Festivals: Die Kreativen trotzen am Sonntag dem Regen.

Die Kreativen trotzen am Sonntag dem Regen.

(Foto: Claus Schunk)

Dirndl und Pop passen zusammen, Menschen mit und ohne Behinderung haben miteinander Spaß. So wie Johanna Huttner, 21, die im Rollstuhl sitzt und bei den Route Rockers und den Blue Dolphins als Sängerin agiert. Am Samstagnachmittag saß Huttner unter dem Zelt des Route-66-Jugendtreffs. Der Treff organisiert Rundgänge durch den Ort, bei denen jeder im Rollstuhl, mit Gehwagen, mit verbundenen Augen und Blindenstock und mit Gehörschutz losziehen kann, um zu erleben, wie er mit Behinderung zurecht kommt.

Huttner kennt die Fallen in Haar: "Bei der Unterführung finde ich es relativ steil, das zieht sich hin das letzte Stück", sagte sie. Die Kieswege im Biergarten, oder an der Kirche St. Konrad: "Ich komm da halt oft nicht durch." Schwierigkeiten bereiten die unebenen Gehwege an der Leibstraße. Und dann noch das Problem bei Konzertauftritten. Da vergisst mancher Veranstalter, dass jemand mit Rollstuhl auf die Bühne muss. Beim Zamma ist das freilich nicht zu erwarten.

Das komplette Programm des Zamma-Festivals findet man im Netz unter http://www.zamma-festival.de/

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