Einschnitt in die Landschaft:Ohne Kies läuft nichts

Lesezeit: 5 min

Nicht nur in Haar werden Abbauflächen und Lastwagen als störend angesehen.Doch für die anstehenden Bauprogramme ist der Rohstoff wichtig

Von Bernhard Lohr

Wenn alles mal vorüber ist, dann kann Schönes entstehen. Wenn die Bagger weg sind, keine Lkw mehr fahren und das Werk der Landschaftsplaner verrichtet ist, dann bleibt ein Erholungsgebiet wie am Feringasee oder ein Golfplatz, so wie er gerade in Aschheim entsteht. In Haar sollen sich in einigen Jahren Molche und Frösche auf der ehemaligen Kiesabbaufläche zu Hause fühlen, die heute noch eine Wunde in den Grünzug zwischen Salmdorf, Ottendichl und Gronsdorf reißt. Der Kiesabbau bietet gerade dort Stoff für viele Konflikte. Das stadtnahe Gebiet an der Grenze zu Trudering entwickelt sich zu einer Wohngegend erster Güte. Manche reden schon von den Elitedörfern. Schwere Lkw, verdreckte Straßen, Staub und eine Mondlandschaft findet dort nicht jeder prickelnd.

Doch einfach so aufzuhören mit dem Kiesabbau, ist gar nicht so einfach. Für Sand und Kies gab es in der nicht erst seit gestern florierenden Region immer schon gute Verwendung. Ohne das Material aus Haarer Flur gäbe es keine Fröttmaninger Arena und keinen Richard-Strauss-Tunnel. Und es wurde in der Region wohl kaum je so dringend gebraucht wie jetzt. Der Wohnungsbau soll weiter angekurbelt werden. Große Bauprogramme stehen bei Schulen und Straßen an, um bei dem gerade auch im Osten von München erwarteten Zuzug die Infrastruktur anzupassen.

Trotzdem hat die Gemeinde Haar vor Jahren schon umgesteuert. Wenn es nach dem Rathaus geht, hat das Quetschwerk Mühlhauser und Sohn die besten Jahre weit hinter sich. Seit 1959 kratzt es nahe Salmdorf Kies aus dem Boden der Schotterebene. Man verstehe sich als "Teil der Gemeinde", schreibt das einstige Familienunternehmen, das seit 2006 zur Unternehmensgruppe Glück mit Sitz in Gräfelfing gehört. Der Mensch stehe im Mittelpunkt, als "Kunde, Kollege und Nachbar". Doch das Verhältnis zur Nachbarschaft gilt als belastet. Bürgermeisterin Gabriele Müller nutzt jede Gelegenheit, um zu erklären, dass sie die Kiesausbeute in Haar begrenzt sehen will. Kürzlich im Bauausschuss des Gemeinderats sagte sie, der Grünzug zwischen Salmdorf und Ottendichl müsse, wie in der Regionalplanung vorgesehen, erhalten bleiben und gestärkt werden. Der Lkw-Verkehr sei eine Belastung. An einem Kiesabbau über das im Bebauungsplan vorgesehene Maß hinaus bestehe kein Interesse.

In derselben Bauausschusssitzung billigten die Gemeinderäte allerdings den Antrag des Unternehmens, sich bei der Herstellung des künftigen Biotops noch bis Ende 2020 Zeit lassen zu dürfen, weil das dafür benötigte unbelastete Material nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. Auch arrangierten sich die Gemeinderäte damit, dass ein Nassbagger in einer anderen Grube bei Eglfing drei Jahre länger bis zum Jahr 2018 auskiesen darf. Bis zu 23 Meter darf dort in die Tiefe gegraben werden. Bis 2023 muss dann dort alles rekultiviert sein. So schnell, wie mancher es gerne hätte, lässt sich der Betrieb nicht beenden und lassen sich die Wunden auch nicht schließen. Die Frage, wie es dem Unternehmen gelingen soll, die bis tief ins Grundwasser reichende Grube mit unbelasteter Erde wieder zu verfüllen, ist bisher unbeantwortet. Von dem Kieswerkbetreiber gebe es dazu keine klaren Aussagen, sagte Müller.

Über die Zukunft der Kiesgrube der Firma Mühlhauser bei Eglfing wird in der Gemeinde Haar diskutiert wird. (Foto: Claus Schunk)

Markus Wahl ist Geschäftsführer der Bernhard Glück Kies-Sand-Hartsteinsplitt GmbH mit Sitz in Gräfelfing. Das Unternehmen beschäftigt an mehreren Standorten 400 Menschen. 30 davon arbeiten in Haar und sollen das nach dem Willen von Wahl noch möglichst lange tun. Der Bedarf sei "erheblich", sagt er. "Man muss den Rohstoff Kies gewinnen, wo es ihn gibt." Ans Aufhören denkt er in Haar nicht. "Unsere Unternehmung zielt nicht darauf ab, den Betrieb möglichst schnell einzustellen." Wer ihm mit den Aussagen der Regionalplanung zu Grünzügen kommt, dem entgegnet er. "Die Regionalplanung sagt auch, dass die Region ortsnah mit Rohstoffen versorgt werden muss." Auch das Abbruchmaterial, das in der Region in nicht unerheblichem Maße anfalle, müsse irgendwo hin. Die Politik ruft er zum ehrlichen Umgang mit dem Thema auf.

Zunächst ist der Umgang zwischen Politik und Kieswerkbetreibern mitunter rüde. Zuletzt krachte es in Sauerlach, als an der Ortsgrenze im Süden vier Hektar Bannwald gerodet wurden, um für eine neue Kiesabbaufläche Platz zu schaffen. Bürgermeisterin Barbara Bogner war zu der Zeit im Urlaub. Als sie zurückkam, war der Wald weg und der Schock auch bei ihr groß. Sie ahnte nichts, spricht heute noch von einer "Nacht-und-Nebel-Aktion". Tatsächlich hatte der Kieswerkbetreiber vom Amt für Landwirtschaft und Forsten eine Fällgenehmigung erwirkt, über die die Gemeinde bis zur Fällung nicht informiert war.

Die Gemeinde hatte zuvor die neue Kiesgrube abgelehnt, doch am Ende entschied das Landratsamt als Genehmigungsbehörde sich für die Grube. Entscheidend ist da auch die Regionalplanung, die Vorrangflächen für Kiesabbau ausweist. In Aschheim liegt eins der großen Abbaugebiete, mit zwei Kieswerken samt Beton- und Asphaltmischwerk. Das alles ist seit Jahren etabliert und ans überregionale Straßennetz angebunden. Bürgermeister Thomas Glashauser (CSU) sagt, die Beschwerden hielten sich in Grenzen. Als allerdings im Jahr 2012 bei der Fortschreibung des Regionalplans eine weitere Fläche südlich von Dornach als Abbaufläche neu aufgenommen werden sollte, wusste das Glashausers Vorgänger im Amt noch zu verhindern. Es wäre zu nah an die Wohnbebauung herangekommen, sagt Glashauser. Es hätte sicher Konflikte gegeben. Ansonsten findet er: Kiesabbau muss auch sein. "Irgendwo muss das Material ja herkommen."

Anfangs kritisierte in Sauerlach Bogner die Fällungen des Kiesunternehmers mit scharfen Worten, die Gemeinde kündigte an, den Abbau verhindern zu wollen. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet. Der Kiesabbau ist genehmigt und läuft. "Wir sind nicht gegen einen kleinteiligen Kiesabbau", sagt die Bürgermeisterin jetzt. Verträglich müsse es ablaufen, sagt sie, und wie Glashauser: Irgendwo müsse das Material ja herkommen. Das eigentliche Geschäft übrigens, sagt Bogner, werde nicht mit dem Kiesabbau, sondern mit dem Verfüllen der Gruben gemacht.

Auch das Erholungsgebiet am Feringasee war einmal eine Kiesgrube. (Foto: Renate Schmidt)

Der Grünzug zwischen Salmdorf, Ottendichl und Gronsdorf wurde bei der Regionalplan-Novelle als Vorrangfläche für den Kiesabbau gestrichen. Doch wann in Haar die letzte Grube wieder gefüllt und der Kiesabbau Geschichte ist, ist nicht zu erkennen. Die Gemeinde hat begrenzte Einflussmöglichkeiten. Dazu kommt, dass die Aufarbeitung von Material, das aus umliegenden Baugruben kommt und die auch im Quetschwerk nahe Salmdorf abläuft, mit dem originären Kiesabbau gar nicht verbunden ist. Die Betriebserlaubnis für das Quetschwerk selbst, sagt Geschäftsführer Wahl, sei nicht begrenzt. Im Bauausschuss des Haarer Gemeinderats warnte deshalb Paul Wieser (CSU) davor, sich Illusionen zu machen. Es wäre ein "Schildbürgerstreich", sagte er, wenn man den Kiesabbau nahe dem Quetschwerk beenden würde. Denn es könne passieren, dass in Zukunft Abraummaterial an- und dann der bearbeitete Kies abgefahren werde. Der Lkw-Verkehr könnte sogar mehr werden. Schon jetzt, bestätigt Geschäftsführer Wahl, werde Kies von umliegenden Baustellen zur Bearbeitung zum Quetschwerk gebracht.

Auf jeden Fall ist der Kiesabbau und alles, was dazugehört, ein einträgliches, aber gerade in der Region München auch kompliziertes Geschäft. Das Quetschwerk Mühlhauser bekommt für das zu schaffende Biotop nicht in ausreichender Menge unbelastetes Material herbei, andererseits sind Gruben, in die zumindest leichtbelastetes Material, also mit gewissen Bauschuttanteilen, eingefüllt werden kann, begehrt. Der Geschäftsführer des Bayerischen Industrieverbands Steine und Erden, Hermann Mader, bestreitet das gar nicht. Das Befüllen sei ein Geschäft, aber nicht das Hauptgeschäft: "Das gehört in das Reich der Fabel." Es komme darauf an, was verfüllt werden könne. Es fehle an unbelastetem Material.

Das größte Problem, das die Kieswerkbetreiber im Münchner Umland aber haben, ist ihm zufolge gar nicht die zurückhaltende Genehmigungspraxis der Landratsämter oder Kommunen, die lieber Gewerbe- oder Wohngebiete ausweisen oder diese schützen. Das Ganze regelt sich auf der Ebene der Bodenpreise schon von alleine. Ein "Riesenproblem" sind Mader zufolge die hohen Bodenpreise. An günstige Grundstücke zu kommen, sei unheimlich schwer.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: