Einmal rund um München:Im wilden Osten

In unserer Serie "Hart an der Grenze" erkunden SZ-Autoren den Verlauf der Münchner Stadtgrenze. In Folge 2 geht es durch das Kiesabbaugebiet bei Aschheim.

Von Irmengard Gnau

Wenig idyllisch ist der Anblick, der sich dem Betrachter vom Oberen Aschheimer Weg gleich hinter der Kreisstraße M 3 in Richtung Osten bietet. Aus den weiten, je nach Jahreszeit grünen oder gelben Feldern ragen graue Hügel hervor. Hier stoßen Unterföhring, München und Aschheim aneinander. Die Landschaft öffnet sich weit vor dem Auge, das Bild vom wilden Osten drängt sich auf. Die Gegend entlang der Stadtgrenze zu Aschheim, die auf gut acht Kilometern zuerst Richtung Süden und dann nach einem Knick Richtung Osten verläuft, ist über weite Strecken geprägt vom Kiesabbau. Seit Anfang der Sechzigerjahre wird auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Aschheim Kies gewonnen; das Kieswerk Schöndorfer begann die Arbeit 1963, das Kieswerk Radmer 1969. Die Firma Ludwig Obermayr in Riem, die vor der Gemeindegebietsreform auf Dornacher Gebiet lag, wurde sogar schon 1932 gegründet. Der Kies hat bis heute große Bedeutung in der Region östlich von München, die Böden der Schotterebene sind hier nicht so reichhaltig wie jene weiter nördlich und lassen für die Landwirtschaft nur eingeschränkten Anbau zu.

Die Olympischen Spiele lösten in München einen Bauboom aus

Der Aschheimer Kies aber war geschätzt. Vor allem als die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 1972 nach München in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre einen Bauboom auslöste, war man in der Stadt froh, dass es gleich nebenan frischen Baustoff gab - und die Möglichkeit, überschüssiges Material wieder abzulagern. Die ausgehobenen Kiesgruben wurden wieder verfüllt, teils mit Aushub vom Bau der S-Bahn. Damit allerdings entstand ein Problem, das die Anwohner in Dornach Jahre später zu spüren bekommen sollten: Das verfüllte Material ließ weniger Regenwasser durch als die ursprüngliche Kies- und Erdschicht, das Wasser konnte nicht mehr so gut an gewohnter Stelle versickern. Die Konsequenz zeigte sich um das Jahr 2000 herum - da habe bei etwa 50 Dornacher Hausbesitzern plötzlich im Frühjahr das Wasser zentimeterhoch im Keller gestanden, erinnert sich Hubert Gschwendtner. Er war 14 Jahre lang Vorsitzender der Bürgerinitiative zur Verbesserung der Wohn- und Grundwasserverhältnisse im Ort Dornach, die sich in Folge der Kellerüberschwemmungen zusammentat.

Dass der Aschheimer Gemeindeteil Dornach besonders anfällig für Grundwasserhochstände ist, hat mehrere Gründe. Der wohl wichtigste ist die Lage des Dorfs. Dornach liege geologisch betrachtet am Ende einer von Süden nach Norden hin flacher werdenden Wanne mit quasi wasserundurchlässigem Boden, erklärt Gschwendtner. Da die Geländeoberfläche von der südöstlichen Münchner Schotterebene nach Norden hin abfällt - zwischen Feldkirchen und Aschheim zum Beispiel besteht ein Höhenunterschied von 13 Metern - , fließt das Grundwasser in dieser Wanne nach Norden hin. Gibt es im Oberland heftigen Regen oder Schneeschmelze, steige in Dornach wenig später der Grundwasserpegel, erklärt Gschwendtner.

Um Klarheit über den Einfluss der Kiesgruben dabei zu bekommen, ließ die Gemeinde Aschheim Anfang 2000, angestoßen von der Bürgerinitiative, ein Gutachten in erstellen. Es ergab, dass der Kiesabbau einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Grundwasserstand in Dornach hat. Für die weitere Abbaugenehmigung machte das Landratsamt München deshalb zur Bedingung, das Grundwasser entsprechend zu regulieren. Das ist nun geschehen: Die Betreiber des Kieswerks Radmer nahmen vor Kurzem ein Drainagesystem in Betrieb, das bei starkem Grundhochwasser das Wasser in einen See ableitet, wo es versickern kann. Die Bürgerinitiative löst sich nun auf. "Wir haben im Großen und Ganzen das erreicht, was wir erreichen konnten", sagt Gschwendtner und lässt den Blick über die Schotterebene schweifen.

Viele ehemalige Abbaugebiete sind längst von Gras überwachsen, die Fläche gleich hinter dem Kieswerk Schönberger ist zum Golfplatz geworden, "Green Hill" heißt er. Einige der Gruben sind als Seen und Weiher erhalten geblieben. Folgt man dem Grenzverlauf ein wenig westlich, auf einem Feldweg nach Süden hin, stößt man südlich des Golfplatzes auf ein Gewässer anderen Ursprungs - den Abfanggraben. Er wurde in den Jahren 1926 bis 1929 ergänzend zum Mittlere-Isar-Kanal gebaut, um das Johanneskirchner Moos zu entwässern und so Landwirtschaft auf dem Niedermoor zu ermöglichen.

Der Abfanggraben führt zum Speichersee, schließlich wird sein Wasser am Kraftwerk Neufinsing in den Mittlere-Isar-Kanal geleitet. Heute ist die Umgebung ein Rückzugsort für Tiere und Pflanzen wie den Eisvogel oder das Fettkraut. Große Teile der Böschung sind als geschützter Landschaftsbestandteil ausgewiesen. Über eine kleine Brücke lässt sich der Graben überqueren. Es lohnt sich, das Becken einmal auf der Südseite zu umlaufen. In einen kleinen verwachsenen Weiher endet hier der einstige Dornacher Bach; beim Bau des Riemer Flughafens wurde er in ein Rohr unter die Erde verlegt, berichtet Gschwendtner.

An der Kopfseite des Abfanggrabens bietet sich von der Brücke aus sogar der Blick auf einen Wasserfall: Gute drei bis vier Meter rauscht das Wasser dort in das Becken des Grabens hinab. Der Wasserlauf speist sich vor allem aus dem südlich von München beginnenden Hachinger Bach, der über den Hüllgraben durch den Nordosten Münchens fließt. Da die Grenze an dieser Stelle mitten durch Äcker verläuft, empfiehlt es sich, statt dieser dem Hüllgraben nach Westen zu folgen, bis er auf den Lebermoosweg stößt. Hier verlief einst der alte Bahndamm. Er ist heute eingewachsen und verwinkelt - wer die Berührung mit der Natur nicht scheut, kann auf dem Wall weiter nach Südosten gehen. Der Blick Richtung München ist heute noch weitgehend frei und fällt auf beliebte Spazierwege und Hundewiesen. In wenigen Jahren schon wird die Stadt hier rund um den Hüllgraben ganz nah an Aschheim heranrücken. Noch aber dominieren Felder und Grün; linker Hand ragt der Maibaum der Kleingartenanlage Nord-Ost 74 aus den Bäumen hervor.

Das "Avalon" war einst ein Kohlekraftwerk. Heute wird hier gefeiert

An der Kreuzung mit dem Dornacher Weg trifft man wieder auf die Grenze. Sie folgt dem Weg weiter nach Südwesten, bis sie auf die Spitze der Trainings- und Galopprennbahn Riem stößt. Hier knickt sie ab nach Südosten und führt über die Humboldtstraße am Rand des Rennbahngeländes entlang bis zum S-Bahnhof Riem. An der Grenzkante erinnert das mehr als 100 Jahre alte Gebäude des ehemaligen Kohlenkraftwerks der Isarwerke an die lange Geschichte der Bahnlinie. Heute wird der schmucke Backsteinbau als Eventlocation vermietet.

Von hier ab läuft die Grenze etwa zwei Kilometer immer an der S-Bahnlinie entlang nach Osten; folgen lässt sich ihr zunächst auf der Bahnhofstraße durch das Gewerbegebiet Dornach, dann auf dem verwachsenen Adam-Riese-Weg unter der Erdinger Landstraße hindurch, bis man die Firmengebäude hinter sich lässt und auf freie Felder hinauskommt. Rechter Hand über den Gleisen verladen riesige Kräne Container am Umschlagbahnhof Riem. Wo sich das metallische Knarzen langsam verliert, beginnt die Gemeinde Feldkirchen.

Alle weiteren Folgen der Serie "Hart an der Grenze" finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: