Einkaufsgewohnheiten:Suburbia stirbt aus

Einkaufsgewohnheiten: Noch vor zehn Jahren sprachen viele in Unterschleißheim von einem "Glücksfall" - und meinten tatsächlich das Einkaufszentrum IAZ, das heute eine trostlose und meist menschenleere Hülle darstellt. Dem Gebäudekomplex droht sogar der Abriss.

Noch vor zehn Jahren sprachen viele in Unterschleißheim von einem "Glücksfall" - und meinten tatsächlich das Einkaufszentrum IAZ, das heute eine trostlose und meist menschenleere Hülle darstellt. Dem Gebäudekomplex droht sogar der Abriss.

(Foto: Catherina Hess)

In Unterschleißheim, der größten Kommune des Landkreises, ist die Nahversorgung im Zentrum am Ende. 30 Kilometer weiter in Kirchheim funktioniert das Geschäft in der Mitte. Ein Erklärungsversuch.

Von Christina Hertel

Das Einkaufszentrum in Unterschleißheim ist ein trostloser Ort. Die Rolltreppen rattern gleichmäßig. Ein Spielautomat klimpert. Man sieht wenige Menschen und viele leere Räume. Ganz hinten im zweiten Stock sitzt Lüder Schmidt am Tresen von Lenny's Musikbar. Eine Frau, die alle nur Rosi nennen, zapft Bier. Es ist Viertel vor Sieben, die Barhocker sind voll mit grauhaarigen Männern, sonst ist das Einkaufszentrum leer.

Wie es die Männer hier finden? "Es ist eine Katastrophe", sagt Schmidt. Er ist Grafiker, nächstes Jahr geht er in Rente, dann zieht er mit seiner Frau nach Bali. "Es ist tot hier. Alle sind weg. Das Schuhgeschäft, der Kleidungsladen, das Eiscafé." Und seit April fehlt auch noch der Supermarkt. Zwei Männer vom Roten Kreuz verkaufen deshalb seit kurzem Lebensmittel auf der Ladefläche eines Lastwagens. Jeden Montag kommen sie für eine Stunde.

Unterschleißheim ist eine Stadt mit etwa 30 000 Einwohnern. Hier gibt es ein Kino, das Heimatmuseum, zehn Schulen, eine Bibliothek mit 44 000 Büchern und ein Zentrum für autonomes Fahren. Aber es gibt keinen Supermarkt mehr in der Ortsmitte. Warum fällt es selbst der größten Kommune im Landkreis München schwer, Nahversorgung im Zentrum aufrecht zu erhalten? Und wenn es Unterschleißheim schon nicht schafft, wie sieht es dann erst anderswo aus?

Im Tante-Emma-Laden will niemand mehr einkaufen

Christian Breu, Geschäftsführer des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München, sieht die Lage nicht so dramatisch. Die Versorgung mit Lebensmitteln, sagt er, sei im ganzen Landkreis in den vergangenen Jahren besser geworden. Das Problem aus seiner Sicht: Die Verkaufsflächen seien großzügiger gestaltet als früher, Kunden hätten höhere Ansprüche. "Nur im Tante-Emma-Laden will kaum jemand einkaufen.

Die meisten Leute haben einen Führerschein und können sich auch außerhalb der Innenstädte gut versorgen." So hat es auch Lüder Schmidt, der in der Musikbar in Unterschleißheim sein Feierabendbier trinkt, gemacht. Er wohnt nur ein paar Minuten vom Einkaufszentrum entfernt, aber eingekauft hat er dort selten. "Vielleicht mal ein Päckchen Sahne, wenn ich es vergessen hatte." Sonst ist er ins Gewerbegebiet gefahren. Wenn keiner etwas kauft - kein Wunder, wenn dann alles dicht macht?

Einkaufsgewohnheiten: Christian Breu vom Planungsverband.

Christian Breu vom Planungsverband.

(Foto: Toni Heigl)

Jan Vorholt, Projektleiter bei Cima, einer Firma, die Gemeinden und Städte im Landkreis berät, sagt: Man könne den Verbrauchern nicht vorwerfen, dass sie dort kaufen, wo es für sie am bequemsten ist. Und den Unternehmen nicht, dass sie einen möglichst hohen Umsatz anpeilen.

Doch Stadt- und Gemeinderäte hätten in der Vergangenheit zu oft Baurecht an den falschen Orten erteilt, am Rand, in den Gewerbegebieten. "Der Wettbewerbsdruck ist dann häufig zu hoch, die Geschäfte kannibalisieren sich gegenseitig."

Im Ort? Der "Teppich-Martin"!

In Unterhaching ist die Dichte an Lebensmitteldiscountern so hoch wie nirgends sonst im Landkreis. Es gibt drei Aldi-Filialen, zwei Lidl, drei Drogeriemärkte - alle stehen in der Peripherie am Ortsrand. Im Zentrum gibt es noch den "Teppich-Martin", das Tattoostudio "Düsterbunt" und eine Motorradwerkstatt, aber keine Bäckerei, keine Bank oder Apotheke.

Vor etwa 15 Jahren glaubte man im Unterhachinger Rathaus, die großen Märkte am Ortsrand könnten sich belebend auf die Läden im Zentrum auswirken. Die Verantwortlichen täuschten sich. Jetzt ist bloß noch Schadensbegrenzung möglich. Eine Vergrößerung der Discounter lehnte der Gemeinderat diese Woche ab.

Berater Jan Vorholt findet: Kommunen müssen sich klar zu ihren Zielen bekennen. Eines könnte sein, Lebensmittelmärkte nur noch in den Zentren anzusiedeln, wo auch Menschen wohnen. Lebensmittelmärkte in zentralen Lagen hätten eine Magnetwirkung und würden die anderen Geschäfte und Dienstleister dort stärken. Dass das funktioniert, lässt sich 30 Kilometer südlichöstlich von Unterschleißheim beobachten.

Kirchheim hat zwar nicht einmal halb so viele Einwohner, doch das Räter-Einkaufszentrum, mehr ein kleiner Marktplatz als Shopping-Mall, funktioniert trotzdem halbwegs. Verantwortlich ist dafür ein Mann: Fritz Humplmayr. Sein Großvater, ein bayerischer Preisboxer, eröffnete auf der Fläche vor 40 Jahren das erste Geschäft. Heute gehört der Familie dort fast alles: 50 Läden, 20 Arztpraxen, 420 Wohnungen. Vor etwa einem Jahr ließ Humplmayr sein Einkaufszentrum umbauen - die Drogerie wurde größer, der Supermarkt auch.

Der Kirchheimer Gemeinderat stimmte den Plänen zu und entschied außerdem, dass es in seiner neuen Ortsmitte statt Läden einen Park geben soll, um Konkurrenz zu verhindern. Der Wirtschaftsförderer der Gemeinde, Tobias Schock, glaubt, um eine Ortsmitte zu beleben, reichen Geschäfte alleine nicht aus. "Man muss mit dem Erlebnisfaktor punkten." Er will im Räterzentrum einen Bücherschrank in einer alten Telefonzelle aufstellen, neue Sitz- und Liegemöglichkeiten schaffen und einen Wlan-Hotspot einrichten. Außerdem wird im Blumenladen wohl bald ein Café mit Bar eröffnet.

"Erst neulich ist einer gegen die Scheibe geknallt."

Der Erlebnisfaktor im Unterschleißheimer Einkaufszentrum IAZ geht gegen Null. Übrig geblieben sind eine Metzgerei, ein Bäcker, zwei Friseure, ein Zeitschriftenladen, ein Asia-Imbiss, ein Massagesalon, ein Wettbüro. Und Lenny's Musikbar. Um 19.30 Uhr trennt ein Securitymann den Bereich vor der Kneipe mit einer Glaswand ab, dann schließt das Einkaufszentrum und die Besucher der Bar kommen nur noch über eine Treppe raus. "Erst neulich ist einer gegen die Scheibe geknallt", sagt Lüde Schmidt. "Wieso machst du schon zu?", ruft sein Kumpel dem Sicherheitsmann entgegen. Der zuckt nur mit den Schultern. Wieso nicht, soll das vielleicht heißen. Wer soll sich schließlich noch hierher verirren?

Vor zehn Jahren nannte der Wirtschaftsgeograf Ralf Popien das Einkaufszentrum in Unterschleißheim einen "Glücksfall". "Die Ortsmitte ist ein attraktiver Einkaufsstandort - im Gegensatz zu anderen Orten in Suburbia", schrieb er damals in der Süddeutschen Zeitung. Kurz darauf eröffnete im Gewerbegebiet ein Fachmarktzentrum - mit Supermarkt, Bäckerei, Drogerie und Klamottenläden. Die Gewerbetreibenden in der Ortsmitte protestierten, genützt hat es nichts. Mehr als 70 Eigentümer gab es einst. Darüber wie es mit ihrem Einkaufszentrum weitergehen sollte, konnten sie sich nicht einigen. Heute ist es marode. Und die 6000 Menschen, die rund um den Rathausplatz wohnen, kommen nur noch mit dem Auto oder Bus zum Supermarkt.

2015 übernahm ein Grünwalder Investor das Einkaufszentrum. Stück für Stück kaufte er sich alle Flächen zusammen. Mit den letzten Eigentümern ist er sich gerade einig geworden. Jetzt gehört ihm das ganze Gebäude. Wahrscheinlich lässt er es abreißen und neu aufbauen. Die Stadt führt gerade Gespräche mit Einzelhandelsunternehmen, die sich übergangsweise in dem Einkaufszentrum ansiedeln sollen. Ein Interessent ist Rewe. Ursula Egger, eine Sprecherin des Konzerns, sagt, ihr Unternehmen orientiere sich wieder mehr Richtung Ortskern, "am liebsten zwischen Rathaus und Kirchturm". Mindestens aber solle der Markt zu Fuß erreichbar sein. Die Ortsmitte erlebe gerade eine "Renaissance".

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