Doppik oder Kameralistik:Soll und Haben

Haushaltsfragen sind entscheidend. Von ihnen hängt ab, was sich Kommunen leisten können. Die Beispiele Haar und Brunnthal zeigen, welche Antworten Kameralistik und Doppik darauf geben.

Von Bernhard Lohr und Alexandra Vettori

Ob es um ein neues Auto geht oder den Traumurlaub. Bevor sich jemand etwas gönnt, muss er die quälende Frage beantworten: Kann ich mir das leisten? Da geht es dem Privatmann nicht anders als dem Stadt- oder Gemeinderat, der natürlich das große Ganze in seiner Kommune im Blick haben muss. Er muss dann bei Ebbe in der Kasse dem Vereinsvorsitzenden erklären, warum es trotz großer Begeisterung in seiner Handballabteilung keine neue Sporthalle gibt. Oder er kann, wenn ein paar Millionen Euro angespart wurden, dem Leiter der Musikschule stolz verkünden, dass er demnächst unter ganz anderen, komfortableren Bedingungen arbeiten kann: neue Übungsräume, einen Saal für Auftritte und noch mehr.

Soweit scheint alles klar. Man kann sich etwas leisten, oder eben nicht. Doch so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist das alles nicht. Denn eine Kommune ist kein privater Haushalt. Sie ist, gerade was die Finanzen angeht, für Laien und so manchen Gemeinde- und Stadtrat ein Buch mit sieben Siegeln. Kämmerer reden in einer unverständlichen Fachsprache, rechnen kameralistisch den Verwaltungshaushalt mit dem Vermögenshaushalt auf oder unterscheiden doppisch mit erhobenem Finger den Produkt- vom Ergebnishaushalt. Wirklich nachvollziehen, können das die wenigsten. Und zu großem Streit im Gemeinderat kann es führen, wenn der Bürgermeister einer seit 1993 schuldenfreien Kommune bei historisch niedrigem Zinsniveau und mit neun Millionen Euro auf der hohen Kante sagt: Eine neue Mehrzweckhalle? Dafür haben wir kein Geld. Warum eigentlich?

Doppik oder Kameralistik: Ein Geschenk für die Haarer Bürger: Die Gemeinde hat sich mit dem Bildungszentrum Poststadel ein echtes Schmuckstück geleistet.

Ein Geschenk für die Haarer Bürger: Die Gemeinde hat sich mit dem Bildungszentrum Poststadel ein echtes Schmuckstück geleistet.

(Foto: Claus Schunk)

Dabei kann Bürgermeister Stefan Kern (CSU) in Brunnthal durchaus Argumente aufführen und begründen, warum er manchmal mit sorgenvoller Miene auf den von seinem Kämmerer kaufmännisch, sprich doppisch geführten Haushalt schaut. Denn heikel wird es, wenn eine Gemeinde im laufenden Geschäft ein Minus erwirtschaftet, und daran schrammte man in Brunnthal zuletzt entlang. Schnell ist dann von fehlender "dauerhafter Leistungsfähigkeit" einer Kommune die Rede, was im schuldenfreien Brunnthal zu der an sich absurden Situation führte, dass Horrorszenarien an die Wand gemalt wurden, die Unabhängigkeit der Gemeinde stehe auf dem Spiel. Der Kassandraruf lautete mit Blick auf die Finanzaufsicht im Landratsamt, irgendwann werde man mangels Substanz von einer Nachbarkommune geschluckt.

Als wäre das nicht verwirrend genug, wird im Landkreis München mit zwei völlig verschiedenen Buchungsregeln gearbeitet. Historisch bedingt verrechnen viele Städte und Gemeinden bis heute Einnahmen und Ausgaben nach dem statischen kameralistischen System, dem Finanz-Arithmetiker nur eine begrenzte Aussagekraft zuschreiben. Die in Immobilien und Grundstücken steckenden Vermögenswerte einer Kommune finden sich nirgendwo wieder, und der Wertverzehr dieses Vermögens geht nicht in die Bilanzen ein. Anders die doppische Haushaltsführung, die angelehnt an die kaufmännische doppelte Buchführung jeder Ausgabe auch eine Einnahme gegenüberstellt, und umgekehrt. Wenn Brunnthal für sechs Millionen Euro eine Mehrzweckhalle bauen würde, würde das Vermögen der Gemeinde um denselben Wert wachsen. Auf der Negativseite kämen allerdings jährliche Abschreibungen dazu. Und genau dieser Automatismus engt in den von außen finanzstark wirkenden Kommunen wie Brunnthal den Handlungsspielraum ein. Zwei Millionen Euro muss Brunnthal jetzt schon erwirtschaften, die es als kameral rechnende Kommune nicht erwirtschaften müsste. Käme eine Mehrzweckhalle dazu, könnte dank steigender Abschreibungen am Ende im laufenden Geschäft ein Minus stehen. Das Schreckensszenario würde näher rücken. Kämmerer Andreas Haßelbacher sagt, "im Gemeinderat wird schon anders nachgedacht als früher, die Folgekosten von Projekten stehen wesentlich stärker im Fokus". Die doppelte Buchführung beschere nun einmal "wesentlich ehrlichere Zahlen", was den Werteverzehr anbelange. Ehrlich, aber auch ungerecht, könnte man sagen.

Ein Mann, ein Jahr

Der erste Schritt bei der Umstellung auf die Doppik ist die Eröffnungsbilanz. Auf ihrer Aktivseite (Mittelverwendung) findet sich das Anlage- und Umlaufvermögen der Gemeinde. Dort erfährt man also, wie die Kommune ihr Geld angelegt hat und wie hoch der Wert der einzelnen Positionen ist. Dazu gehören Grünflächen, Wälder, Schulen und Kindertagesstätten (jeweils Grundstücke und Gebäude), Kunstgegenstände, Fahrzeuge oder Bürobedarf. Auf der Passivseite (Mittelherkunft) werden das Eigenkapital sowie Rückstellungen und Verbindlichkeiten ausgewiesen. Dort steht, wie das Vermögen der Gemeinde finanziert wird, ob aus eigenen Mitteln oder durch Schulden. Hier finden sich aber auch die Rücklagen, die beispielsweise für später zu zahlende Beamtenpensionen aufzubringen sind.

Den oft erhobenen Einwand, die Doppik mache viel mehr Arbeit, lässt Brunnthals Kämmerer Haßelbacher nicht gelten: "Es sind zwar jetzt mehr Buchungen als früher, das macht ja alles das System, der Arbeitsaufwand sind 15 Sekunden und zwei Klicks." Die Mühen der Umstellung bestreitet er jedoch nicht. "Ein Mann, ein Jahr", beziffert er die Mehrarbeit für die Verwaltung, wozu noch 50 000 Euro Mehrkosten für Software und Schulungen kommen. Das sei im Fall Brunnthals aber auch besonders günstig gewesen, weil man sich zusammen mit sieben anderen Gemeinden die Schulungskosten geteilt habe. av

Denn die Mehrheit der Gemeinden rechnet bis heute ganz anders und diskutiert anders darüber und entscheidet nach anderen Kriterien darüber, was sie sich leisten kann und was nicht. Die Gemeinde Haar zum Beispiel. Dort agierte man vor Jahren, als sich die Frage stellte, ob man sich ein Bildungszentrum für Volkshochschule, Musikschule und Vereine leisten kann, so, wie ein verantwortungsvoller Haushaltsvorstand, der die Familienkasse verwaltet. Man legte Geld zurück und als man meinte, das Großprojekt für gut 13 Millionen Euro solide angehen zu können, gab man es in Auftrag. Vor einem halben Jahr wurde der Poststadel eröffnet, der der Musikschule ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Mittlerweile freilich wird in Haar diskutiert, wie gut die Gemeinde auf den kostspieligen Betrieb solcher Gebäude vorbereitet ist und wie sie mittel- und langfristig ihre aufwendige Infrastruktur erhalten will. Drei Bäder leistet sich Haar. Die Steuereinnahmen sind eingebrochen. Und jetzt soll man auch noch Schulen bauen.

Auf eine Umstellung auf die Doppik hat Haar vor Jahren bewusst verzichtet, wie Bürgermeisterin Müller sagt, wegen des damit verbundenen Aufwands und des umstrittenen Nutzens. Haar begann mit Vorarbeiten. Man führte, wo man es als sinnvoll erachtete, Kosten-Leistungs-Rechnungen ein. Laut Kämmerer Günter Rudolf wurde begonnen, den Anlagenbestand zu ermitteln. Bei den kostendeckenden Einrichtungen werde der Ressourcenverbrauch dargestellt. Bei Großprojekten wie dem Poststadel würden selbstredend die Folgekosten ermittelt. Das sei auch mit der Kameralistik möglich, sagt Rudolf. Der Plan sei, alles in einigen Jahren zu perfektionieren und dann den Gemeinderat entscheiden zu lassen, ob er eine Umstellung auf die Doppik wünsche.

Allzu groß sind die Freiräume, die sich Haar oder auch Unterhaching mit der Kameralistik erhalten haben, aber nicht. Das zeigt eine derzeit hitzig geführte Debatte. Das Urteil der Rechnungsprüfer im Landratsamt wird in allen Rathäusern gefürchtet, weil diese darauf pochen können, dass bei mangelnder Finanzkraft Einnahmequellen ausgeschöpft werden. Viele Rathäuser verzichten darauf, ihren Bürgern fünfstellige Eurosummen für die Erneuerung von Straßen abzuknöpfen. Das Landratsamt kann genau darauf bestehen. Bürgermeisterin Müller sagte kürzlich, sie werde sich nur auf Druck beugen, diese Summen einzufordern. Die Zukunft wird zeigen, ob es dazu kommt.

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