Diskutieren:Mit Rhetorik gegen Parolen

Diskutieren: Christian Boeser-Schnebel plädiert für mehr Offenheit in Diskussionen, auch mit Populisten.

Christian Boeser-Schnebel plädiert für mehr Offenheit in Diskussionen, auch mit Populisten.

(Foto: Claus Schunk)

Christian Boeser-Schnebel hat Rezepte gegen Populisten

Von Vinzenz Neumaier, Oberhaching

Wer kennt die Sprüche nicht? "Alle Muslime sind Terroristen" oder "Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" geistern nicht erst seit Flüchtlingskrise und Pegida durch die Wirtshäuser und Straßen der Bundesrepublik.

Wer populistisch argumentiert und mit platten Stammtischparolen um sich schleudert, ist bei seinem Gesprächspartner schnell unten durch. Die Diskussion endet, bevor sie richtig begonnen hat. Der Diskurs in der Gesellschaft verkümmert. Das Ergebnis ist fatal: Denn Streiten ist wichtig, um Demokratie am Leben zu erhalten.

Die Diskussionskultur in Deutschland zu verbessern, hat sich Christian Boeser-Schnebel, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Augsburg, zur Aufgabe gemacht. Am Mittwochabend gab er in der Gemeindebücherei Oberhaching Bürgern das nötige Rüstzeug mit, um mit demokratischen Mitteln gegen Populismus und Stammtischparolen vorgehen zu können.

Sein Rezept: Manchmal hilft es, sich an die eigene Nase fassen. Menschen, die Stammtischparolen brüllen, sind nicht immer die Bösen, und wer dagegen ankämpft ist nicht automatisch der Gute. Auch wenn er oder sie es oft so sieht. Jeder sollte seine eigene Haltung hinterfragen und die Sichtweise des Gesprächspartners verstehen wollen. Nur so kommt laut Boeser-Schnebel eine ergebnisoffene Diskussion zustande. Denn eine Stammtischparole sei grundsätzlich nichts Verwerfliches. Im Gegenteil, der Stammtisch sei ein Ort des demokratischen Austauschs. Eine Stammtischparole sei deshalb erst mal nichts weiteres als eine pointierte Meinungsäußerung, sagte Christian Boeser-Schnebel. Begegne man ihr mit der nötigen Offenheit und ergründe, was hinter der Stammtischparole stecke, dann könne sogar ein offener Meinungsaustausch stattfinden. Das sei lebenswichtig für jede Demokratie. Auch für die deutsche.

Damit die Zuhörer auch gegen die richtig harten Brocken aus der Populismus-Ecke gefeit sind, hatte der Pädagoge und Politikwissenschaftler Boeser-Schnebel konkrete Ratschläge parat. Bevor jemand überhaupt mit einem vermeintlichen Populisten zu argumentieren beginne, solle er sein Gegenüber mit Fragen wie "Warum eigentlich?" weichmachen. Um ihm dann die Möglichkeit zu geben, seine Aussage näher zu erläutern. "Lassen Sie zuerst die Unschuldsvermutung gelten und gehen Sie in das Gespräch mit dem Gegenüber", empfahl Christian Boeser-Schnebel.

Kommen dann beim Diskutieren noch Emotionen ins Spiel, wird es erst richtig knifflig. Wenn sich beide Gesprächspartner, egal ob Populist oder nicht, im emotionalen "Grizzlymodus" befinden, also nur noch auf Attacke aus sind, sei eine sachliche Diskussion unmöglich. Gute Argumente zählen nichts mehr. Denn: "Im Grizzlymodus" geht es nur noch um "Leben und Tod", sagte Boeser-Schnebel weiter.

Ist der Grizzlymodus vorbei, kann Sachlichkeit in den Diskurs zurückkehren. Jetzt, so der Tipp des Augsburger Pädagogen, heißt es analytisch vorgehen: Wie sieht mein Gegenüber die Situation, wie sehe ich sie? Was sind seine Ziele, was sind meine? Und wie wollen wir beide unsere Ziele erreichen?

Kommt dann immer noch keine vernünftige Diskussion zustande, bleibt nur noch eins übrig: Sich erst mal von der populistischen Äußerung distanzieren und tief Luft holen. Danach kann man immer noch sagen, dass das Gegenüber mit seiner Äußerungen eine rote Linie überschritten hat, sagte Boeser-Schnebel. Auf keinen Fall sollte man vor drohenden Auseinandersetzungen zurückschrecken, das würde laut Boeser-Schnebel niemandem nützen. Sein Credo: "Gehen Sie in die Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden, um deren Engstirnigkeit zu überwinden - und Ihre eigene."

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